Russland atmet nach IOC-Entscheidung auf
21. Juni 2016Die Korrespondentin des staatlichen Fernsehnachrichtensenders Rossija-24 konnte ihre Freunde kaum zurückhalten. "Es gibt eine exzellente Nachricht für uns - und keine schlechten", sagte sie während einer Schalte aus Lausanne am Dienstagnachmittag und strahlte. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, verkündete dort die mit Spannung erwartete Entscheidung über die russische Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio im August. Der IOC-Gipfel bestätigte zwar die Entscheidung des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF vom vergangenen Freitag, der die seit November 2015 gültige Sperre des russischen Verbandes wegen Doping in Kraft ließ. Der in Russland befürchtete Ausschluss der gesamten Mannschaft blieb aber aus.
Russische Athleten wollen klagen
"Die wichtigste gute Nachricht ist, dass einzelne Athleten nach diversen Prüfungen unter russischer Flagge antreten dürfen", freute sich die Reporterin. Entscheidungen darüber werden von internationalen Verbänden getroffen, so Thomas Bach. Vorschläge, dass russische Athleten in Rio nicht unter der russischen Trikolore sondern unter einer neutralen Flagge antreten könnten, lösten im Land Empörung aus. Die Stabhochspringerin und zweifache Olympiasiegerin Jelena Issynbajewa zum Beispiel sagte, sie würde in so einem Fall gar nicht erst mitmachen.
In den kommenden Tagen und Wochen wird erwartet, dass manche russische Sportler, gegen die es keine Dopingvorwürfe gibt, vor dem internationalen Sportgerichtshof CAS klagen werden. Alexander Schukow, Vorsitzender des Russischen Olympischen Komitees, sicherte ihnen seine Unterstützung zu. Um welche Athleten es sich handelt, ist noch unklar.
Angst vor Ausschluss der gesamten Mannschaft
Die Spannung in Russland vor der IOC-Entscheidung war sehr groß. Nach den jüngsten Enthüllungen US-amerikanischer und deutscher Medien über Doping als mutmaßlich staatlich angelegtes System stand das Land stark unter Druck. Viele in Russland haben offenbar geglaubt, dass das IOC zum ersten Mal einen ganzen Landesverband von der Teilnahme an den Spielen sperren könnte. Dies sei aber nicht einmal besprochen worden, sagte die russische Reporterin in Lausanne.
Dabei schloss der persönlich in die Kritik geratene Sportminister Vitaly Mutko eine solche Entwicklung nicht aus. Ein solcher Schritt wäre ein Verstoß gegen die Menschenrechte, hieß es in einer Erklärung des russischen Parlaments am Dienstag. Dmitri Peskow, Sprecher des Präsidenten Wladimir Putin, warnte vor dem Prinzip der Kollektivschuld: Dopingsünder zu bestrafen sei zwar nötig, jedoch nicht die sauberen Athleten und die gesamte Mannschaft.
In den hitzigen Debatten in russischen Medien wurde in den vergangenen Tagen viel über eine vermeintliche Verschwörung gegen Russland gesprochen. Man wolle Moskau aus politischen Gründen bestrafen und erniedrigen, hieß es. Umso größer ist nun der Jubel in Moskau. Das IOC habe "vernünftig und verantwortungsvoll" gehandelt, lobte etwa der Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende der Partei "Gerechtes Russland", Andrej Mironow. Das Komitee habe "dem politischen Druck" von Russlands Feinden widerstanden.
Das russische Dilemma
Noch ermittelt die internationale Antidopingagentur WADA wegen der jüngsten Vorwürfe gegen Russland. Von ihrem Bericht dürfte die Teilnahme russischer Sportler an weiteren Wettbewerben abhängen. Russland verspricht, das Problem zu beseitigen. Beobachter wie Alexander Pljuschtschew warnen, dass dies nicht einfach sein dürfte. "Wie soll man Doping bekämpfen, wenn es offenbar Teil des Systems geworden ist?" sagte der Moskauer Publizist und Blogger im Gespräch mit der DW. "Es ist keine einfache Aufgabe, das System zu zwingen, sich selbst zu bekämpfen." Dies sei jedoch unvermeidlich.
Nach der Entscheidung in Lausanne dürfte Russland zwar aufatmen, es steht jedoch vor einem Dilemma. Wenn es seinen Ruf retten und bei den künftigen Wettbewerben wie früher mitmachen möchte, muss es ernsthaft gegen Doping vorgehen. Das könnte jedoch bedeuten, dass Russland möglicherweise sportlich nicht mehr so erfolgreich sein werde, sagte der in Deutschland lebende russische Publizist Igor Eidman in einem DW-Gespräch. Dabei seien sportliche Erfolge für die russische Staatsführung und den Präsidenten Putin besonders wichtig, gibt er zu bedenken.