Mit Decke, Schirm und Impfung aus dem Lockdown
20. Mai 2021Salate und Kräuter sind bestellt, ebenso das Fleisch. Tatar vom friesischen Weiderind steht auf der Karte, natürlich Spargel, Lammrücken im Blätterteig und Maikraut-Eis. Den Waldmeister dafür hat Restaurant-Besitzer Vincenzo Berenyi eigenhändig gesammelt. Das in nordeuropäischen Wäldern wachsende Kraut liegt nun in seinem Restaurant zum Trocknen auf einem Tisch aus - und füllt den Raum mit intensivem Duft.
"Ich freue mich wahnsinnig darauf, endlich wieder öffnen zu dürfen", sagt Berenyi und strahlt. "Wie ein kleines Kind auf Weihnachten."
Am 1. November 2020 mussten die Restaurants in Deutschland schließen. Der Corona-Lockdown war zunächst für vier Wochen geplant. Inzwischen sind fast sieben Monate daraus geworden.
Die Innenräume bleiben zu
Berlin gehört zu den Bundesländern, in denen die Restaurants zu Pfingsten wieder öffnen dürfen. Allerdings nur draußen. Außengastronomie nennt sich das. Jedes zweite Restaurant in der Hauptstadt kommt mit dieser Auflage nicht klar und bleibt geschlossen. Auch jene, die zwar Tische und Stühle draußen aufstellen können, aber nicht genügend, um kostendeckend arbeiten zu können. Denn wer öffnet, bekommt keine staatlichen Finanzhilfen mehr. Auch das Kurzarbeitergeld wird gestrichen.
Auf der Terrasse vor den Berliner Kurpfalz-Weinstuben finden normalerweise mehr als 50 Gäste Platz. Um die Abstandsregeln einhalten zu können, mussten einige Tische weggeräumt werden. Jetzt können noch 36 Menschen gleichzeitig bewirtet werden. Jeder Tisch, so hat Vincenzo Berenyi ausgerechnet, muss im Laufe des Abends zweimal belegt werden, damit sich der Betrieb lohnt.
30 Euro Reservierungsgebühr
Das Restaurant öffnet um 17 Uhr. "Die Gäste der ersten Belegung müssen spätestens um 19.45 Uhr gehen, damit die zweite Runde um 20 Uhr starten kann", erklärt der Gastronom. Bewirtet wird ausschließlich, wer vollständig geimpft ist, genesen, oder ein tagesaktuelles, negatives Testergebnis mitbringt.
Nötig ist eine verbindliche Reservierung über die Webseite unter Angabe des Namens, der Anschrift und der Telefonnummer. Außerdem wird eine Reservierungsgebühr von 30 Euro pro Person fällig, die nach dem Essen von der Rechnung wieder abgezogen wird. "Wir müssen sicherstellen, dass die Gäste tatsächlich kommen, sonst funktioniert das ganze System nicht", so Berenyi.
Decken, Schirme und Heizstrahler stehen bereit
Angst, dass der Aufwand abschreckend wirken könnte, hat der Gastwirt nicht. "Unsere Gäste wollen kommen, die freuen sich schon sehr darauf, dass es endlich wieder losgeht." Kopfzerbrechen bereitet ihm ein ganz anderes Problem: Das Wetter. Der Frühling zeigt sich bislang nicht gerade von seiner besten Seite. Es ist für die Jahreszeit zu kühl und zwischendurch regnet es immer wieder.
In einer Ecke des Restaurants stapeln sich 30 neue graue Fleecedecken, außerdem will Berenyi noch ein paar große Schirme für die Terrasse kaufen. Vier Heizstrahler stehen schon bereit. Das wird reichen, falls es lediglich kühl ist und nur ein paar Tropfen vom Himmel fallen.
Was passiert, wenn es richtig regnet?
