Rousseff nimmt am G20-Gipfel in Seoul teil
11. November 2010Die G20-Treffen waren in den vergangenen acht Jahren besonders dick im Terminkalender von Brasiliens Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva unterstrichen. Auf diesem weltweit beachteten Podium stieg der ehemalige Gewerkschafter zum wortgewaltigen Anführer des Südens auf. Auch vor dem Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Seoul schlägt Lula da Silva Alarm und verlangt Sofortmaßnahmen im „Währungskrieg“. „Es kann nicht sein, dass die reiche Welt ihre Probleme nicht löst. Wer leidet, ist die arme Welt“, wettert Brasiliens scheidendes Staatsoberhaupt. Auch in Seoul will der populäre Lula, der sich eigentlich im Hintergrund halten und seiner gewählten Nachfolgerin Dilma Rousseff das Terrain überlassen wollte, seine Botschaft unmissverständlich vorbringen.
„Es gibt keine individuelle Lösung“, verteidigt auch Rousseff vor ihrer Abreise nach Südkorea die brasilianische Haltung. Es wird der erste Auftritt der 62-Jährigen auf internationalem Parkett als gewählte Präsidentin sein. Sie ist, und das zeigt die internationale Wertschätzung für Brasilien, zu allen offiziellen Events der Staats- und Regierungschefs geladen. „Es geht nichts mehr ohne Brasilien“, sagt auch Peter Fischer-Bollin von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brasilien. Außenpolitisch werde Brasilien eine gewichtigere Rolle spielen und seine Position als Vertreter Lateinamerikas und des Südens ausbauen.
„Brasilien ist nicht Russland“
Auf insgesamt acht Auslandsreisen soll Rousseff ihren politischen Ziehvater Lula noch in den verbleibenden Wochen bis zu ihrem Amtsantritt am 1. Januar 2011 begleiten und damit auch international bekannter werden. „Brasilien ist nicht Russland“, sagt Fischer-Bollin und widerspricht damit Vermutungen, Rousseff werde nur als Platzhalterin für eine dritte Amtszeit des populären Lula agieren wie etwa Dmitri Medwedew in Russland. Dilma pflege einen anderen Politikstil. „Die Politik könnte rationaler werden“, sagt er. Nach Meinung von Beobachtern könnte damit das harte Image von Rousseff künftig ihr größter Vorteil sein. „Rousseff verkörpert in erster Linie Kompetenz“, sagt Claudio Couto, Politikwissenschaftler von der renommierten Getulio-Vargas-Stiftung in São Paulo.
Ein „weiter so“ wird es nicht geben
Im brasilianischen Wahlkampf lautete das Schlüsselwort für den Erfolg von Rousseff Kontinuität. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin versprach die Fortführung der aufwendigen Sozialprogramme, will das Wirtschaftswachstum weiter ankurbeln und die Inflation niedrig halten. Genauso brachte Präsident Lula da Silva die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas die vergangenen acht Jahre auf Wachstumskurs. Untergegangen ist allerdings bei all der Euphorie, dass gleichzeitig die Staatsausgaben immer weiter in die Höhe schossen und die Klagen über ausufernde Bürokratie und Korruption zunahmen. Noch am Wahlabend bereitete Rousseff die Brasilianer deshalb auf unpopuläre Maßnahmen vor. „Vor uns liegen schwierige und herausfordernde Aufgaben“, verkündete sie. „Das brasilianische Volk akzeptiert nicht, dass der Staat mehr ausgibt, als er einnimmt.“ Es könne kein „weiter so“ geben.
In der Ära Lula da Silva haben sich die Ausgaben für die rund 127.000 Staatsangestellten verdoppelt. Auch einfache Staatsangestellte können teilweise schon mit Anfang 50 in den Ruhestand wechseln und erhalten trotzdem exorbitante Pensionen. Hier will Rousseff den Rotstift ansetzen.
Nach Angaben der Zentralbank beendete der Staat das Jahr 2009 mit einem Negativsaldo von 104,6 Milliarden Reais (43,6 Milliarden Euro). Innerhalb eines Jahres verdoppelte sich damit das Haushaltsdefizit auf 3,3 Prozent.
Internationales Schlusslicht im Bürokratieabbau
Auch wenn in Brasilien im Geschäftsverkehr das berühmte „jeitinho“ („kleine Tricks“) vieles möglich macht, hat das Land inzwischen alle Negativrekorde in Sachen Bürokratie gebrochen. Nach einer Untersuchung der Weltbank ist Brasilien das Land, in dem die Unternehmen die meiste Zeit mit Bürokratie vergeuden: insgesamt 2.600 Stunden und damit 108 Tage pro Jahr. Brasilien nimmt in einem Ranking der am wenigsten investitionsfreundlichen Länder den unrühmlichen Platz 127 von 183 ein und liegt damit noch hinter Bangladesch (107) und Uganda (122). „Es reicht nicht, dass Dilma verspricht, das Steuersystem zu vereinfachen“, sagt der Ökonom Paulo Rabello de Castro. Hinzukommen müsse eine umfassende Steuerreform und Maßnahmen, wie Bürokratie abgebaut und die Staatsausgaben nachhaltig gesenkt werden können.
Fußball-Weltmeisterschaft muss Investitionen ankurbeln
Einig sind sich auch alle Analysten darin, dass Brasilien unbedingt seine Investitionsrate, die derzeit bei 18 Prozent liegt, erhöhen muss. Auch hier liegt die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas abgeschlagen hinter Indien (35 Prozent) und Mexiko (25 Prozent). Vor allem mit Blick auf die sportlichen Großereignisse Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und Olympische Spiele 2016 in Rio de Janeiro muss das Land in den Ausbau von Infrastruktur und Logistik investieren. Nach Berechnungen der Getulio-Vargas-Stiftung sind insgesamt 142 Milliarden Reais (59 Milliarden Euro) an Investitionen notwendig, nur um das Land fit für die beiden Sport-Ereignisse zu machen. Viele der Aufträge für Hotels, Stadionbauten oder den Flughafenausbau sind allerdings noch nicht einmal ausgeschrieben, so dass auch hier die Zeit mehr als knapp wird.
Autorin: Susann Kreutzmann
Redaktion: Marco Müller