Rotes Meer und Huthis: Welche Folgen haben die US-Angriffe?
15. Januar 2024Nach einer wochenlangen Serie von Anschlägen auf internationale Frachtschiffe durch jemenitische Huthi-Rebellen im Roten Meer haben US-Präsident Joe Biden und seine Alliierten ihre Warnungen nun in die Tat umgesetzt: Am Donnerstag griffen die USA zusammen mit Großbritannien - und mit der Unterstützung von Australien, Bahrain, Kanada und den Niederlanden - vorwiegend militärische Stellungen der vom Iran unterstützten Huthi-Miliz im Jemen an. Am Samstagmorgen kam es zu einem erneuten Luftschlag durch das US-Militär.
Der US-Präsident droht mit weiteren Maßnahmen, wenn die Huthis "ihr abscheuliches Verhalten fortsetzen". Wenn die Milz weiter so vorgehe, würden die USA mit ihren Verbündeten darauf entsprechend antworten, so Biden am Freitag.
Da die Huthi enge Verbindung zum Iran pflegen, mutmaßlich vom Mullah-Regime in Teheran finanziell und logistisch unterstützt werden, läuft nun die Debatte über das Vorgehen der USA: Waren die Militärschläge wirklich notwendig oder heizt der Einsatz im Roten Meer den Konflikt mit dem Iran nur weiter an?
Huthi-Angriffe lähmen Weltwirtschaft
Seit November greift die schiitische Huthi-Miliz mit Drohnen- und Raketen internationale Handelsschiffe im Roten Meer an, als Reaktion auf den Gaza-Krieg.
Ziel sind Frachter aus westlichen Staaten, denen die Huthi Israelnähe vorwirft. Damit will sich die Miliz mit der von vielen Staaten als Terrorgruppe eingestuften Hamas solidarisch zeigen, die mit ihrem Überfall auf Israel Anfang Oktober den Gaza-Krieg ausgelöst hatte.
Die Huthi-Angriffe auf die wichtige Handelsroute durch das Rote Meer haben weitreichende Folgen: Die Internationale Schifffahrtskammer (ICS) teilte auf BBC-Anfrage mit, dass 20 Prozent der weltweiten Containerfrachter inzwischen das Rote Meer meiden und stattdessen die viel längere Route um die Südspitze Afrikas nehmen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) ermittelte, dass der Welthandel um 1,3 Prozent gesunken ist, innerhalb eines Monats von November bis Dezember 2023.
Politischer Druck auf Biden war hoch
Wegen des immensen wirtschaftlichen Schadens der Huthi-Angriffe wuchs auch in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Wochen der politische Druck auf die US-Regierung, militärisch zu reagieren.
Der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Mike Johnson, spricht von einer "längst überfälligen Maßnahme" und hofft sogar auf einen "echten Wandel in der Herangehensweise der Biden-Administration an den Iran und seine Stellvertreter, die so viel Unheil anrichten." Amerika müsse immer Stärke zeigen, so Johnson auf seinem Social-Media-Kanal, "besonders in diesen gefährlichen Zeiten".
Auch der Sicherheitsexperte Mark F. Cancian vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS) befürwortet die Militärschläge gegen Huthi-Stellungen: "Der Iran hat den Krieg durch seine Stellvertreter im Irak und im Jemen eskalieren lassen. Die Vereinigten Staaten haben darauf reagiert. Präsident Biden hätte die Angriffe nicht mehr lange ignorieren können." Eine generelle Änderung der Iran-Politik könne er jedoch nicht erkennen, so Cancian. Stattdessen betont er die Dringlichkeit des Vorgehens aufgrund der ökonomischen Interessen.
Auch andere Experten befürworten mit Blick auf die ökonomische Situation Bidens Entscheidung, die Huthis militärisch zu bekämpfen. William F. Wechsler, Leiter der Nahost-Programme des Atlantic Council, schreibt in einer Stellungnahme: "US-Präsident Joe Biden sollte für die Angriffe gegen die Huthis am Donnerstag gelobt werden." Der internationale Handel werde durch die Attacken auf Frachtschiffe in der Meerenge eingeschränkt, so Wechsler. Die Vereinigten Staaten hätten die Freiheit der Schifffahrt seit langem als ein "vitales nationales Sicherheitsinteresse" erkannt. "Dieser Schlag hat dazu beigetragen, diese Interessen zu schützen."
