Rousseff: Wollen friedliche Macht werden
9. Juni 2015Die 67-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin Dilma Rousseff ist seit 2011 die Präsidentin Brasiliens. Die Sozialdemokratin ist damit die erste Frau an der Spitze der Republik mit ihren mehr als 200 Millionen Bürgern. Im DW-Exklusivinterview spricht Rousseff über Wirtschaft, Diplomatie - und Fußball. Dies ist die leicht gekürzte deutsche Fassung des Video-Interviews in brasilianischer Sprache.
DW: Frau Präsidentin, Sie fahren nach Europa. Welche Erwartungen haben Sie an den Lateinamerika-Europa-Gipfel und wie schätzen Sie die Beziehungen zwischen den Kontinenten ein?
Dilma Rousseff: Das sind strategisch wichtige Beziehungen für unsere Region. Europa, wenn man es als Einheit sieht, ist ein großer Handels- wie auch Investitionspartner. Wir wollen diese Beziehungen ausbauen.
DAS große Projekt von Lateinamerikas Binnenmarkt Mercosul (spanisch: Mercosur) und der Europäischen Union ist das Freihandelsabkommen, das schon seit 20 Jahren verhandelt wird. Weshalb kommt es nicht zum Abschluss?
Aus der Perspektive von Mercosul und vor allem aus der Perspektive von Brasilien ist es existenziell wichtig, dass wir den Vertrag noch in diesem Jahr abschließen. Ob wir das allerdings tatsächlich schaffen, hängt von beiden Seiten ab. Wir Brasilianer glauben, dass Mercosul bereit sein könnte. Unklar ist allerdings, ob es alle gleichzeitig schaffen. Aber die Verträge sowohl von Mercosul als auch der EU lassen es zu, dass einzelne Mitgliedsländer bei der Realisierung des Freihandelsabkommens unterschiedliche Geschwindigkeiten gehen.
"Brasilien wird alles Mögliche tun und alles Unmögliche versuchen"
Es wird immer mein Ziel sein, dass wir gemeinsam verhandeln - als eine Einheit. Brasilien wird aber alles Mögliche tun und alles Unmögliche versuchen, dass wir das Abkommen abschließen. Für dieses Jahr noch ist hier in Brasília der nächste Gipfel geplant.
Brasilien ist eine Weltmacht und strebt einen Sitz im UN-Sicherheitsrat an. In letzter Zeit scheint es aber, als sei das Interesse an internationaler Politik zurückgegangen. Bereiten sie eine neue Initiative vor, zum Beispiel gemeinsam mit Deutschland, oder ist Innenpolitik momentan wichtiger?
Für uns ist ein Wandel im UN-Sicherheitsrat weiterhin ein grundlegendes Anliegen. Wir sind gemeinsam mit Deutschland Teil der Gruppe, die systematisch dafür kämpft. Wir glauben, dass der aktuelle Sicherheitsrat nicht die Realität der Welt widerspiegelt. Dazu kommt, dass die momentane Zusammensetzung es nicht schafft, Lösungen für die Probleme der Welt zu finden.
"Machtverhältnisse im IWF entsprechen nicht der ökonomischen Wirklichkeit"
Wir verteidigen unsere Initiative nachdrücklich und werden nicht aufgeben. Ausserdem muss auch ein Wandel in den internationalen Finanzinstitutionen her. Die Machtverhältnisse im Internationalen Währungsfonds und in der Weltbank entsprechen nicht der ökonomischen Realität der Welt.
Frau Präsidentin, sie werden kritisiert, dass sie nicht klarer Position beziehen zur Verfolgung der Opposition in Venezuela. Wie stehen Sie dazu?
Ich glaube, dass viele es gerne sehen würden, dass wir Venezuela den Rücken zukehren, so wie es sehr lange mit Kuba gemacht wurde. Auch bei Kuba haben wir uns dagegen entschlossen, obwohl wir unterschiedliche Vorstellungen haben von funktionierenden Gesellschaften wie auch von politischen und wirtschaftlichen Prozessen. Trotzdem waren wir immer der Meinung, dass Unterstützung das Beste ist. Im Falle Kubas hieß das immer Unterstützung beim Wandel. Mittlerweile haben die Amerikaner die Öffnung initiiert und wir begrüßen die Initiative von Präsident Obama und Präsident Castro, weil sie das Ende des Kalten Krieges in Lateinamerika bedeutet.
"Wir in Brasilien sind keine Putschisten"
Wir haben schon davor Kuba bei Großprojekten geholfen, wie beim Hafen von Mariel. Eine brasilianische Firma hat dort groß investiert. Das hat mehr Resultate gebracht als die 40 Jahre lange Blockade. Die hat keinerlei Wandel und keinerlei Veränderung für Kuba gebracht. Das gleiche gilt für Venezuela. Wir in Brasilien sind keine Putschisten. Wir sind auch nicht für Einmischung oder militärische Intervention in Nachbarländern. So etwas machen wir nicht. Wir sind ein grundpazifistisches Land. Venezuela als eine Gefahr für die USA darzustellen, das hilft nicht, die Demokratie in Venezuela zu stärken.
Jeder, der darauf hofft, dass sich Brasilien als Regionalmacht klarer zur Unterdrückung der Opposition in Venezuela positioniert, wird also warten müssen?
Wir werden niemals eine Regionalmacht, wenn wir den Knüppel in der Hand halten. Eine Regionalmacht muss nicht eingreifen. Sie muss vielmehr fähig sein, die anderen Gesellschaften zu verstehen und für ihren Wandel zu kämpfen. Die Welt hat sich an militärische Interventionen gewöhnt. Ich glaube nicht, dass das irgendeiner Region je Stabilität gebracht hat. Ich denke vielmehr, dass Brasilien ein Brückenkopf für den Dialog, das Verstehen und gegen Intoleranz sein sollte. Natürlich, das möchte ich klar sagen, werden wir gegen Verstöße gegen demokratische Grundregeln immer eine ablehnende Position beziehen.
Von außen betrachtet wirkt Brasilien weiterhin sehr mit Korruptionsskandalen beschäftigt. Der Kampf gegen Korruption ist seit Ihrem ersten Mandat ein Projekt von Ihnen. Viele Brasilianer aber glauben, dass sie von der Korruption im Petrobras-Konzern wussten, und fordern Ihren Rücktritt. Wie wollen Sie die überzeugen, dass Sie die Richtige für den Kampf sind?
Es ist eine Belastung, dass viele denken, dass wir Politiker für die Korruption verantwortlich sind. Aber diese Belastung ist unbedeutend neben der Tatsache, dass ich garantieren kann, dass sich Brasilien in diesem Gebiet geändert hat. Nie zuvor wurden Beteiligte von Korruption in Brasilien verhaftet. Das ist nun so.
Ein Jahr nach der WM: Haben Sie sich schon vom 7:1 erholt?
Es hat weh getan, oh ja, es hat wirklich weh getan. Aber Sie wissen, dass wir Brasilianer einen Charakterzug haben, der uns auszeichnet. Brasilianer geben niemals auf, vor allem nicht im Fußball. Wartet nur ab, eines Tages werden wir zurückkommen. Und dann werdet ihr schon sehen. Es gibt ein Lied, das sehr gut dazu passt, das kennen Sie bestimmt. (Rousseff fängt an zu singen). Verstehen Sie? Das bedeutet soviel wie: Jeder, der mein Leid erlebt hätte, würde weinen. Es aber überwinden, das können nur wenige.