Riads neue Generation
29. April 2015Am Telefon hatten sie noch einige Freundlichkeiten ausgetauscht, einander das Beste zum Ramadan gewünscht. Doch als der Prinz Mohammed bin Naif, damals einer der ranghöchsten Leiter des saudischen Innenministeriums, seinen Gesprächspartner einige Tage später persönlich empfing, zeigte der sich nicht mehr freundlich, sondern hochgradig feindlich: Kaum hatte er sich dem Politiker genähert, zündete er eine Bombe. Die tötete ihn allerdings dann selbst, während Mohammed bin Naif nur einige Schrammen abbekam. Doch spätestens von diesem Attentat im August 2009 wusste er, dass man mit allem rechnen muss – selbst damit, dass ein angeblich reuiges Al-Kaida-Mitglied es mit einer potentiell tödlichen Sprengladung bis ins Zentrum der Macht schaffen kann. "Es war dumm", kommentierte der Prinz später die eigene Nachlässigkeit. Dabei hatte er zu jener Zeit bereits mehrere Mordanschläge überlebt.
Erfahrungen mit Dschihadisten hatte Mohammed bin Naif bereits in den vorhergehenden Jahren gesammelt. Er leitet den Kampf gegen Al-Kaida und andere Terrororganisationen, durch die sich spätestens seit den Flugzeug-Anschlägen von New York im September 2011 auch das saudische Königreich bedroht fühlte. In jenen Jahren vollzog Saudi-Arabien auch eine radikale Wende im Verhältnis zur internationalen Dschihadisten-Szene. Hatte das Land in den 1980er und 90er Jahren zunächst afghanische Widerstandskämpfer und anschließend islamische Kämpfer auch anderswo, etwa in Bosnien, unterstützt, so schloss es sich im folgenden Jahrzehnt dem internationalen Anti-Terror-Kampf an.
Dabei ging Mohammed bin Naif nicht zimperlich vor, als er 2012 saudischer Innenminister wurde. Während seiner Zeit im Innenministerium gingen die Behörden nicht nur gegen Terroristen, sondern auch gegen friedliche Opponenten mit aller Entschiedenheit vor. "Die Behörden unterdrückten 2012 weiterhin rücksichtslos alle Personen, die für politische und andere Reformen eintraten, sowie Menschenrechtsverteidiger und engagierte Bürger", heißt es im Jahresbericht 2012 der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Neue Herausforderungen
Bin Naifs Ernennung zum Kronprinz deutet an, was das saudische Königshaus vom künftigen Staatsoberhaupt erwartet: einen zielsicheren Kurs in schwierigen Zeiten. Zu den Herausforderungen zählt etwa die Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung – einerseits zahlreicher junger, größere Freiheiten fordernder Bürger des Königreichs, andererseits der Schiiten, die über staatliche Repression klagen.
International hat das harte juristische Vorgehen gegen den liberalen Blogger Raif Badawi, der wegen seiner Kritik am Klerus des Landes zu zehn Jahren Haft und tausend Stockhieben verurteilt wurde, für Kritik gesorgt.
Außen- und zu Teilen auch innenpolitisch sieht sich Saudi-Arabien der Herausforderung durch die Terrororganisation "Islamischer Staat" gegenüber. Diese hat von der irakischen Grenze her bereits kleinere Angriffe auf Saudi-Arabien gestartet. Zugleich hat der gesunkene Ölpreis die Finanzen des Königreichs empfindlich belastet.
Die größte Herausforderung stellen aber die dramatischen Veränderungen auf der politischen Landkarte dar. Dazu zählt die Annäherung des langjährigen Bündnispartners USA an das Regime in Teheran. Die über Jahre sich hinziehenden Verhandlungen über das iranische Atomprogramm haben zuletzt ein Verhältnis geschaffen, auf das beide Seiten weiter aufbauen wollen. Iran ist daran interessiert, die internationalen Sanktionen aufheben zu lassen und zeigt auch darum in den Atomverhandlungen ein gewisses Entgegenkommen. Stabilisiert sich das Verhältnis, kann US-Präsident Barack Obama nicht nur beanspruchen, die nach der islamischen Revolution von 1979 begonnene Eiszeit zwischen Teheran und Washington endlich beendet zu haben. Zugleich hätte sein Land belastbare Beziehungen zu einer der großen strategischen Zukunftsmächte in der Region. Wie entschlossen Iran diese Rolle anstrebt, zeigte sich in Syrien, dem Irak, im Libanon und zuletzt im Jemen: In sämtlichen Ländern versucht Iran seinen Einfluss zu vergrößern und sich so als schiitische Führungsmacht zu etablieren.
"Recht pragmatisch und nicht besonders ideologisch"
Diesen Einfluss kann Saudi-Arabien, die Führungsmacht der Sunniten, schwerlich hinnehmen. Darum braucht es einen Politiker, der seine Entschlusskraft bereits unter Beweis gestellt hat. Zugleich hat Bin Naif, der in den USA Politikwissenschaften studierte (ohne dort allerdings einen Abschluss zu machen), gute Beziehungen ins politische Washington. Als "Amerikas Favoriten" bezeichnete ihn im Dezember 2014 der amerikanische Politologe F. Gregory Gause in einem Interview. Bin Naif hatte damals gerade Obama einen Besuch abgestattet. In Washington schätze man den saudischen Politiker vor allem aufgrund zweier Eigenschaften: "Er ist recht pragmatisch und nicht besonders ideologisch."
Auf dieser Grundlage verstehen sich die beiden Partner offenbar weiterhin. Im März setzte sich Saudi-Arabien an die Spitze einer internationalen Allianz, die den auf Machtübernahme zielenden Aufstand der Huthis gegen die Regierung des jemenitischen Präsidenten Abbed Rabo Mansur Hadi militärisch bekämpfte. Die USA schickten neun Schiffe an die jemenitische Küste, darunter zwei Flugzeugträger. Deren Präsenz gilt als Signal an den Iran, es mit der Ausweitung seiner Einflusszone nicht zu übertreiben.
Neuer Blick auf alte Strategien
Die Militäraktion fand unter Leitung des Verteidigungsministers Prinz Mohammed bin Salma statt, eines Sohn des derzeitigen Königs Salman bin Abdulaziz al-Saud. Der junge Jurist – sein genaues Geburtsdatum ist in der Öffentlichkeit unbekannt – hatte das Amt erst wenige Wochen zuvor, nach dem Tod König Abdullahs im Januar dieses Jahres, übernommen. Die Arbeit leistete er offenbar zur vollen Zufriedenheit des Hauses Saud, so dass er nun zum stellvertretenden Kronprinzen ernannt wurde.
Der nun vollzogene Wechsel an der künftigen Staatspitze des Königreichs deutet darauf hin, dass Saudi-Arabien sich den neuen Verhältnissen anzupassen versucht. Mit kurzfristigen Veränderungen sei nicht zu rechnen", erklärte der Politikwissenschaftler Fahad Nazer in einem Presseinterview. Angesichts der zahlreichen Veränderungen "wäre es aber nicht unvernünftig, wenn der neue König und seine Berater ihre Politik hinsichtlich der verschiedenen Krisen in der Region neu überdenken würden".