Irans Stellvertreter-Strategie
Mit den Militärschlägen haben die USA jedenfalls in der Auseinandersetzung mit den Huthis ihre Strategie geändert - sicher kein einfacher Schritt. Denn bislang setzte die Biden-Regierung auf diplomatische Warnungen, um der Miliz im Jemen Grenzen aufzuzeigen. Wie genau die Huthis darauf reagieren, wird sich zeigen. Eine klare Vorhersage sei schwer zu machen.
Größer ist die Sorge darum wie der US Angriff von der Führung in Teheran aufgenommen wird. Birgt die Eskalation am Roten Meer nun die Gefahr einer direkten Konfrontation mit dem Iran?
CSIS-Experte Mark Cancian verneint: "Die Strategie des Iran hatte von Anfang an darin bestanden, den Krieg zu regionalisieren. Dies zeigt sich in den Bemühungen des Irans, die Gewalt im Südlibanon, im Westjordanland, in Syrien, im Irak und am Roten Meer eskalieren zu lassen. Bislang war das nicht erfolgreich."
Die Huthis seien eine lokale Herausforderung, es fehle ihnen jedoch an der Kampfkraft, um diesen Konflikt für die Vereinigten Staaten zu einem größeren regionalen Konflikt zu machen. "Das kann nur der Iran, aber seine Politik besteht in der Regel darin, Stellvertreter zu bewaffnen und zur Gewalt zu ermutigen, sich aber nicht direkt einzumischen.", so Cancian.
In diese Einschätzung reiht sich auch Barbara Slavin ein. Sie ist Mitglied des Stimson Centers in Washington und Dozentin für internationale Angelegenheiten an der George Washington Universität: "Die Iraner sind sehr froh darüber, dass die Araber bekämpft werden. Es ist ihnen egal, wie viele Araber getötet werden, solange sie nicht direkt involviert sind. Deshalb haben sie diese Stellvertreter da draußen."
Dennoch sieht Slavin in dem US-Angriff einen "unnötigen" Schritt, da er vom eigentlichen Problem ablenke: dem Israel-Hamas-Krieg. Ihre Forderung an die US-Administration ist deutlich: "Sagt den Israelis, sie sollen einen Waffenstillstand in Gaza ausrufen. Wenn ihr die Angriffe stoppen wollt, dann stoppt den Krieg."
Die Agenda der "Achse des Widerstands" wird gestärkt
Für Fatima Abo Alasrar, Forscherin am Middle East Institut in Washington, gibt es kein richtig und kein falsch: "Die USA befinden sich in einer Situation, in der sie es nur falsch machen können. Nichts zu tun war keine akzeptable Reaktion. Wenn jemand weiter provoziert, muss man reagieren." Der US-Angriff dürfe jedoch nicht getrennt von den regionalen Entwicklungen verstanden werden.
Der Iran und die Huthis könnten aufgrund der amerikanisch-britischen Militärschläge ihr Ansehen in der Region steigern: "Es ist möglich, dass der Angriff zu einem Narrativ beigetragen hat, das von den Huthis oder dem Iran genutzt werden könnte, um ihre Positionen gegen den Westen zu stärken."
Der Israel-Hamas-Krieg sei ein günstiger Anlass für die Huthis gewesen, sich als ein wichtiges Mitglied der pro-iranischen "Achse des Widerstands" zu inszenieren und ihre Popularität in der jemenitischen Bevölkerung zu mehren: "Die Huthis nutzen den Gazastreifen und die palästinensische Sache, um Sympathien zu erregen, während ihr eigentliches Ziel darin besteht, mehr Legitimität im Jemen zu erlangen und der iranischen Agenda in der Region zu dienen", sagt Alsrar.
Ähnliche Interessen habe auch die iranische Regierung, die im Ringen um ihre Legitimation im eigenen Land antiamerikanische wie auch anti-westliche Narrative befeuern müsse. Damit sei jeder Schritt des Westens ein diplomatischer Balanceakt: "Die 'Achse des Widerstands' verursacht Chaos in der Region. Das ist es, was die USA in erster Linie bekämpfen müssen. Der Iran verwickelt die Vereinigten Staaten in dieses Chaos. Das ist eine Art geopolitische Falle für die USA." Jeder weitere Schritt müsse gut überlegt und abgewogen sein, damit Iran ihn nicht für sich nutzen könne.