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Botschafter im Sitzen

Ronny Blaschke4. September 2012

Die Paralympics haben ihren Ursprung als Sport für Kriegsversehrte. Auch heute sind wieder Ex-Soldaten aus Konfliktgebieten dabei. Wie ihnen der Sport helfen kann, beweisen die Sitzvolleyballer aus Ruanda.

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Die Sitzvolleyballer Ruandas im Spiel gegen Brasilien. Foto: Getty Images
Die Sitzvolleyballer Ruandas sim Spiel gegen BrasilienBild: Dennis Grombkowski/Getty Images

Emile Vuningabo steht in der Interviewzone hinter einem Absperrband und bedankt sich für jede Frage, die ihm gestellt wird. Er überlegt einen Moment, blickt quer durch den Raum, als hätte er es schwer, einen Gedanken zu fassen. Emile Vuningabo, 25, groß gewachsen, ist Kapitän der Sitzvolleyballer aus Ruanda. Gerade haben sie gegen den amtierenden Paralympics-Sieger Iran 0:3 verloren. Sie wirkten wie erstarrt, schlugen reihenweise Bälle ins Aus, doch Vuningabo sieht nicht aus wie ein Verlierer. Er schwärmt mit großen Augen von der Zuneigung der Zuschauer. "Die Kulisse hat uns überwältigt. Wir sind stolz darauf, unser Land hier präsentieren zu dürfen", sagt er in seinem blauen Trikot mit gelben Streifen. "Viele Menschen aus Europa oder Amerika verbinden Ruanda zuerst mit dem Völkermord. Auch wir denken zurück, aber das Land hat sich stark entwickelt. Deshalb wollen wir der Welt zeigen, dass wir optimistisch nach vorn schauen."

Die Paralympics, die Weltspiele für Sportler mit Behinderung, haben ihren Ursprung als Sport für Kriegsversehrte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Soldaten von der Front und stärkten durch Bewegung ihr Immunsystem und ihr Selbstvertrauen. In den vergangenen Jahren kehrten die Spiele immer mehr zu ihren Wurzeln zurück. Irak, Afghanistan, Kosovo: viele Sportler, die nun bei den vierzehnten Sommer-Paralympics in London antreten, waren Soldaten in Konfliktregionen und wurden schwer verletzt. Wie ihnen der Sport danach helfen kann, beweisen die Sitzvolleyballer aus Ruanda.

Sport ohne Spannungen

1994 war ein langjähriger Konflikt eskaliert: Angehörige der Hutu-Mehrheit töteten in rund 100 Tagen drei Viertel der Tutsi-Minderheit, rund eine Million Menschen starben. Damals gehörte der Tutsi Dominique Bizimana zu den Rebellen, bei einem Gefecht verlor er seinen linken Unterschenkel. Bizimana überlebte und gründete 2001 das Nationale Paralympische Komitee Ruandas. Er sah im Sport eine Chance zur Annäherung. Zu einem wichtigen Partner wurde ein früherer Gegner: Der Hutu Jean Rukundo war im Dienst für die nationale Armee auf eine Landmine getreten und verlor sein linkes Bein. Gemeinsam suchten sie Sportler und Sponsoren, konzentrierten sich auf vier paralympische Sportarten, darunter Sitzvolleyball. Bei einem Turnier in Kigali qualifizierte sich das Team für London.

Kriegsversehrte spielen in einer Sporthalle in Ruandas Hauptstadt Kigali Volleyball. Foto: dpa
Kriegsversehrte spielen in einer Sporthalle in Ruandas Hauptstadt Kigali VolleyballBild: picture-alliance/dpa

"Die Spieler versuchen, sich auf die Zukunft zu konzentrieren, aber natürlich können sie ihre Geschichte nicht ablegen", sagt Pieter Karreman. Der niederländische IT-Manager hat in seiner Heimat behinderte und nichtbehinderte Volleyballer trainiert. Die Aufgabe in Ruanda ist ihm durch Zufall zu Ohren gekommen, sie hat ihn gereizt. Deswegen betreut er die Mannschaft, ohne ein Gehalt zu verlangen: "Die meisten meiner Spieler haben ihre Behinderung aus dem Krieg davon getragen. Ich habe mich über ihre Biografien informiert, falls es Spannungen geben sollte - aber die gibt es nicht. Sie arbeiten hervorragend zusammen."

Sportlich chancenlos - politisch selbstbewusst

Menschen mit Behinderung genießen in Ruanda weniger Akzeptanz als in Deutschland oder Großbritannien. Es soll Eltern geben, die ihre behinderten Säuglinge getötet haben. Es soll Schulen geben, die behinderte Kinder nicht aufnehmen wollten. Das Paralympische Komitee Ruandas will Menschen mit Einschränkungen in Ostafrika sichtbarer machen, und schon jetzt übernehmen die Nachbarn Uganda, Burundi und die Demokratische Republik Kongo Ansätze des Konzeptes.

"Wir haben viele Menschen mit Behinderungen zu Hause. Einige haben sich aufgegeben, sie fühlen sich wertlos", sagt Kapitän Emile Vuningabo. Er war mit fünf Jahren an Polio erkrankt, seitdem ist sein linkes Bein teilweise gelähmt, nun studiert er Computer-Wissenschaften. "Wir können nicht hoch springen und schmettern, aber wir können sitzen und schmettern. Das ist doch nicht schlechter. Wir wollen die Integration von behinderten Menschen in unserer Gesellschaft vorantreiben." Die ruandischen Sitzvolleyballer gehören in London zu den beliebtesten Außenseitern. Sportlich chancenlos - politisch selbstbewusst.

Wenn kostenfreies Essen zur Ablenkung wird

Immer mehr Kriegsversehrte treten bei den Paralympics an. Im Team der USA stehen zwanzig ehemalige Soldaten, die in Afghanistan oder im Irak verwundet wurden. Großbritannien hat acht frühere Soldaten nominiert. In beiden Ländern gibt es teure Förderprogramme, die eng mit Organisationen für Kriegsveteranen verbunden sind. In Ruanda bestehen dagegen nur drei größere Sportanlagen, das Sitzvolleyball-Nationalteam trainiert selten zusammen. Und wenn, dann auf hartem Beton, im Sand oder auf Gras. Nun in London versucht Trainer Pieter Karreman Disziplin vorzuleben, aber es fällt ihm schwer: "Die Ablenkungen sind zu groß. Die Spieler sind beeindruckt: von der Stadt, vom Paralympischen Dorf, von der Freizügigkeit. In Ruanda haben sie manchmal Wochen lang keine richtige Mahlzeit. Hier können sie kostenfrei essen. Das kann zum Problem werden."

Ruanda hat seine paralympische Premiere 2000 in Sydney gefeiert, mit einem Teilnehmer im Schwimmen. Nun ist das Land mit 14 Sportlern vor Ort. Dominique Bizimana, der Gründer des Paralympischen Komitees, trägt auf dem Volleyballfeld die Nummer 1. Mit 36 ist er der älteste Spieler. Kapitän Emile Vuningabo denkt an 2016, an den Austragungsort Rio de Janeiro: "Ich möchte mindestens an drei Paralympics teilnehmen. Unser Land entwickelt sich - unsere Mannschaft auch."