Robert Musil zum 140. Geburtstag
5. November 2020"Es gibt keinen anderen lebenden deutschen Schriftsteller, dessen Nachruhm mir so gewiss ist." Niemand Geringeres als Thomas Mann, zu diesem Zeitpunkt bereits Literatur-Weltstar und Nobelpreisträger, bemerkte dies am 1. Juni 1939 über seinen jungen österreichischen Kollegen Robert Musil.
Viel fehlte nicht, und Musil wäre in einer Offiziersstube geendet, noch bevor seine Schriftstellerkarriere begann. Denn Musil, am 6. November 1880 in der Nähe von Klagenfurt als einziger Sohn eines Ingenieurs geboren, besuchte auf Wunsch seines Vaters ab 1892 verschiedene Militärschulen, zuletzt die Offiziers-Schmiede der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, die "k.u.k. Technische Militärakademie" in Wien. Hier sollte er zum Artillerie-Offizier gedrillt werden, brach diesen Weg aber im Einvernehmen mit dem Vater ab. Auch das anschließende Maschinenbaustudium warf der Junior hin. 1903 schließlich schrieb er sich in Berlin für Philosophie und Psychologie ein. Dieser Schritt wird zum Wendepunkt in Musils Biografie. In der deutschen Hauptstadt findet er bald Zutritt zu den einschlägigen Intellektuellen- und Künstlerkreisen.
Musils Durchbruch kam mit dem "Törleß"
Mit nun psychologisch geschärftem Blick schaut Musil auf seine Zeit in der Kadettenanstalt in Mährisch-Weißkirchen zurück. Dort findet er das Material für seinen ersten Roman, der 1906 erscheint. "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" ist ein Entwicklungsroman über drei pubertierende Kadetten, die einen jüngeren Kameraden grausam quälen. Etwas diffus bleibt zwar die Figur des Törleß, der hin- und hergerissen ist zwischen der Loyalität zu seinem behüteten, gutbürgerlichen Elternhaus und den Einflüsterungen seiner Mitschüler. Doch das Buch beschreibt modellhaft, wie autoritäre Gesellschaftsstrukturen entstehen und gilt heute als eines der frühen Hauptwerke der literarischen Moderne.
Literarischer Abschied vom Habsburgerreich
Die Geschichte spielt sich vor dem Hintergrund einer zerfallenden k. u. k Monarchie ab. Nach dem Ersten Weltkrieg zerbröselt der Vielvölkerstaat vollends. "Kakanien" wird Musil dieses Gebilde in seinem späteren, fast monströsen Opus Magnum "Der Mann ohne Eigenschaften" nennen.
Doch zunächst einmal zieht Musil 1914 für Österreich als Reservehauptmann in den Krieg. In den Alpen wird er an der berüchtigten Isonzo-Front stationiert. Die sogenannten Isonzoschlachten im Ersten Weltkrieg waren zwölf große Kampfhandlungen zwischen dem Königreich Italien und den beiden miteinander verbündeten Mittelmächten Österreich-Ungarn und dem Deutschen Kaiserreich. Zuvor hatte Musil noch einen - im Lichte seines übrigen Werks befremdlichen - kriegsbegeisterten Zeitungsartikel geschrieben.
Jahrzehntelange Arbeit am Opus Magnum
In den 1920er Jahren, mal in Wien, mal in Berlin lebend, schreibt Musil äußerst ernüchtert über "die fünfjährige Sklaverei des Kriegs", die "das beste Stück aus seinem Leben herausgerissen" habe. Und dann nimmt er, der sich inzwischen als Schriftsteller etabliert hat, Anlauf für sein Mammutwerk "Der Mann ohne Eigenschaften". Darin beschreibt er mitunter bissig, gewürzt mit feiner Ironie, den Niedergang jenes "Kakanien" und der Nachkriegs-Moderne.
1920 hatte Musil den deutschen Verleger Ernst Rowohlt kennengelernt. Mit regelmäßigen Vorschüssen unterstützt Rowohlt seinen Autor, der nun 20 Jahre lang ausschließlich an seinem Romanprojekt arbeiten wird. Mit der Fertigstellung tut sich Musil schwer. Immer wieder überarbeitet er einzelne Abschnitte. Dann befallen ihn wiederholt längere Schreibblockaden, aus denen er sich nur mit psychotherapeutischer Hilfe lösen kann. Erst 1930 erscheint schließlich der erste Band von "Der Mann ohne Eigenschaften", am Ende sind es drei.
Thomas Mann behielt Recht
Von Berlin aus beobachten Musil und seine jüdische Frau Martha Marcovaldi, die er 1911 geheiratet hat, den Aufstieg des deutschen Faschismus. Das Paar geht nach Wien. Doch auch hier wird die Lage nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 brandgefährlich. In Deutschland und Österreich sind Musils Bücher nun verboten. Das Paar kann sich noch ins Schweizer Exil absetzen. Hier geht die Arbeit am Opus Magnum weiter.
Am 15. April 1942 stirbt Robert Musil in Genf an einem Hirninfarkt. Noch in den letzten Stunden seines Lebens arbeitete er an seinem "Mann ohne Eigenschaften". Das unvollendet gebliebene Kapitel "Atemzüge eines Sommertags" lag vor ihm auf dem Schreibtisch. "Der Mann ohne Eigenschaften" zählt heute zu den bedeutendsten Schriften des 20. Jahrhunderts, und Robert Musil gilt als ein Titan der Literatur, nicht selten in einem Atemzug mit dem Franzosen Marcel Proust oder dem Iren James Joyce genannt. Musils Kollege Thomas Mann sollte also recht behalten.