Rentenreform: Kaum eine Gefahr für Putin
30. Juli 2018An diesem Wochenende demonstrierten mehr Menschen gegen die geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters als noch vor sechs Wochen, als die Regierung die Reform zum ersten Mal vorstellte. In Moskau gingen 12.000 Menschen auf die Straße. Auch in anderen Städten protestierten Tausende von Menschen. Sie folgten den Aufrufen der Kommunistischen Partei, der Gewerkschaften, der so genannten Linksfront und der außerparlamentarischen Opposition von Alexei Nawalny.
Können die landesweiten Proteste gegen die Rentenreform Präsident Putin politisch gefährlich werden? Seine Popularitätswerte sind in den letzten Wochen stark gefallen. "Ich sehe dennoch nicht, dass die Regierung in Gefahr ist", sagt Stepan Gontscharov vom Meinungsforschungsinstitut "Levada Zentrum" gegenüber der Deutschen Welle. Der Grund: Es gebe zur jetzigen Regierung keine Alternative. Allerdings beklagt er die mangelhafte Kommunikation des Kremls. Die meisten Russen hätten immer noch nicht verstanden, dass die Reform - etwa aus wirtschaftlichen Gründen - notwendig sei. Die mittlere Lebenserwartung für Männer beträgt 67, für Frauen 77 Jahre.
Beim geplanten Gesetz geht es um die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters für Frauen von jetzt 55 auf 63 Jahre, von 60 auf 65 für Männer. Die durchschnittliche Rente in Russland beträgt knapp 200 Euro. Die Menschen fragten, welche finanziellen Vorteile sie von der Reform hätten, meint Gontscharow. Deshalb würden rund 90 Prozent der Menschen sie ablehnen. Dennoch: Die Regierung habe die Lage insgesamt unter Kontrolle.
Schließlich habe sich Putin bei der Rentenfrage noch nicht festgelegt. Es gebe noch "Raum für Manöver", so Stepan Gontscharov. Eine Reform der Reform ist immer noch möglich. Aber die Regierung dürfe am Ende nicht als Verlierer dastehen. Weil sich Putin nicht festlege, gehe die Diskussion weiter.
Der Preis für unpopuläre Entscheidungen
Ähnlich denkt auch Boris Makarenko, Leiter der Denkfabrik "Zentrums für politische Technologie". Putins Popularität habe zwar stark gelitten, doch die Mehrheit der Russen würde ihm weiter vertrauen, sagte er gegenüber der DW. Der Kremlchef habe die Präsidentschaftswahlen erst vor kurzem gewonnen. Auch Duma-Wahlen stünden demnächst nicht an. Somit drohe der Regierung derzeit keine Gefahr. "Wenn die Zustimmung fällt, dann ist das der Preis, den die Politik zu zahlen hat für unpopuläre Entscheidungen"; so Makarenko.
Von der Diskussion um die unpopuläre Rentenreform würden vor allem die zugelassenen Oppositionsparteien im Parlament profitieren; also die Kommunisten und die nationalistischen Liberaldemokraten von Wladimir Schirinowski. Ende letzter Woche erteilte die zentrale Wahlkommission einem Antrag der Kommunisten auf ein landesweites Referendum eine Absage. Die KP prüft derzeit, ob sie einen neuen Antrag für ein Referendum stellen oder sich an das Verfassungsgericht wenden soll.
Die außerparlamentarische Opposition würde von Alexei Nawalny geführt werden, der ebenfalls zu Protesten gegen die Erhöhung des Renteneinstiegsalters aufgerufen hat, so Makarenko. Allerdings würden vor allem junge Menschen Nawalny folgen. Und für diese stellt sich die Dringlichkeit der Rentenreform weniger als für ältere Menschen. Eben deshalb könne Nawalny bei diesem Thema nicht der Führer des Widerstands gegen die Rentenreform sein.
Anders als Gontscharow glaubt Makarenko, dass die meisten Russen insgeheim verstünden, dass eine Rentenreform notwendig sei: "Aber sie würden es nicht immer zugeben", meint er.
Stepan Gontscharov vom Meinungsforschungsinstitut "Levada Zentrum" glaubt auch nicht, dass die geplante Rentenreform Auswirkungen auf die bevorstehenden Gouverneurswahlen im September haben wird. Die Erhöhung des Rentenalters wird von den Russen als "föderale Initiative", also als Entscheidung der Regierung in Moskau, wahrgenommen, so Gontscharov.