Krieg in der Ukraine
4. März 2015Es war ein überraschendes Geständnis. In einem Interview mit der oppositionellen russischen Zeitung "Nowaja Gaseta" bestätigte ein verwundeter russischer Panzerfahrer, was viele schon längst behaupten: dass auch aktive russische Zeitsoldaten an der Seite der Separatisten in der Ostukraine gegen die ukrainische Armee mitkämpfen. Und zwar vermutlich recht viele. Einen Tag nach der Veröffentlichung des Interviews sagte der US-General Ben Hodges in Berlin, dass das US-Militär von etwa 12.000 solcher Kämpfer ausgeht.
Dabei ist das nicht die erste solche Geschichte: Die russische Zeitung "Kommersant" publizierte am 19. Februar eine erstaunlich offene Reportage über das Engagement russischer Soldaten in der Ostukraine auf Seiten der prorussischen Separatisten. Besonders brisant: Der Artikel erschien in der Online-Version der Zeitung, die dem kremltreuen Oligarchen Alischer Usmanow gehört. Im Text schilderte der Korrespondent Ilja Barabanow, wie er drei Russen kennenlernte, die noch bis vor kurzem Soldaten in der russischen Armee waren, dann aber angeblich aus Überzeugung in die Ostukraine gezogen waren, um dort zu kämpfen.
"Frühere Bergarbeiter"
Laut eigenen Angaben kämpfen sie seit Ende Januar an der Front in verschiedenen Einheiten der Separatistenarmee der "Donezker Volksrepublik". Vor der Abreise hätten sie die Beendigung des Zeitvertrags sowie eine offizielle Entlassung aus der russischen Armee beantragt, sagen die drei. Ob sie tatsächlich auch entlassen wurden, ist ebenso wenig bekannt wie der aktuelle Status der Kämpfer. Die "Dienstreise auf unbestimmte Zeit", wie der "Kommersant"-Reporter es nennt, sei von den russischen Offizieren abgesegnet worden, sagten sie. Später, im Interview mit dem russischen Nachrichtensender "Business FM", erzählte Ilja Barabanow, er habe den Eindruck gehabt, die jungen Männer seien "ganz freiwillig" in den Krieg gezogen.
In seinem Text beschreibt der Journalist die Taktik der professionellen Kämpfer aus Russland im Donbass. Sie kämpfen an vorderster Front, achten aber ständig darauf, von Journalisten und anderen ungebetenen Beobachtern unbemerkt zu bleiben. "Um die Kampfaufgaben zu erledigen, fahren nur diejenigen aus den Basislagern heraus, die wirklich kämpfen. Sie erledigen ihren Auftrag und kehren zurück. In die von ihnen eingenommene Ortschaft rücken dann die Mitglieder der lokalen Bürgerwehr (Selbstbeschreibung der Separatisten – Red.) ein. Sie stellen sich dann gerne als ehemalige Bergarbeiter dar", schreibt Barabanow. So soll der Eindruck entstehen, dass in der Ostukraine auf der Seite der Aufständischen nur die einheimische Bevölkerung kämpft und sonst niemand. Die gleiche Version der Geschehnisse verbreitet auch der russische Präsident Wladimir Putin. So spottete er jüngst in Budapest über die ukrainische Armee: "Es ist sicherlich immer schlecht zu verlieren, besonders wenn Du gegen frühere Bergarbeiter oder Traktorfahrer verlierst."
"Sie wollten Entlohnung"
Das entspricht aber nicht den Tatsachen, sagte im DW-Interview Dmitri Pyslar vom Komitee der Soldatenmütter Russlands. Russische Soldaten kämpfen sehr wohl in der Ostukraine, und sie waren auch beim Angriff auf Debalzewe dabei, sogar noch nach der vereinbarten Waffenruhe. Da sich aber alles so geheim und im Verborgenen abspielt, ist sehr schwer an genaue und umfangreiche Daten zu kommen. Es sei unmöglich, die Zahl der Soldaten zu bestimmen, die an solchen Operationen teilnehmen, sagt Pyslar.
