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Literatur

Robert Musil: "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß"

Aygül Cizmecioglu spe
6. Oktober 2018

Musils Debüt ist mehr als ein klassischer Schulroman: eine Analyse von Macht und Missbrauch, Grausamkeit und der Lust an menschlicher Erniedrigung. Eine literarische Vorwegnahme des nahenden Faschismus.

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Robert Musil
Bild: picture-alliance/dpa

"Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten" hat Musil einst sein Romandebüt genannt. Er behauptete sogar, er habe das Buch mit nur 25 Jahren aus Langeweile in seinen Mittagspausen geschrieben, während er als Ingenieur arbeitete. Koketterie oder doch schlichte schriftstellerische Tiefstapelei? 

Schreiben aus Langeweile

Musils Ruhm war zeitlebens eher schattenhaft. "Mein Ruf ist der eines großen Dichters, der kleine Auflagen hat", schrieb der Autor über sich selbst. Auch sein erster Roman musste lange auf eine Veröffentlichung warten. Das fertige Manuskript wurde von mehreren Verlagen abgelehnt. Nur Alfred Kerr, der gefürchtete Theaterkritiker, dem Musil das Manuskript geschickt hatte, zeigte sich begeistert. Und er vermittelte es an einen Wiener Verlag, der es 1906 veröffentlichte. Die Resonanz war überwältigend.

"Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" von Robert Musil

Selten wurde ein Debütant mit solchen Lobeshymnen bedacht. Der "Törleß" wurde zu Musils einzigem Bucherfolg. Weniger fragmentarisch, weniger experimentell, aber vor allem lesbarer als sein "Mann ohne Eigenschaften", wurde die Taschenbuch-Ausgabe später mehr als eine halbe Million Mal verkauft und in unzählige Sprachen übersetzt. Die Romanverfilmung von Volker Schlöndorff erreichte 1966 ein internationales Massenpublikum. Was machte diese Geschichte, diesen schmalen Roman nur für Generationen so spannend?

Kaderschmiede für Eliten

Musils "Törleß" spielt um das Jahr 1900. Irgendwo in der Provinz der österreichisch-ungarischen k. u. k.-Monarchie wird in einem Militärinternat an der Aufzucht künftiger Eliten gearbeitet. Auch Robert Musil verbrachte prägende Jahre in solch einer militärischen Kaderschmiede und schöpfte beim Schreiben aus der eigenen Erfahrung. Das Schulregime ist geprägt von Drill und menschlicher Kälte. 

"Ein Gedanke presste Törleß am ganzen Körper zusammen. Sind auch die Erwachsenen so? Ist die Welt so? Ist es ein allgemeines Gesetz, dass etwas in uns ist, das stärker, größer, schöner, leidenschaftlicher, dunkler ist als wir? Worüber wir so wenig Macht haben, dass wir nur ziellos tausend Samenkörner streuen können, bis aus einem plötzlich eine Saat wie eine dunkle Flamme schießt, die weit über uns hinauswächst? (...) Und in jedem Nerv seines Körpers bebte ein ungeduldiges Ja als Antwort."

Sadismus als Strafe

Film Still Der junge Törless
Schlöndorffs Romanverfilmung wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 1966 mit dem Kritikerpreis beim Filmfestival in CannesBild: Imago/United Archives

Basini, ein Kadett bestiehlt seine Mitschüler, um seine Schulden zu begleichen. Er wird entlarvt und muss fortan die sadistischen Erniedrigungen durch die anderen Jungs über sich ergehen lassen. Sexuelle Hörigkeit, psychologische Demütigungen – Musil zeigt, wozu Menschen in der Lage sind, wenn sie nur die Möglichkeit und die Macht dazu haben. 

Es geht um Grausamkeit als Beweggrund und die Lust an menschlicher Erniedrigung. Um die rationale Ergründung des Irrationalen vor dem Hintergrund der zerfallenden Donaumonarchie. Im Rückblick empfahl Robert Musil, den "Törleß" als prophetische literarische Parabel auf das Dritten Reiches zu lesen. 

Mit den Figuren Beineberg und Reiting, den Klassendespoten, habe er Züge der politischen Diktatoren Mussolini und Hitler vorweggenommen. Törleß, die Hauptfigur, sei ein typischer Mitläufer und das Internat zu begreifen als Verdichtung aller gesellschaftlichen Möglichkeiten, als düstere Vorahnung des kommenden Unheils.

 

Robert Musil: "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" (1906), heute verlegt bei Rowohlt 

Robert Musil kam 1880 in der Nähe von Klagenfurt (Österreich) zur Welt und starb 1942 in Genf (Schweiz). Neben seinem Romandebüt "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" und dem fragmentarischen Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" (1930/32) schrieb er Dramen, Erzählungen, Essays, und Rezensionen.