Raubbau im größten Wald der Welt
25. März 2019Oleg Schadrin steht knietief im Schnee. Hinter dem Waldarbeiter erstreckt sich eine Fläche so groß wie sechs Fußballfelder. Hier und da ragen Baumstümpfe in die Höhe. "Sie hätten ausgegraben werden und an ihre Stelle junge Kiefern setzen müssen," erklärt der 35-Jährige, und hat Mühe, seine Wut zu verbergen.
Chinesische Arbeiter hätten vor wenigen Monaten den Kiefernwald etwa sieben Autostunden nördlich von Omsk in der Nähe des Dorfes Jekaterinovka gerodet und danach das Holz abtransportiert. "Illegal", wie er sagt. Das Holz wurde mit modernen Maschinen abgeholzt.
Solche Berichte kennt Nikolaj Shmatkow vom World Wide Fund For Nature (WWF) zuhauf. "Vor allem im Fernen Osten und entlang der russisch-chinesischen Grenze kommt es zu illegalen Rodungen", sagt der Moskauer Umwelt-Experte der DW. Die Gesetzeshüter seien überfordert - sie schauten zu oder verdienten gar mit. Oft seien es nicht chinesische, sondern russische Waldarbeiter, die Holz ohne Genehmigung in das Reich der Mitte verscherbeln.
Zwar würden die chinesischen Zollbeamten darauf achten, dass die Papiere in Ordnung seien. "Doch diese zu bekommen, ist in Russland kein Problem", meint er.
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Korruption sei unter Staatsbediensteten und den sie deckenden und mitverdienenden Politikern weit verbreitet. Hinzu käme die Armut vieler Bewohner in entlegenen Gebieten, Gleichgültigkeit vieler in der russischen Gesellschaft sowie Misswirtschaft.
Niemand kennt den genauen Zustand des Waldes
"Selbst die zuständigen Ministerien in Moskau oder in den Regionen wissen nicht, wo welche Bäume wachsen", sagt Shmatkow. Die Informationen der Behörden seien teilweise Jahrzehnte alt. Es gebe Dutzende Millionen von Hektar Land, bei dem unklar bleibe, ob sie Agrar- oder Waldflächen seien. Oft fehle es der Regierung und den Ämtern an Geld, um sich ein genaues Bild zu machen.
Greenpeace sieht es ähnlich. Die offiziellen Statistiken schönten das Bild vom Zustand des russischen Waldes; angeblich werde kaum Holz gestohlen, Waldbrände würden wirksam bekämpft, sagt Alexey Jaroshenko von Greenpeace Russland. "Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun", glaubt er.
Seit 2006 hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Damals hat die Regierung ein neues Gesetz zum Schutz des Waldes erlassen - dort ging es aber vor allem darum, Geld zu sparen. Die Folge: Inzwischen arbeiten deutlich weniger Menschen in der staatlichen Forstwirtschaft. Bedeutet: Weniger Menschen schützen den Wald vor Raubbau. Doch selbst nach offiziellen Angaben sei nur etwas über drei Prozent der gesamten russischen Waldfläche vorgesehen für die Erhaltung der Biodiversität, heißt es bei der NGO. Etwa ein Fünftel des in Russland produzierten Holzes wandere nach China, schätzt Jaroshenko.
Medienberichten zufolge soll Präsident Wladimir Putin bereits 2001 angeordnet haben, die staatliche Überwachung des Forstes zu lockern. Was die Kontrolle ebenfalls erschwert: Praktisch der gesamte Waldbestand Russlands sei in Staatsbesitz, erklärt Nikolaj Shmatkow vom WWF. Genaue Informationen gelten als Staatsgeheimnis. Die Bedrohung der unberührten Natur verharmlosen die staatlich gelenkten russischen Medien oder verschweigen es.
Werden teure Hölzer gegen billige ersetzt?
Offizielle Quellen behaupten: Russlands Wald wachse in jedem Jahr ein wenig. Wirklich nachprüfen lässt sich das nicht. In Wirklichkeit würden seltene, teure Hölzer gefällt und - bestenfalls - durch billige ersetzt, meint Shmatkow. Im Fernen Osten seien etwa die Mongolische Eiche oder die Mandschurische Esche bedroht. Sie gehören zu den wertvollsten Harthölzern. Meist werden sie nach China exportiert, so der Experte vom WWF.
Die Folge: In Russland schrumpfe jener Wald, der Artenvielfalt garantiert und fördert. China ist der weltweit größte Importeur von Holzprodukten.
Moskauer Umweltexperten schätzen, dass etwa 20 Prozent des Holzes, welches aus Russland nach China exportiert wird, auf gesetzeswidrige Art und Weise gefällt wurde.
China, das über die weltweit zweitgrößte Papierindustrie verfügt, braucht das Holz aus Sibirien. Es wird verarbeitet zu Möbeln oder Parkett. Diese werden wiederum weltweit exportiert - auch nach Russland.
Mindestens genauso schlimm wie das illegale Abholzen sei, wie verschwenderisch die russische Industrie mit dem Rohstoff Holz umgehe, klagt Jaroshenko von Greenpeace Russland. Doch das sei ein anderes Thema.