Indonesien, das Klima und der "Grüne Islam"
9. Juni 2022Nach der Veröffentlichung des alarmierenden Berichts des Weltklimarats (IPCC) vor einigen Wochen steht Indonesien wieder im Mittelpunkt der globalen Klimadiskussion. Als größter Kohle- und Palmölexporteur der Welt trägt das Land maßgeblich zur Klimakrise bei. Dabei ist auch der Inselstaat selbst vermehrt von Extremwetter betroffen. 2019 führte eine schwere Dürre zu großflächigen Waldbränden. 2020 erlebte das Land massive Überschwemmungen durch die stärksten Regenfälle seit Jahrzehnten.
Mit über 270 Millionen Einwohnern steht Indonesien vor enormen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen - und sieht nun in der Religion seine große Chance. Als das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit werden in Indonesien die Rufe nach einem umweltbewussten Islam immer lauter.
"Es besteht kein Zweifel, dass das neue islamische Umweltbewusstsein die gesamte ökologische Bewegung in Indonesien stärkt", erklärt Fachruddin Mangunjaya, Vorsitzender des Zentrums für islamische Studien an der National University in Jakarta, im Gespräch mit der DW. Ein Umdenken und Übergang zu sauberer Energie scheinen unabdingbar, doch kann ein "Grüner Islam" wirklich den lang ersehnten Wandel vorantreiben?
Ein Land im Dilemma
Indonesien steht mit seinen über 17.000 Inseln in einem Zwiespalt. Die zwei großen Klimasünden, die neben der Müllentsorgung immer wieder für Schlagzeilen sorgen, sind Kohlekraft und Waldrodung. Indonesien ist nicht nur Exportweltmeister für Kraftwerkskohle, sondern auch der größte Produzent für Palmöl, was jährlich zur Abholzung und Erschließung großer Waldflächen führt. Kohle und Palmöl bilden das Rückgrat der indonesischen Wirtschaft, die ohne zuverlässige Energie und den Export von Palmöl nicht wachsen kann.
Andererseits schadet dieses Wirtschaftsmodell auch genau den Menschen, denen es eigentlich dienen soll: der indonesischen Bevölkerung. Der Ausstoß von Treibhausgasen durch Kraftwerke und die Abholzung haben erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebensgrundlage der Landbevölkerung. Durch den Klimawandel leiden viele der abgelegenen und armen Provinzen Indonesiens regelmäßig unter Dürreperioden, was die Armut im Land verschärft.
Gebote des Islam schaffen Hoffnung
Einen Ausweg aus dem Dilemma soll nun der Islam schaffen, dem sich in Indonesien knapp 87 Prozent der Bevölkerung zugehörig fühlen. "Der Schutz von Natur und Umwelt ist eines der Gebote des Islam. Daher ist die Nutzung sauberer Energie für Muslime auch ethisch und moralisch wichtig", erklärt der indonesische Anthropologe Ibnu Fikri im Gespräch mit DW. Zusammen mit seinem Kollegen Freek Colombijn von der Freien Universität in Amsterdam hat er zum Thema "Green Islam" in Indonesien geforscht, einer von islamischen Ideen und Lehren inspirierten Interaktion zwischen Mensch und Umwelt.
"Green Islam" finde auch verstärkt in der Politik Beachtung. Die Regierung um Präsident Joko Widodo hat sich kürzlich mit islamischen Führern und Gemeinschaften zum Ziel gesetzt, bis 2060 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Damit ist gemeint, dass alle durch Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen durch Ausgleichsmaßnahmen wieder aus der Atmosphäre entfernt werden müssen. An diesem Grundsatz festhaltend, unterzeichnete das Ministerium für Umwelt und Forstwirtschaft vergangenes Jahr ein Partnerschaftsabkommen mit der Nahdlatul Ulama (NU), der größten muslimischen Organisation des Landes, um das Umweltmanagement und die nachhaltige Forstwirtschaft zu verbessern.
