Rushdie in Berlin
17. September 2013"Ist das denn jetzt überhaupt sicher hier?" Eine Journalistin lehnt sich vor und flüstert: "Ich meine, die Fatwa gilt doch noch, oder?" Im Haus des Internationalen Literaturfestivals Berlin warten am Samstag (14.08.2013) etliche Journalisten, Fotografen und Kameramänner. In ein paar Minuten soll der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie zur Pressekonferenz erscheinen: der Mann, gegen den 1989 der iranische Ayatollah Khomeini eine Fatwa aussprach, die ihn zum Tode verurteilte - und zu einem Leben auf der Flucht, ständig wechselnden Unterschlüpfen, Polizeischutz und einer neuen Identität.
Die Frage nach der Sicherheit
Sein Deckname aus den mehr als zehn Jahren im Untergrund "Joseph Anton" ist auch der Titel seiner 2012 erschienenen Autobiografie, die von dieser Zeit handelt. Die Sicherheitskontrollen vor der Pressekonferenz und der anschließenden Lesung, bei der er später mit lautem Applaus und Jubel empfangen werden wird, sind allerdings minimal. Taschenkontrollen? Polizisten? Fehlanzeige. Auf die Frage aber, ob er sich trotzdem sicher fühle, reagiert der mittlerweile 66-jährige Autor sichtlich gereizt: "Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie Sicherheit brauchen, dann sollten Sie sich welche besorgen." Er fühle sich wunderbar. Und: "Ich finde es richtig deprimierend, dass die ersten beiden Fragen, die Sie mir stellen, zu Sicherheit und Terrorismus sind." Über die Fatwa, die vor über 20 Jahren verhängt und trotz Gegen-Fatwas anderer islamischer Gelehrten noch immer gilt, möchte er nicht sprechen, das macht er ziemlich deutlich: "Es wäre nett, wenn Sie mir jetzt ein paar literarische Fragen stellen könnten." Das Wort "Fatwa" benutzt er nicht.
Leben im Untergrund
Können wir, wenn auch zögerlich: Wieso er den Namen "Joseph Anton" für seine Autobiografie gewählt habe? Rushdie lächelt. Das Pseudonym zeige, wie "seltsam" die damalige Zeit gewesen sei. Man habe ihm geraten, einen Namen zu wählen, der nicht "indisch" klang. "Ich musste also gleichzeitig zu meiner Identität auch meine ethnische Herkunft aufgeben." Eigentlich liege es in seiner Natur, sich Geschichten auszudenken. Doch seine Autobiografie beruhe auf Tatsachen und Fakten. Das sieht er als seine Pflicht: Schließlich habe er damals im Mittelpunkt eines "historischen Nachrichtenereignisses" gestanden.
Bücherverbrennungen und Morddrohungen
Auslöser waren "Die Satanischen Verse", ein Roman, der sich "gegen den Islam, den Propheten und den Koran" stellte, so begründete der iranische Ayatollah Khomeini seinen Aufruf zum Mord an Rushdie. Es folgten Bücherverbrennungen und Morddrohungen - auch gegen Übersetzer und Verlage, die wagten, das Buch zu vertreiben. Kurz: Die "schlimmste Erfahrung meines Lebens", so fasst es Rushdie zusammen. Doch selbst in den Jahren auf der Flucht habe der "kleine Schriftsteller in mir auf meiner Schulter gesessen und mir zugeflüstert, dass das eine richtig gute Geschichte ist". Rushdie lacht. Trotzdem: "Es wäre mir natürlich viel lieber, dass ich mir das alles ausgedacht hätte." Er hat lange gebraucht, um die Geschichte aufzuarbeiten und eine gewisse Distanz zu finden: "Ich wollte erst die völlige Kontrolle über das Material haben", so Rushdie. "Ich wollte nicht meine Emotionen auf die Seiten entladen."
Mithilfe alter Tagebücher aus der Zeit habe er die Geschichte zusammengefügt. Geändert habe er lediglich die Namen einiger der über 100 Polizeibeamten, die ihn damals beschützten und begleiteten und einige Ereignisse und zeitliche Abläufe gerafft. "Das Problem des wirklichen Lebens ist nun mal, dass es sich nicht an die Maßstäbe eines interessanten Dramas hält: Die Ereignisse plätschern langsam vor sich hin und stehen nicht im Zusammenhang."
"Ein normales Leben führen"
Rushdie, der heute in New York lebt und arbeitet, hat nach eigenen Angaben vier Jahre für seine Autobiografie gebraucht - eine Zeit, in der er "aufgrund des Materials, mit dem ich mich auseinandersetzen musste" öfters sehr schlecht gelaunt war. Jetzt habe er das Bedürfnis, ein Buch zu schreiben, das "völlig ausgedacht ist." Mehr möchte er nicht verraten. Nur soviel: "Mein nächstes Buch wird wohl das surrealste Buch, das ich jemals geschrieben habe." Und lustig sei es auch, fügt er hinzu. Zumindest habe das sein Verleger gesagt, der die ersten 100 Seiten gelesen habe.
Eine Journalistin hebt die Hand: Ob er es jemals bereut habe, "Die Satanischen Verse" zu schreiben? Rushdie holt tief Luft. "Wissen Sie, diese Frage hat man mir in den letzten 12 Jahren jeden Tag gestellt." Nein, im Gegenteil, er sei sogar stolz auf sein Buch und darüber, wie es diese "außergewöhnliche Attacke" überstanden habe: Heute, so Rushdie, werde sein Roman von Leuten einfach nur gelesen und studiert. Manche Leute würden sein Buch mögen, andere nicht - aber das sei einfach das "normale Leben" eines Buches. "Endlich darf es dieses normale Leben führen, das es so lange nicht haben durfte", sagt Rushdie - und meint damit vielleicht nicht nur sein Buch.