"Denn es geht um unsere Zukunft"
21. Mai 2019Bis Mitte Juni stellt die Bonner Galerie KULT 41 etwa 40 Werke von Studenten und Lehrern der Kunstuniversität "George Enescu" in Iași (Deutsch: Iassy), aus. Die Idee für diese "Jam Art Session" hatte Dr. Ioana Palamar, Dozentin an der traditionsreichen Hochschule im Nordosten Rumäniens. Ein Erasmus-Stipendium ermöglichte ihr ein Studium an der Alanus-Kunsthochschule bei Bonn. Andere Stipendien führten sie nach Spanien und Belgien. Nach Bonn kam die 29-Jährige auch als "Artist in Residence". "Das ist das Gute an Europa, dass man durch diese Stipendien seinen Horizont erweitern kann, dass man sich mit anderen Künstlern austauschen und Erfahrung sammeln kann." Doch die Kehrseite der Medaille, beklagt Ioana Palamar, sei "die Massenemigration der Jugend aus Rumänien".
Extrem hohe Auswanderung unter den Jugendlichen
Viele Jugendliche sind stark betroffen: Es wandern nicht nur Eltern und Verwandte aus, sondern auch Freunde und Kommilitonen. Inzwischen spricht man gar vom "Mut, in Rumänien zu bleiben".
"Viele meiner Kommilitonen haben direkt nach dem Studium das Land verlassen", bedauert Marc Sora, ein junger Facharzt an einer privaten Klinik in Hermannstadt (Rumänisch: Sibiu). "Andere haben diese Entscheidung in den ersten Jahren als Assistenzarzt getroffen - enttäuscht von den oft miserablen Bedingungen und der schlechten Bezahlung." Man könne in vielen staatlichen Kliniken nichts von dem anwenden, was man im Studium gelernt hat. Insgesamt, schätzt Marc Sora, haben mehr als ein Drittel seiner Kollegen Rumänien den Rücken gekehrt. Er wolle dennoch bleiben, obwohl er es leicht hätte, zum Beispiel in Deutschland eine gut bezahlte Stelle als Arzt zu finden. Denn Marc Sora ist zweisprachig aufgewachsen - mit Deutsch und Rumänisch. "Es tut gut zu wissen, dass man diese Alternative hat. Doch solange es geht, möchte ich hier bleiben, in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin", erzählt der 29-jährige Mediziner.
Während westliche Länder wie Deutschland von den hochqualifizierten Arbeitskräften profitieren, leiden die östlichen Länder Europas darunter. Für die einen ist es ein Gewinn, ein Brain-Gain, für die anderen dagegen ein Brain-Drain, ein Aderlass.
Die Europawahl ist auch für Rumänien richtungsweisend
"Wenn ein Jugendlicher seinen Job unter normalen Bedingungen ausüben kann und keine Angst vor der Zukunft hat, dann wird er bleiben", meint Marc Sora. Daher sei es wichtig, wählen zu gehen, wobei die Europawahl richtungsweisend nicht nur für Europa, sondern auch für Rumänien ist: "Wir sollten schon selbst entscheiden, wer unsere Vertreter im Europäischen Parlament sind. Es sollten fähige Politiker sein." Diese Wahl sei auch ein wichtiges Signal für die Präsidentschaftswahl in Rumänien, in etwa einem halben Jahr. "Es geht um richtig viel", betont der werdende Vater.
Alexandru Muntean (36) ist Tierarzt und hat sich für eine Arbeit in Großbritannien entschieden. Vorläufig - denn er möchte bald in seine Heimat zurück. "Ich wollte neue Erfahrungen machen, meinen Blickwinkel erweitern. Das alles ermöglicht die Europäische Union." Teil der europäischen Familie zu sein, bedeute für ihn, zusätzliche Chancen und Perspektiven zu haben. "Manche unserer Politiker in Rumänien versuchen den Eindruck zu erwecken, die EU wäre ein korrupter Polizist, der uns das Geld aus der Tasche zieht", sagt Muntean, der einen tiefen Riss zwischen Regierenden und Wählern beklagt. "Unsere Sorgen und Visionen werden von der Politik so oft ignoriert. Ein Grund mehr, wählen zu gehen."
Nicht nur junge Ärzte verlassen in großer Zahl Rumänien - auch IT-Spezialisten. Vlad Beu studiert im letzten Semester Informatik an der Uni Hermannstadt. Er findet, dass vor allem die Jugendlichen von den Vorteilen der EU-Mitgliedschaft profitieren. Im Vergleich zur Generation seiner Eltern können junge Rumänen überall in der EU reisen, arbeiten und studieren. "Andere Kulturen kennenzulernen, sich auszutauschen, ist eine wesentliche Bereicherung. So verharren wir nicht in starren nationalen Überzeugungen, sondern erweitern unseren Horizont, ohne jedoch unsere Identität dabei zu verlieren." Nach dem Studium möchte er in Rumänien bleiben - für ihn stehen Familie und Freunde an erster Stelle.
Der 25-jährige Student spürt auf Schritt und Tritt den Verlust von Fachkräften in Rumänien: "Wir haben nicht nur weniger Ärzte, es fehlen Arbeitskräfte in fast allen Bereichen. Es ist heutzutage schon schwer, einfach einen guten Handwerker zu finden." Für ihn ist die Stimmabgabe größtes Recht und wichtigste Verpflichtung. Dabei sei die Europawahl ebenso entscheidend wie die anstehende Präsidentschaftswahl. "Wir wünschen uns auch ein besseres und wettbewerbsfähigeres Europa." Vlad Beu ist überzeugt, dass in Rumänien besonders junge Bürger an der Europawahl teilnehmen werden. "Meine Freunde und Kommilitonen interessieren sich sehr für Politik - sowohl für die rumänische als auch für die europäische - denn es geht um unsere Zukunft."
Zukunft heißt auch, in Bildung zu investieren
Ioana Palamar ist dankbar für ihre Erfahrung außerhalb Rumäniens und initiierte das Projekt "Iaşi Art Residency". Ausländische Künstler können Stadt und Leute kennenlernen, sich mit Kunstschaffenden aus Rumänien austauschen und, vom Ort inspiriert, eigene Werke schaffen. Seit 2017 haben an dem Programm bereits sechs Künstler teilgenommen. Die Investition der EU in Aus- und Weiterbildung der Jugend hat einmal mehr Früchte getragen.