Robert Habeck: "Corona Impfungen laufen chaotisch"
11. Februar 2021DW: Herr Habeck, Deutschland impft schleppend, der Lockdown wird verlängert, die Geduld der Menschen wird arg strapaziert. Die Grünen haben lange den Corona-Kurs der Regierung unterstützt. Immer noch?
Robert Habeck: Wir sind auf der Seite derjenigen, die sagen, wir müssen vorsichtig sein. Wenn wir zu schnell lockern, und dann die Mutationen dafür sorgen, dass das Infektions-Geschehen völlig außer Kontrolle gerät, Stichwort Portugal, dann ist jede Woche der früheren Lockerung teuer erkauft. Wir sehen aber auch erhebliche Versäumnisse: Zum Beispiel fehlt der große Kraftakt, um die Impfstoffmenge - national wie international - zu steigern. Die Regierung weiß anscheinend noch nicht mal, welche Kapazitäten es schon gibt. Die Impftermin-Vergabe läuft chaotisch und nicht bürgerfreundlich. Diese Probleme benennen wir sehr klar.
DW: Eine wichtige Frage wird wohl sein, wie es nach der Pandemie weitergeht. Was muss Deutschland grundlegend anders machen? Anders gefragt: Erleben wir hier gerade einen Stresstest für die Demokratie?
Habeck: Das kann einer werden. Schon jetzt merken wir ja, wie mürbe viele werden. Insolvenzen, Arbeitslosigkeit, Existenzängste kommen zu den eigentlichen Schäden dazu. Und wenn die Frustration sich immer breiter macht, kann das schon ein toxisches Gebräu werden. Es kann aber auch eine gesellschaftliche Stimmung geben nach dem Motto: Wir haben die Pandemie besiegt, gemeinsam, jetzt bestehen wir auch alle anderen Herausforderungen. Am Ende wird es wohl beides geben. Und ich will politisch dafür kämpfen, dass das Positive gewinnt und wir Mehrheiten für die notwendigen Veränderungen gewinnen. Es geht doch darum, nach der Krise einen Aufschwung zu schaffen, der das ganze gesellschaftliche Leben zu neuer Kraft führt: Spitzenforschung und Wissenschaft, Innovationskraft und Digitalisierung, Bildung und Kultur.
"Neue internationale Mehrheiten sind möglich"
DW: Der Kampf gegen die Pandemie, aber auch der gegen den Klimawandel, haben etwas gemeinsam: Eigentlich können beide Probleme nur international bekämpft werden, es zeigt sich aber, dass viele Regierungen nationale Lösungen bevorzugen. Wie kann man das künftig ändern?
Habeck: Eine globale Pandemie kann nur global gebändigt werden. Wer behauptet, es ginge auch national, ist an einer Lösung nicht interessiert. Und gerade jetzt mit der neuen US-Regierung von Joe Biden ist doch die Chance für eine neue Kooperation da – zwischen der EU und den USA, in Klimafragen, bei der Impfstoff-Produktion. Wir sollten diese Chance beherzt beim Schopfe packen. Wenn wir als Gesellschaft mutig und offen für Veränderungen sind, gibt es auch Chancen für internationale Mehrheiten.
"Im Wahlkampf geht es um die nächsten Jahre, nicht um den Kampf gegen die Pandemie"
DW: Im Herbst ist Bundestagswahl, wann der Wahlkampf starten wird, ist noch völlig unklar. Welche Bedeutung wird dann die Pandemie noch haben? Wird sie alles bestimmendes Thema, auch wenn die Beschränkungen vielleicht nicht mehr bestehen?
Habeck: Die Frage, die sich im Herbst stellt, ist: Was passiert in den nächsten zehn Jahren? Und nicht so sehr die Frage, was machen wir aktuell in der Pandemie. Ich erwarte einen Wahlkampf, der nicht nur wegen des Rückzugs von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der veränderten Parteien-Landschaft ganz anders als bisher werden wird. Es werden fundamentale Fragen aufgeworfen: Wie wollen wir leben, wie führen wir das Land in ein klimaneutrales Zeitalter? Wie schaffen wir gute Rahmenbedingungen - gute Schulen, eine gute Gesundheitsversorgung? Es reicht nicht, immer nur das Schlimmste zu verhindern, wir sollten das Beste ermöglichen. Und den Wahlkampf darüber möchte ich gerne führen.
DW: Beobachter sagen, je digitaler der Wahlkampf wird und bleibt, desto besser für die Grünen. Stimmt das?
Habeck: Wir können digitale Parteitage, digitale Kommunikation, klar. Aber Menschen lassen sich von Menschen begeistern. Deshalb hoffe ich selbst nach einem Jahr im digitalen Raum darauf, wieder Menschen begegnen zu können. Am Ende geht es natürlich darum, das überzeugendste Angebot zu machen, egal auf welchem Kanal.
Das Interview führte Jens Thurau.
Robert Habeck, Schriftsteller und Politiker, ist seit etwas mehr als drei Jahren einer von zwei Vorsitzenden der Grünen. Die derzeit kleinste Oppositionspartei im Bundestag liegt in aktuellen Umfragen stabil zwischen 18 und 21 Prozent der Stimmen; Beobachter halten nach der Bundestagswahl im Herbst eine Koalition mit den Konservativen von CDU und CSU für möglich. Ob Habeck oder die Co-Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, die Partei als Spitzenkandidatin oder Kandidat anführen werden, wollen beide um Ostern herum entscheiden.