Strategien gegen Islamisten
29. Mai 2017Es ist das traditionelle Stelldichein der deutschen Sicherheits-Community. Schon zum 14. Mal kommen am Montag in Berlin Geheimdienst-Chefs, Politiker und sonstige Terror-Experten zusammen. Gastgeber ist das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), und man widmet sich wieder einmal dem islamistischen Terrorismus. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Antworten westliche Demokratien auf diese Bedrohung geben sollen. Eine Woche nach dem Anschlag in Manchester mit 22 Toten hat die Veranstaltung eine fast schon makaber anmutende Aktualität.
Natürlich spielt das Selbstmord-Attentat eine Rolle - neben Fragen der Radikalisierung von jungen Muslimen oder Befugnissen für Sicherheitsbehörden. Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen nutzt die Gelegenheit zu einer Bestandsaufnahme - und die wäre auch ohne Manchester kaum anders ausgefallen. Seit 2015 gebe es in Europa eine "nie dagewesene Welle von Terroranschlägen". Bis heute kommt Maaßen auf 24, beginnend mit dem tödlichen Überfall auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" in Paris.
1670 Islamisten, 670 Gefährder, 300 Rückkehrer
Schlimmer als die verblassende Erinnerung an Attentate sei die Gewöhnung, sagt Maaßen. Man dürfe Terrorismus nicht als etwas "Schicksalhaftes" hinnehmen - eine Sorge, die ihn unter dem Eindruck der vielen Anschläge 2016 in Deutschland besonders umtreibt. Um die Dimension zu verdeutlichen, nennt der BfV-Chef Zahlen: 1670 Islamisten, 670 Gefährder, 300 Rückkehrer aus Kriegsgebieten wie Syrien und Irak. Ein Bedrohungspotenzial, aus dem sein Amt mit Unterstützung anderer nationaler und internationaler Behörden eine täglich aktualisierte Gefährdungslage erarbeiten muss.
Wenn Maaßen über die Terrororganisation "Islamischer Staat" spricht, fallen Formulierungen wie "IS 2.0" oder "virtuelles Kalifat". Damit will er den wohl größten Unterschied zum analogen Zeitalter illustrieren, als es noch vergleichsweise einfach war, die Kommunikation von mutmaßlichen Terroristen zu überwachen. Heute ist das Internet die entscheidende Propaganda-Plattform des Feindes - und die verschlüsselte Kommunikation über Dienste wie WhatsApp aus Sicht der Sicherheitsbehörden das größte Problem im Anti-Terror-Kampf.
Die Wunschliste des Verfassungsschutz-Präsidenten
Schon lange fordert Maaßen mehr Befugnisse. Der "Werkzeugkasten" sei noch nicht voll. Wenn man Informationen über einen potenziellen Attentäter auf Platz 28 A in einem Flugzeug von Istanbul nach Berlin habe, würde er schon gerne wissen, wer auf Platz 28 B sitze. Grundsätzlich wünscht sich der ranghöchste deutsche Verfassungsschützer einen schnelleren europäischen Informations- und Datenaustausch - und für sein eigenes Haus eine zentrale Zuständigkeit. Die Kompetenzen der 16 Landesämter für Verfassungsschutz gehen ihm deutlich zu weit. In diesem Sinne hat sich schon zu Jahresbeginn Bundesinnenminister Thomas de Maizière geäußert.
Von dem sind ein paar Stunden später auch ganz andere Töne zu vernehmen. Der Christdemokrat betont neben repressiven Maßnahmen die seines Erachtens nötige Prävention: Verbote von extremistischen Moschee-Vereinen oder Koran-Verteilern in Fußgängerzonen auf der einen Seite, auf der anderen aber auch "digitale Sozialarbeit". Damit meint de Maizière die gezielte Ansprache junger Menschen auf zeitgemäße Art und Weise, um der Radikalisierung durchs Internet etwas entgegenzusetzen. Der Innenminister kann oder will keinen Gegensatz zwischen Sicherheit und Freiheit erkennen.
Lob vom früheren Verfassungsrichter Papier
"Wir sind nicht scharf darauf, nach einem Anschlag Gesetze zu verschärfen", sagt der Innenminister. Am besten mache man das vorher. Die Praxis sieht indes anders aus. Darauf spielt später der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, an. Er habe eher den Eindruck, dass es die Politik sei, die nach den Gesetzmäßigkeiten der Mediendemokratie "ein Gesetz nach dem anderen erlässt", ohne Rücksicht auf die Frage, ob es angemessen sei. Viele Gesetze hätten einer Überprüfung vor Gericht nicht stand gehalten. Als Beispiele nennt er die Vorratsdatenspeicherung und die Online-Durchsuchung.
Die Bürger hätten oft den Eindruck, dass Gesetzesverschärfungen Alibi-Maßnahmen seien, meint Papier. Zugleich lobt er die deutsche Bevölkerung, die "besonnen, sehr angemessen, sehr verantwortungsvoll" auf die vielen Terroranschläge reagiert habe. Der frühere Verfassungsrechtler hat aber auch Verständnis für bestimmte Maßnahmen, die er als "Präventiv-Strafrecht" bezeichnet. Angesichts neuer Herausforderungen hält er das unter Umständen für "legitim".
Experte Conrad spricht von 30.000 "Foreign Terrorist Fighters"
In diese Kategorie fällt aus Sicht der Befürworter vor allem die elektronische Fußfessel für sogenannte Gefährder. Darunter verstehen Sicherheitsbehörden Menschen, die sie aufgrund polizeilich oder nachrichtendienstlich gewonnener Erkenntnisse für potenzielle Terroristen halten. Der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, stand auf der Gefährder-Liste und konnte trotzdem zwölf Menschen töten. Um solche tragischen Pannen künftig vermeiden zu können, arbeitet das Bundeskriminalamt (BKA) nach Angaben seines Präsidenten Holger Münch gerade an einer Standardisierung des Gefährder-Begriffs. Juristisch ist der Begriff ohnehin schwer zu fassen.
Die Dimension des islamistischen Terrorismus scheint inzwischen jeden Rahmen zu sprengen. Gerhard Conrad, Leiter des Intelligence Analysis and Situation Centre der Europäischen Union, schätzt die Zahl der sogenannten "Foreign Terrorist Fighters" auf 30.000. Damit sind jene Kämpfer gemeint, die zum Beispiel in Syrien oder im Irak in den Krieg ziehen. Allein aus Deutschland sollen es 930 sein. Ein Drittel von ihnen sei inzwischen zurückgekehrt, heißt es aus dem Verfassungsschutz.
"Warum hat das niemand gesehen?"
Auch der Attentäter von Manchester soll als Kämpfer im Nahen Osten gewesen sein. Hinweise auf eine zunehmende Radikalisierung habe es aber schon vorher gegeben, berichtet die "Washington Post"-Journalistin Souad Mekhennet auf dem Berliner Symposium. Sie verweist auf eigene Recherchen vor Ort unmittelbar nach dem Anschlag. "Warum hat das niemand gesehen?", fragt Mekhennet. Es klingt - ungewollt - ein wenig wohlfeil angesichts des unübersichtlichen Islamisten-Milieus, in dem die Grenzen zwischen Wichtigtuerei und tatsächlicher Gefahr oft schwer zu erkennen sind. Die Schwelle zur Tat sei mitunter "verzweifelt niedrig", sagt Terror-Experte Conrad.