Umweltschutz auf lokaler Ebene
Doch das reicht laut Fachruddin Mangunjaya nicht aus. Die Dringlichkeit für ein verstärktes Klimabewusstsein habe den Großteil der ländlichen Bevölkerung und Geistlichen des Landes noch nicht erreicht. Dabei sei dies essentiell: Eine Umfrage des Katadata Insight Center aus 2020 zeigt, dass indonesische Bürger den Informationen von religiösen Klerikern das höchste Vertrauen entgegenbringen.
An seinem Institut in Jakarta arbeite man deswegen gezielt daran, Brücken zwischen Experten und Führungskräften der muslimischen Gesellschaft und Wissenschaftlern und Umweltpraktikern zu schlagen. "Wichtig ist, dass die Geistlichen nicht nur die religiösen Lehren verstehen, sondern auch ihre Bedeutung für den Klimaschutz und ihr Bewusstsein in konkretes Handeln umsetzen", sagt Fachruddin. Derzeit betreue man etwa 1000 Geistliche, die Umweltschutz betreiben und in verschiedenen Dörfern des Landes für Aufklärung sorgen - Tendenz steigend.
Internate als Keimzelle des Klimaaktivismus
Vor allem junge Menschen gelte es zu erreichen und für den Umweltschutz zu sensibilisieren. "Wir müssen stärker an unsere Zukunft denken, damit unsere Schüler frühzeitig Antworten auf drängende Umweltfragen finden und sich in ihren eigenen Gemeinden engagieren können", sagt Khatibul Umam, der ein Islamisches Internat (Pesantren) auf der Insel Madura leitet, der DW.
Islamische Internate sind ein wichtiger Bestandteil des indonesischen Bildungssystems. Allein das Internat von Umam zählt 11.000 Studierende. Hier habe man sich die Verbindung von Islam und Umweltschutz zur Kernaufgabe gemacht. Mit Erfolg: Die Schule hat sich bereits an mehreren Umweltschutzprojekten beteiligt wie Wiederaufforstung, nachhaltige Landwirtschaft und Recycling - alles regional verankert und inspiriert durch den Islam.
Die Grenzen des "Grünen Islam"
Obwohl die Richtung stimmt, weiß auch Umam, dass der islamische Umweltaktivismus in Indonesien noch am Anfang steht. "Die wichtigste Herausforderung, vor der wir stehen, nicht nur in unseren Schulen, sondern generell in der Gesellschaft, ist zu zeigen, warum diese Projekte für alle Gesellschaftsschichten und Folgegenerationen von Bedeutung sind."
Schließlich existiere auch nicht der eine Islam in Indonesien, wie Anthropologe Ibnu Fikri zu bedenken gibt: "Durch die Religionspflicht in Indonesien (in der Verfassung festgelegt, Anm. d. Red.) gibt es eine enorme Vielfalt an Islampraktikern. Für manche ist es in den täglichen Ablauf integriert, andere fühlen sich weniger zugehörig und sind muslimisch, weil sie sich für eine Religion entscheiden müssen."
Pluralismus schafft Chancen
Daher gilt es nicht nur Islam und Umweltschutz, sondern auch unterschiedliche Gesellschaftsgruppen langfristig miteinander in Einklang zu bringen. Es braucht einen umfassenden, gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Islamwissenschaftler Fachruddin Mangunjaya sieht im Pluralismus Indonesiens eine große Chance. "Wir lernen viel von den Traditionen aus der Zeit vor dem Islam. Aufgrund unserer demokratischen Situation in Indonesien respektieren wir nicht nur Natur und Umwelt, sondern alle Menschen und ihre Ideen."
Diesen Eindruck konnte auch Ibnu Fikri in seiner Feldforschung in indonesischen Gemeinschaften gewinnen. Es sei ein "kulturelles Umweltbewusstsein", ein Zusammenspiel aus Religion, Traditionen und lokalen Praktiken, das Menschen zum Umweltschutz bewege. Und auch wenn es ein langer Weg ist: Der Islam kann bei dem Aufbau eines Umweltbewusstseins und der tatsächlichen Verhaltensänderung für viele Indonesier in Zukunft eine wichtige Quelle der Inspiration sein.