Rekordabkühlung in Chinas Wirtschaft
21. August 2015Die Stimmung chinesischer Unternehmer ist auf den tiefsten Stand seit März 2009 gefallen. Das geht aus einem wichtigen Frühindikator für die Konjunktur des Landes hervor, den das chinesische Wirtschaftsmagazin "Caixin" in einer ersten Schätzung vorlegte.
Der Einkaufsmanagerindex der verarbeitenden Industrie (PMI) ging demnach im August auf 47,1 Punkte zurück, Analysten hatten mit einem Wert von 48,2 gerechnet. Im Juli lag der Indikator nach endgültigen Zahlen noch bei 47,8 Punkten. Werte von über 50 Punkten sprechen für eine gute Entwicklung der Wirtschaft, während alle Werte darunter auf Probleme hindeuten.
Nikkei sackt ab
Die Reaktion der Investoren ließ nicht auf sich warten: Die chinesischen Börsen rutschten am Freitag kräftig in den Keller. Der wichtige Shanghai Composite Index fiel um 4,27 Prozent auf 3507 Punkte. Auch der Shenzhen Component Index verlor um 5,42 Prozent auf 11.902 Punkte. Der ChiNext für Technologiewerte, der dem Nasdaq in den USA ähnelt, ging sogar um 6,65 Prozent auf 2341 Punkte zurück.
Auch die Börse in Tokio gab angesichts zunehmender Sorgen über die Aussichten in China weiter stark nach. Der Nikkei-Index sackte unter die Marke von 20.000 Punkten. Zur Handelsmitte verzeichnete das Börsenbarometer einen Abschlag von 420,59 Punkten oder 2,1 Prozent und notierte bei 19.612,93 Zählern.
Chinas Wirtschaft war von Januar bis Juni im Vergleich zum ersten Halbjahr 2014 offiziell um sieben Prozent gewachsen und hatte damit genau das Ziel der Regierung getroffen. Experten gehen jedoch davon aus, dass das tatsächliche Wachstum längst unter diese Marke gerutscht ist. Probleme bereitet der chinesischen Industrie neben steigenden Lohnkosten auch die schwächelnde Weltwirtschaft, derentwegen die Nachfrage nach chinesischen Waren zurückgeht.
Risiko für Deutschland
Die konjunkturelle Abkühlung in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde kommt auch in Europa an. Denn die Verflechtungen sind eng. China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in Asien, Deutschland umgekehrt der wichtigste Handelspartner Chinas in Europa. So stellen die schlechter laufenden Geschäfte deutscher Autobauer im Reich der Mitte nach Einschätzung von Konsumforschern auch ein Risiko für das Konsumklima hierzulande dar.
Sollte die Entwicklung anhalten, könnten dadurch Arbeitsplätze bei deutschen Autoherstellern und Autozuliefern bedroht sein, sagte der Nürnberger Konsumforscher Rolf Bürkl der Deutschen Presse-Agentur. Das könne auch bei Beschäftigten in anderen Branchen Jobängste auslösen. "Denn die deutschen Autobauer sind, was den Export angeht, ein Leuchtturmbereich." Wer sich aber um seinen Arbeitsplatz sorge, zögere mit größeren Anschaffungen, was dann auf die Konsumstimmung drücke.
Schwindende Euphorie
Ganz so euphorisch wie vor einigen Monaten seien deutsche Verbraucher ohnehin nicht mehr. Das zeige sich an der seit März wieder steigenden Sparneigung. Der entsprechende Wert war noch im Februar auf ein Allzeittief gerutscht. Seitdem sei die Sparneigung der Deutschen von Monat zu Monat gewachsen.
"Darin und in dem stagnierenden Konsumklimaindex eine Trendwende zu sehen, halte ich allerdings für verfrüht", unterstrich Bürkl. "Mann muss abwarten, ob sich diese Entwicklung verfestigt." Da im Moment die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland für das Konsumklima günstig seien, rechne er nicht damit. Als Beispiel nannte er die gute Arbeitsmarktlage und die niedrige Inflation.
Innovation statt Billigproduktion
Die konjunkturelle Abkühlung in China nährt die Sorge, die gesamte Weltwirtschaft könnte dadurch einen Dämpfer bekommen. Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank, verweist allerdings auch auf tieferliegende strukturelle Ursachen: Schwellenländer wie China seien in den letzten Jahren mehr und mehr als Wachstumslokomotive ausgefallen, da sie nicht länger nur billig produzieren, sondern in der Wertschöpfungskette weiter nach oben rücken wollen.
Chinas Regierung unterzieht die Wirtschaft des Landes gerade dem größten Umbau seit Jahrzehnten. Das Land will unabhängiger von Exporten werden und nicht weiter die verlängerte Werkbank der Welt sein. Stattdessen sollten Innovationen gefördert und ein Hochtechnologiesektor aufgebaut werden, erläutert Bielmeier. "Vom Investitionsstandort hin zum Innovationsstandort", laute jetzt die Devise.
jj/rb (dpa, rtr)