Ruanda-Rebellen Vor deutschem Gericht
22. April 2012Es ist ein Fall mit internationaler Reichweite, der seit knapp einem Jahr in Stuttgart verhandelt wird. Die Angeklagten: Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni. Der Vorwurf: Von Deutschland aus sollen sie Gräueltaten gegen Zivilisten im Osten der Demokratischen Republik Kongo gesteuert haben, als Anführer der berüchtigten ruandischen Miliz "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas" (FDLR). Die Rebellengruppe gilt als Nachfolgeorganisation der ruandischen Hutu-Armee und diverser Milizen, die 1994 für den Völkermord in Ruanda mit mehr als 800.000 Toten verantwortlich waren. Noch immer operiert die FDLR vom Kongo aus, versucht die Tutsi-Regierung unter Präsident Kagame in Ruanda zu stürzen. In Stuttgart müssen sich die beiden Männer für 26 Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 39 Kriegsverbrechen verantworten, darunter Plünderung, Brandstiftung, Tötung von Zivilisten und Massenvergewaltigungen.
Gericht muss "Befehlskette" klären
In diesen Tagen wird ein Schlüsselzeuge erneut gehört: M. hat viele Jahre in den Reihen der FDLR gekämpft. 2010 kehrte er der Miliz den Rücken, heute lebt er wieder in Ruanda. Im Februar und März hatte er die Organisation des FDLR-Militärhauptquartiers in der Provinz Nord-Kivu ausführlich beschrieben. Er bestätigte zudem, dass der Hauptangeklagte, Ignace Murwanashyaka, als "oberster Führer" Botschaften aus Deutschland an den militärischen Befehlshaber vor Ort, General Sylvestre Mudacumura, und an seine Kämpfer schickte.
Jetzt braucht das Gericht weitere Details, um die Befehlskette innerhalb der FDLR zu verstehen und zu rekonstruieren. Handelte es sich um "Motivationsbotschaften" oder um Befehle zu "planmäßigen" Gewaltverbrechen? Das müssen die Richter nun klären. Nur so könne die Verantwortung des FDLR-Präsidenten Murwanashyaka und seines Vertreters Musoni festgestellt werden, erklärt Tina Jongkind. Sie beobachtet den Prozess für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. "Die Anklage muss Ignace Murwanashyaka nachweisen, dass er wirklich Einfluss auf den obersten General der FDLR in der Demokratischen Republik Kongo hatte. Denn man könnte auch argumentieren, dass dieser dort eigenmächtig gehandelt hat und dass Herr Murwanashyaka nichts davon wusste", sagt Jongkind. Allerdings, fügt sie hinzu, könne man Murwanashyaka auch dann zur Rechenschaft ziehen, wenn er von den Plänen der FDLR wusste und nichts getan habe, um sie zu verhindern.
Erster Fall für das Völkerstrafgesetzbuch
Der Prozess zieht sich hin. Seit Mai 2011 hat es mehr als 70 Verhandlungstage gegeben - ein Ende ist nicht in Sicht. Laut Anklage unterhält die bewaffnete Hutu-Miliz ein "Schreckensregime" im Ostkongo. Laut Verteidigung ist die FDLR eine "Exilbürgerkriegspartei", die die Rückeroberung der Macht in Kigali anstrebt. Murwanashyaka übe dabei lediglich eine politische Funktion aus, argumentiert die Verteidigung. Ihre Strategie ist, die Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit der Zeugen in Frage zu stellen. Und sie kritisieren die deutsche Justiz.
Immer wieder betonen die Anwälte, die deutsche Justiz sei nicht in der Lage, einen solchen Prozess durchzuführen. Denn in Stuttgart machen die Richter zum ersten Mal Gebrauch vom Völkerstrafgesetzbuch, das 2002 in Kraft trat. Es sieht vor, dass ein deutsches Strafgericht mutmaßliche Kriegsverbrecher aus fremden Ländern zur Verantwortung ziehen kann - egal, wo sie ihre Taten ausgeübt haben sollen. Eine Aufgabe, die aus Sicht von Andrea Groß-Bölting, Anwältin der Verteidigung, nur der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) übernehmen kann. "Wir haben hier nicht die Möglichkeit, wirklich fundiert zu beurteilen, ob ein Zeuge glaubwürdig ist", sagt die Verteidigerin. Man wisse nicht, wie es tatsächlich im Kongo aussehe und wie sich der Krieg abgespielt habe. "Es gibt so viele Fragezeichen. Daher bin ich der Meinung, dass ein solches Verfahren nicht an einem deutschen Gericht geführt werden kann."
Beim Zeugen M. etwa stellt die Anwältin in Frage, ob er zwischen dem unterscheiden kann, was er selbst erlebt hat, und dem, was ihm erzählt wurde. M. bestreitet das. Er berichtet, er habe zum Beispiel gesehen, wie Vergewaltiger und Plünderer durch die FDLR-Führung oder durch kongolesische Dorfverantwortliche bestraft wurden. Doch er habe keine der Taten je mit eigenen Augen gesehen.
"Ich hätte sogar meine eigene Frau getötet"
Mehrfach betont er, dass die Täter "auf eigene Faust" gehandelt hätten. Von einer Strategie der "Massenvergewaltigung als Mittel der Kriegsführung" oder von einem Plan, eine "humanitäre Katastrophe" anzurichten, wie es in der Anklage steht, hat M. nie gehört. Auch habe er keine Befehle dazu bekommen. Ansonsten hätte er, sagt er, nicht einmal davor zurückgeschreckt, seine eigene kongolesische Frau zu töten. Das sei eine wichtige Aussage, sagt Tina Jongkind von Amnesty International. "Das lässt darauf schließen, dass er Murwanashyaka als obersten Führer betrachtet hat und dass er seine Befehle ausgeführt hätte."
Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni verstehen jedes Wort im Gerichtssaal, egal, ob auf Deutsch oder auf Kinyarwanda. Beide leben seit den 1980er Jahren in Deutschland. Für die FDLR-Kämpfer im Kongo war die Verhaftung der Milizen-Chefs ein harter Schlag, sagt Tina Jongkind von Amnesty International. "Viele Zeugen haben bislang ausgesagt, dass es deutlich mehr Rückkehrer nach Ruanda gibt, seit die beiden Anführer verhaftet wurden. Das heißt, dass Kämpfer die FDLR verlassen haben und dass die Motivation geschwächt wurde". Allerdings sei die Gruppe immer noch sehr aktiv, wie Berichte von Menschenrechtsorganisationen zeigten.
Das ist auch ein Grund, warum die zehn Opferzeugen – hauptsächlich Vergewaltigungsopfer – anonym per Videoübertragung aussagen werden. Ihre Zeugnisse und die von UN-Experten werden mit Spannung erwartet. Auch sie könnten wichtige Erkenntnisse zu den Vorwürfen über "planmäßige" sexuelle Gewaltverbrechen sowie zur Kommandostruktur der FDLR liefern und damit die Verantwortung von Murwanashyaka und Musoni beweisen. Die Verteidigung fordert einen Freispruch, die Bundesgeneralanwaltschaft eine lebenslange Freiheitsstrafe.