Romane zum Ersten Weltkrieg
23. Juni 2014Die literarische Ausbeute zum Ersten Weltkrieg fällt auf dem deutschen Buchmarkt gering aus. Anders sieht es auf dem Sachbuchsektor aus, wo sich zahlreiche, oft tausendseitige historische Abhandlungen mit einem neuen Blick mit den Kriegsjahren 1914 bis 1918 auseinandersetzen.
Deutsche Schriftsteller halten sich zurück. Es sind vor allem französische und britische Schriftsteller, die mit ihren Prosawerken in diesem Gedenkjahr daran erinnern, dass das Grauen des Weltkriegs den Menschen auch literarisch nahe gebracht werden kann. Tatsächlich kommt der Leser durch die Begegnung mit fiktiven Charakteren, die auf den Schlachtfeldern kämpfen und sterben, der Geschichte näher und kann ganz andere Leseerfahrungen machen als bei der Lektüre der Schilderungen renommierter Historiker wie Christopher Clark oder Herfried Münkler.
Nachgeholte Übersetzungen
Es fällt allerdings auf, dass die neu ins Deutsche übersetzten Bücher der französischen, britischen oder irischen Autoren meist schon vor ein paar Jahren zu Papier gebracht worden sind. Erst angesichts der bevorstehenden Erinnerungswelle an den Ersten Weltkrieg trauten sich die Verlage offenbar an das Thema und eine Übersetzung ins Deutsche heran.
Eine von ihnen ist die englische Schriftstellerin Pat Barker, die sich nicht zum ersten Mal intensiv mit dem Geschehen des Ersten Weltkriegs beschäftigt. Im Jahr 2012 schrieb sie ihren fulminanten Roman "Tobys Zimmer". Auch der Ire Sebastian Barry legte sein Epos "Ein langer, langer Weg" bereits im Jahr 2005 vor. Und auch die beiden wichtigsten Neuerscheinungen aus Frankreich, die Bücher von Jean Echenoz und Éric Vuillard, erschienen in ihren Heimatländern bereits vor zwei Jahren.
Das Kriegsgeschehen auf den Punkt gebracht
Auffallend ist die Kürze und Prägnanz der französischen Erzählungen. Echenoz' Kurzroman mit dem schlichten Titel "14" umfasst gerade einmal 124 Seiten. Vuillards Abhandlung "Ballade vom Abendland", ein Hybrid aus Roman und Essay, kommt gerade mal auf 170 Seiten. Angesichts der Fülle des Materials historischer Forschungen, die zum Thema vorliegen, überrascht das auf den ersten Blick. Doch beiden Autoren ist mit der strengen Konzentration auf das Wesentliche große Literatur gelungen.
Jean Echenoz, Jahrgang 1947, verfolgt in seinem Buch das Schicksal von fünf französischen Männern, die in den Krieg ziehen und einer Frau, die daheim bleibt und um Freund und Bruder bangt. In kurzen, skizzenhaften Sequenzen beschreibt der Autor die Lebenslinien seiner Charaktere. Das ist in seiner Verknappung, in seiner einfachen Sprache und der manchmal nur angedeuteten Erzählweise ebenso eindrucksvoll wie bedrückend.
Vom Schlieffen-Plan und seiner Umsetzung
Einem ganz anderen literarischen Konzept ist der 1968 in Lyon geborene Éric Vuillard gefolgt. Sein Buch kommt theoretischer daher, bedient durchaus auch klassische, narrative Lesererwartungen, unterläuftt diese aber immer wieder mit essayistischen Passagen. Wenn Vuillard beispielsweise mit spitzer Feder über Alfred Graf von Schlieffen, den Autor des berühmten Schlieffen-Plans, schreibt, entlarvt er zugleich das Kernproblem jeglicher, dümmlicher Kriegsrhetorik. Vuillard ist so ein kluges und zugleich hintergründiges Werk gelungen.
Ein paar Seiten mehr muss der Leser beim irischen Autor Sebastian Barry bewältigen. Dessen Roman "Ein langer, langer Weg" heftet sich an die Fersen des gerade zum Krieg eingezogenen achtzehnjährigen Willie Dunne. Der wird wie hundertausende andere junge Männer auch auf den Schlachtfeldern Flanderns und an der Somme verheizt. Hunger und Kälte, ununterbrochene Angriffe, nächtlicher Kanonendonner und gelbe Giftgaswolken - der Schrecken der Mann-gegen-Mann-Kämpfe wird plastisch vor Augen geführt. Doch Barry verleiht seinem jugendlichen Helden ein individuelles Gesicht. Der Leser leidet mit Willie Dunne. Und er lernt zudem noch etwas über ein hierzulande wenig beachtetes Kapitel irisch-britischer Geschichte. Dass Willie Dunne zunächst für die Engländer gegen die Deutschen in den Kampf zieht, später aber dann in seiner Heimat aufständische Landsleute bekämpfen soll, zeigt einmal mehr die Absurdität des Kriegsgeschehens.
Krieg aus der Ferne betrachtet
Es ist verwunderlich, dass deutschsprachige Schriftsteller kaum zum Jahr der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg beigetragen haben. Vielleicht lässt es sich damit erklären, dass in Deutschland immer noch die Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs im Vordergrund steht. In Frankreich und Großbritannien ist das anders. Doch immerhin legt der in Boston geborene, aber schon lange in Deutschland lebende und auch auf Deutsch schreibende Autor Christoph Poschenrieder ein Buch zur literarischen Aufarbeitung vor – wenn auch "nur" mit einer am Rande des Krieges spielenden Geschichte.
Poschenrieder erzählt vom Leben des Kunsthistorikers Jacob Tolmeyn, der am Vorabend des Ersten Weltkriegs nach Italien aufbricht, um sich dort auf die Spuren des Staufenkönigs Friedrich II (1194-1250) zu heften. Für den homosexuellen und gänzlich unmilitärischen Tolmeyn ist die Reise ins südliche Italien auch eine Flucht vor preußischem Militärdrill und beginnender Kriegseuphorie in der Heimat. Poschenrieders sehr unterhaltsam geschriebener Roman verknüpft geschickt große Weltgeschichte mit Biografie und Privatem.
Poschenrieders Buch konfrontiert den Leser mit einer Zeit, die zwar 100 Jahre zurückliegen mag, die aber eines aufzeigt: Auch im Hier und Jetzt, in einer Welt voller Kriege, ob in Syrien oder in der Ukraine, tun sich immer wieder enorme Gräben auf zwischen den "normalen" Menschen mit all ihren Nöten, Hoffnungen und Lebensträumen und der offiziellen Politik.
Zum Weiterlesen:
Jean Echenoz: 14, Hanser Verlag, ISBN 987-3-446-24500-6; Éric Vuillard: Ballade vom Abendland, Matthes & Seitz, ISBN 978-3-88221-193-1; Sebastian Barry: Ein langer, langer Weg, Steidl, ISBN 978-3- 86930-663-6; Christoph Poschenrieder: Das Sandkorn, Diogenes, ISBN 978-3-257-06886-3.