Allerdings bezweifeln die Menschenrechtler die in Russland weitverbreitete Behauptung, russische Soldaten verbrächten nur ihren "Urlaub" an der Front im Donbass oder kämpften gar freiwillig und ohne einen gültigen Vertrag mit der russischen Armee. Walentina Melnikowa vom "Verband der Komitees der Soldatenmütter" hat mehrere Gespräche mit Soldaten geführt, für diese Version hat sie aber keine Belege gefunden. Umgekehrt aber sei den Soldaten, mit denen Melnikowa gearbeitet habe, "eine Entlohnung versprochen worden", eventuell eine Auszeichnung oder der Ausweis eines Veteranen. Oft wurden aber solche Versprechen nicht eingehalten. "Sie haben sich bei uns beschwert. Sie wollten nicht ein zweites Mal in die Ukraine, weil sie nichts derartiges bekommen hätten."
Soldaten, die verschwinden und wieder auftauchen
In Russland gibt es nur ein Gesetz, das es dem Staat erlaubt, einem Militärdienstleistenden im Ausland tätig werden zu lassen: wenn er ein Berufssoldat ist und seinem Auslandseinsatz ausdrücklich zustimmt. Es gibt aber mehrere Fälle von Soldaten, die das abgelehnt haben, sagt Walentina Melnikowa. "Dann leitet die russische Militärstaatsanwaltschaft gleich ein Strafverfahren wegen Fahnenflucht ein." Dasgleiche passiert auch denjenigen russischen Soldaten, die in der Ukraine gefangengenommen wurden.
Einen solchen Fall hat die "New York Times" mithilfe von Melnikowa dokumentiert. Ein Waisenkind namens Petr Chochlow unterschrieb 2014 einen Zeitvertrag mit der russischen Armee. Eines Tages verschwand er plötzlich aus seinem Militärstützpunkt, ohne seiner Braut und seinem Bruder Bescheid zu sagen. Einige Zeit später tauchte er aber auf einem Video der ukrainischen Behörden auf - als in Gefangenschaft geratener russischer Soldat. Später erfuhr der Bruder, dass Petr gegen die ukrainischen Soldaten ausgetauscht wurde und bei Separatisten landete. Doch die russischen Armeevertreter wollten davon nichts wissen: Offiziell soll Chochlow fahnenflüchtig geworden sein. Dann verlor sich die Spur von Petr erneut. Erst Monate später hat ein Journalist der "New York Times" Petr Chochlow wiedergefunden - an einem Kontrollposten der Separatisten in der Ostukraine. Dem Reporter sagte er, er sei freiwillig dort.
Kämpfende "Urlauber" in Donbass
Die Regierung in Moskau wiederholt, dass es "keine regulären russischen Truppen" in der Ukraine gebe. Und diese Formulierung könnte tatsächlich zutreffen: Bisher sind keine geschlossenen Formationen der russischen Armee in der Ostukraine gesichtet worden. Nur einmal, Ende August letzten Jahres, wurde eine große Gruppe russischer Soldaten in der Ukraine gesehen. Die Erklärung der russischen Behörden damals: Sie hätten sich verirrt und die Grenze versehentlich überschritten.
Das ist die offizielle Haltung des Kremls. Allerdings sprechen russische Politiker aus der zweiten Reihe immer offener über kämpfende "Freiwillige" mit militärischer Ausbildung, die auf eigene Faust an die Front im Donbass fahren. Wiktor Sawarsin, Abgeordneter und Mitglied im Verteidigungsausschuss der russischen Duma, äußerte sich diesbezüglich so: "Wir haben die Position, dass jeder, der aus der Armee entlassen ist oder sich im Urlaub befindet, überallhin fahren darf, wohin er will. Es sind Tatsachen, dass es Offiziere und Soldaten gibt, die dorthin fahren und sich an den Kämpfen dort beteiligen. Diese Tatsachen verbergen wir auch nicht."