ROG: Mehr Journalisten gezielt getötet
29. Dezember 2020Es ist nur ein kurzes Telefonat über Zoom. Najib Sharifi, Leiter des "Afghan Journalists Safety Committee", einer Nichtregierungsorganisation für den Schutz von Journalisten, wirkt erschöpft, die vergangenen Wochen seien anstrengend gewesen. "Ich glaube, es war noch nie so beängstigend, wie jetzt gerade. Denn es wirkt so, als seien alle Journalisten in Gefahr", sagt Sharifi. "Innerhalb von nur sechs Wochen haben wir vier Journalisten verloren".
Mit seinen Ängsten ist Najib Sharifi nicht allein. Das Jahr 2020 war ein tödliches für Journalisten auf der ganzen Welt, wie die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) in ihrer jährlichen Bilanz feststellt. Bereits Mitte Dezember hatte ROG in einem ersten Teil der Jahresbilanz über inhaftierte, entführte und verschwundene Journalisten berichtet. Im zweiten Teil geht es um getötete Medienschaffende.
Zwar sind es mit mindestens 50 getöteten Journalisten etwas weniger als noch vor einem Jahr, aber ROG bereiten vor allem die gezielten Ermordungen der Medienschaffenden Sorgen. Im November starb beispielsweise in Afghanistan der Journalist Mohammad Alijas Daji von Radio Asadi, dem afghanischen Programm des US-Auslandssenders Radio Free Europe/Radio Liberty, durch eine Bombe, die unter seinem Auto platziert worden war.
Erst vor rund zwei Wochen wurde, ebenfalls in Afghanistan, gezielt die Journalistin Malala Maiwand ermordet, die sich auch für einen besseren Schutz weiblicher Medienschaffender eingesetzt hatte. Maiwand war eine von zwei Journalistinnen, die in diesem Jahr getötet wurden. Und mit der Hinrichtung von Ruhollah Sam im Iran am 12. Dezember wurde erstmals seit 30 Jahren wieder die Todesstrafe an einem Medienschaffenden vollstreckt.
Die Zahl der gezielt ermordeten Journalisten ist erschreckend hoch: Im Jahr 2020 wurden 42 gezielt getötet. Das sind über 20 Prozent mehr als im Jahr 2019.
Scheinbarer Frieden
Dabei sind es nicht mehr Kriegs- und Krisengebiete, in denen Journalisten vorrangig sterben. Im Jahr 2020 kamen fast sieben von zehn (68 Prozent) Journalisten in Ländern um, in denen offiziell Frieden herrscht. Zum Vergleich: im Jahr 2016 waren es nur 40 Prozent. Dazu zählen zum Beispiel Mexiko und Indien, zwei der fünf gefährlichsten Länder für Journalisten. In beiden Ländern fanden 2020 besonders grausame Morde statt. Journalisten wurden bei lebendigem Leib verbrannt, zerstückelt und enthauptet.
Viele der weltweit getöteten Journalisten arbeiteten investigativ, an sensiblen Themen wie Korruption und organisierter Kriminalität. Aber auch die Berichterstattung über Umweltthemen wie illegalem Bergbau brachte die Journalisten in Gefahr. Häufig bleiben aber die Morde an sie ungesühnt. In Honduras beispielsweise wurden drei Journalisten ermordet. In keinem der Fälle wurden laut ROG ernsthafte Ermittlungen angestoßen.
"Kritisch über Korruption, Mafia oder Umweltzerstörung zu berichten, ist in viel zu vielen Ländern lebensgefährlich für Journalistinnen und Journalisten", sagt ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske. "In Ländern wie Mexiko, Irak oder Pakistan können mächtige Kriminelle, extremistische Gruppen und zum Teil auch korrupte Politikerinnen und Politiker immer noch damit rechnen, mit solchen Verbrechen ungestraft davonzukommen. Diese Taten zielen niemals nur auf die unmittelbaren Opfer. Jeder Mord an einer Journalistin oder einem Journalisten ist ein Anschlag auf das Recht aller Menschen, sich frei und unabhängig zu informieren."
Für Najib Sharifi vom "Afghan Journalists Safety Committee" und seine Kollegen ist es ein großes Problem, dass sie häufig die Täter nicht benennen könnten. In der Vergangenheit hätten immer wieder die Taliban oder der sogenannte Islamische Staat hinter den Attentaten gesteckt, aber seit den Friedensverhandlungen distanzierten sich die Taliban häufig von Angriffen. "Der IS hat sich zu einigen Taten bekannt, aber es ist alles sehr uneindeutig", sagt Sharifi.
Corona als zusätzliche Gefahr
In diesem Jahr kam noch eine weitere Bedrohung für Journalisten weltweit hinzu: das Coronavirus. Bereits im ersten Teil der Jahresbilanz hatte ROG auf Fälle hingewiesen, in denen Journalisten wegen ihrer kritischen Berichterstattung zu Corona-Maßnahmen verhaftet wurden. Einigen Journalisten hat die Haft das Leben gekostet.
Weltweit sind Hunderte Journalisten gestorben, nachdem sie sich mit Covid-19 infiziert haben, allerdings kann man nicht zweifelsfrei nachweisen, ob sie sich im privaten Umfeld oder während ihrer Arbeit mit dem Virus angesteckt haben. In drei Fällen aber geht ROG davon aus, dass "es ziemlich sicher" sei, dass die Journalisten starben, weil sie wegen ihrer Arbeit inhaftiert waren und sich dann mutmaßlich im Gefängnis mit Corona infizierten. Dazu gehören Mohamed Monir, der in Ägypten in Haft saß, und Saleh Al-Schehi, der in Saudi-Arabien für die Tageszeitung Al Watan arbeitete.
Beide, schreibt ROG, wurden kurz vor ihrem Tod unerwartet und mit großer Eile aus der Haft entlassen. Monir war vor seiner Freilassung positiv auf das Coronavirus getestet worden. Al-Schehis Gesundheitszustand verschlechterte sich und er wurde noch einige Tage auf der Intensivstation behandelt. Ob er wirklich an Covid-19 starb, ist nicht ganz sicher. Lokale Medien gehen davon aus, ganz sicher ließe sich das aber laut ROG nicht bestätigen, da "die saudi-arabischen Behörden mauern."