Das Wetter ist eine der großen Unbekannten, die dem Wirt Sorge bereiten. "Das wird nicht witzig. Darüber müssen wir jetzt jeden Tag nachdenken und dann entscheiden", sagt Vincenzo Berenyi. Wie lange die Innenräume noch gesperrt bleiben, kann derzeit niemand sagen. "Ich hoffe, dass spätestens Ende Juni damit Schluss ist", sagt er und sein Gesicht verfinstert sich. "Über die Sinnhaftigkeit dieser Trennung von drinnen und draußen in der Gastronomie möchte ich jetzt nicht nachdenken, wenn ich sehe, dass sich Menschen in Bussen, Bahnen und Supermärkten drängen."
Berenyi und sein Geschäftspartner Sebastian Schmidt, der die Küche unter sich hat, haben die Speisekarte so geplant, dass - falls das Wetter nicht mitspielt - einige Gerichte auch außer Haus verkauft werden können. Außerdem steht ein großer Grill bereit, um Gästen im Stehen Lammfleisch oder Ochsenbacke im Brötchen mit Kartoffel- oder Tomatensalat anbieten zu können. "Grillen und Chillen nennen wir das. Das hat dann eher den Charakter eines Festes. Ich habe mit einer Brauerei verhandelt, die würde dann noch Bier dazu liefern."
Immer wieder neue Ideen
Natürlich würden die Umsätze dann niedriger ausfallen, doch das nehmen sie in Kauf. "Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach", bemüht Berenyi ein Sprichwort. Auf Sicht fahren, jeden Tag in der Lage sein, umzuplanen und sich an neue Herausforderungen anzupassen, das hat die Restaurant-Mannschaft in den letzten Monaten gelernt. Im Lockdown haben sie frische Gerichte außer Haus verkauft, an bestimmten Tagen sogar ganze Menüs.
Wirtschaftlich sind sie dank der staatlichen Finanzhilfen "zufriedenstellend" über die Runden gekommen. Der Betrieb lief vor dem Ausbruch der Pandemie gut, die beiden Besitzer hatten ausreichend finanzielle Reserven, die sie zuschießen konnten. "Trotz der staatlichen Unterstützung haben wir insgesamt seit letztem Frühjahr zwischen 50.000 und 60.000 Euro verloren", rechnet Berenyi vor.
Die Gastronomie ist nicht systemrelevant
Niemals, so sagt er, habe er damit gerechnet, dass der Lockdown für die Gastronomie so lange dauern würde. "Im Januar hatte ich psychisch ein richtig schlimmes Tief." Das Gefühl, von der Politik offensichtlich "für unwichtig gehalten" zu werden, habe ihm besonders zugesetzt. "Wir sind eine Branche, an der in Deutschland direkt und indirekt fast neun Millionen Arbeitsplätze hängen." Das sei mehr als in der Automobilindustrie. "Wenn die husten, dann springen alle! Aber wie es uns geht, ist nicht relevant."
In den Weinstuben gehen sie davon aus, dass sie noch längere Zeit vorsichtig wirtschaften müssen. "Jetzt hängt doch alles davon ab, wie viele Menschen wie schnell geimpft werden können und wie es dann im Herbst und Winter mit dem Virus weitergeht", sagt Berenyi.
Wer sich nicht impfen lässt, muss gehen
Der Chef selbst ist aus gesundheitlichen Gründen bereits zweimal geimpft, seine Mitarbeiter sind alle bereit, sich ebenfalls impfen zu lassen. "Ich habe sie gefragt, ob es auch AstraZeneca sein kann und sie haben alle sofort zugestimmt." Unter den 16 Mitarbeitern ist eine junge Frau, für sie wird Berenyi versuchen, eine Impfung mit BioNTech oder Moderna zu organisieren. "Das mit dem Thromboserisiko nehme ich ernst."
Das ist aber alles, was Berenyi an Zugeständnissen macht. Persönlich würde er es begrüßen, wenn es in Deutschland eine Impfpflicht gäbe. "Wir haben doch keine Alternative." Für seinen Betrieb hat er beschlossen, dass er in Zukunft nur geimpfte Mitarbeiter beschäftigen will. "Wer sich nicht impfen lassen will, der kann bei mir nicht arbeiten, der muss gehen."