Ruanda-Prozess: Siegt das Völkerrecht?
19. Dezember 2018Es war der erste große Kriegsverbrecher-Prozess auf der Basis des Weltrechtsprinzips in Deutschland: Der Ruanda-Prozess am Oberlandesgericht in Stuttgart.
Angeklagt waren zwei ruandische Männer, die über Jahre eine Rebellengruppe im Ostkongo geleitet haben sollen, während sie in Deutschland ein ganz normales Leben führten. 2015 wurden der Hauptangeklagte Ignace Murwanashyaka und sein Vize Straton Musoni wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen zu 13 beziehungsweise acht Jahren Haft verurteilt.
Das Weltrechtsprinzip ermöglicht Verfahren wie dieses: Denn schwere Verbrechen können demnach in einem anderen Land als dem, wo sie begangen wurden, geahndet werden. Das gilt vor allem für Straftaten, die durch das Völkerrecht verboten sind, wie zum Beispiel Kriegsverbrechen.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe wird an diesem Donnerstag (20.12) verkünden, ob das Urteil rechtskräftig bleibt. Die Bundesanwaltschaft fordert, Ignace Murwanashyaka als den langjährigen Präsidenten der FDLR ("Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas") als Täter und nicht nur wegen Beihilfe zu verurteilen. Die Verteidigung fordert die Einstellung oder die Neuauflage des Verfahrens. Eine Revision des Urteils könnte weitreichende Folgen haben, auch für künftige Strafverfahren.
Zu wenig Informationen für die Opfer?
Für Andreas Schüller von der Menschenrechtsorganisation "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR) fällt die Bilanz des Ruanda-Prozesses "zwiespältig" aus.
Das Verfahren habe bewiesen, dass Kriegsverbrecherprozesse dieser Größenordnung in Deutschland machbar seien, sagt der Rechtsanwalt im Gespräch mit der DW. Ein Riesenversäumnis sei allerdings, "dass so ein Mammutprozess hier geführt wird, aber die Bundesrepublik nicht dafür gesorgt hat, dass in der Region angemessen über das Verfahren informiert wurde." Der Effekt, den der Prozess auf die Betroffenen und deren Gerechtigkeitsempfinden haben könne, sei damit verpufft.
Sylvain Lumu, Geschäftsführer von "Ligue des électeurs", will das Verfahren als einen Baustein in der Vergangenheitsbewältigung verstanden wissen. "Alles, was der Aufarbeitung der Verbrechen dient, dient auch den Opfern", sagt der Leiter der Menschenrechtsorganisation aus der Demokratischen Republik Kongo.
Kritik daran, dass das Verfahren nicht vor Ort in der Nähe der Opfer stattgefunden hat, kann er verstehen, gewichtet die Dinge aber anders. "Ich glaube nicht, dass Prozesse in dieser Dimension im Kongo oder in Ruanda möglich wären", so Lumu gegenüber der DW.
Andreas Schüller vom ECCHR sieht das Weltrechtsprinzip deshalb als Möglichkeit, "Beweise zu sichern, die vielleicht in ein paar Jahren nicht mehr vorhanden sind."
Das Ziel: Prozesse in den Täterstaaten
Der grüne Außenpolitiker Omid Nouripour warnt davor, sich auf den ersten Erfolgen des Weltrechtsprinzips auszuruhen. "Es kann nicht sein, dass wir uns in Ruanda jetzt nicht mehr um Gerechtigkeit bemühen, weil man ja tatsächlich auch in Norwegen klagen kann", sagt Nouripour der DW. "Was sicher weit besser wäre als Kriegsverbrecher aus der Zentralafrikanischen Republik in Deutschland vor Gericht zu stellen, wäre, sie in der Zentralafrikanischen Republik vor Gericht gestellt werden."
Völkerrechtsexperte Schüller sieht hier erste positive Entwicklungen. Das Oberlandesgericht Hamm verwies 2017 ein Kriegsverbrecherverfahren zurück nach Ruanda, weil es für den Beschuldigten dort ein rechtsstaatliches Verfahren erwartete. Im Fall Murwanashyaka und Musoni war das noch anders.
Folgen weitere Mammutprozesse?
Eike Fesefeldt von der Staatsanwaltschaft Stuttgart schrieb zuletzt in einem Gastbeitrag für das Magazin "Legal Tribune Online", dass sich die deutsche Justiz auf noch größere Strafverfahren vorbereiten sollte - zum Beispiel gegen ranghohe Kriegsverbrecher aus dem syrischen Bürgerkrieg.
Andreas Schüller und seine Mitstreiter arbeiten genau daran. Nach eigenen Angaben hat der Verein ECCHR mehrere Strafanzeigen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher in Syrien an deutschen Gerichten eingereicht, darunter auch gegen Personen aus dem Umfeld von Machthaber Assad. So wurde ein Haftbefehl gegen Jamil Hassan, den Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, erwirkt. "Wir wollen sehen, dass auch Verfahren gegen staatliche Akteure geführt werden, weil gerade im Syrien-Konflikt das Assad-Regime natürlich die größte Verantwortung für die Völkerstraftaten trifft", erläutert Schüller.
Seit 2012 führt die Bundesanwaltschaft systematische Befragungen syrischer Geflüchteter durch. Unter ihnen sind viele Opfer, aber auch mutmaßliche Täter von Kriegsverbrechen. "Die deutschen Behörden haben direkten Zugriff auf belastendes Material", sagt Professor Robert Heinsch vom Institut für Humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum im Gespräch mit der DW.
Urteil wird große Wellen schlagen
Heinsch warnt jedoch vor zu viel Euphorie, gerade was mögliche Prozesse gegen führende Köpfe angeht: "Ein deutsches Gericht kann nicht ohne weiteres den Außenminister oder das Staatsoberhaupt eines anderen Landes anklagen, solange diese Person im Amt ist."
Bei internationalen Tribunalen, wie dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, könne die Immunität eines Staatsoberhaupts durch einen Sicherheitsratsbeschluss aufgehoben werden. Ein Oberlandesgericht hat diese Möglichkeit nicht.
Wenn der Bundesgerichtshof nun sein Urteil fällt, geht es also um weit mehr als nur um das Schicksal der beiden mutmaßlichen ruandischen Kriegsverbrecher. Wird das Stuttgarter Urteil bestätigt, ist die Tür für weitere Prozesse weit offen. Verwirft der Bundesgerichtshof die Entscheidung, könnten Kriegsverbrecher-Prozesse in Deutschland noch länger, noch teurer und noch schwieriger werden.