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Zukunft der Weltraumforschung

Fabian Schmidt19. Mai 2014

Dieses Jahr schickt die ESA gleich zwei Astronauten hintereinander zur Internationalen Raumstation. Aber wie geht es weiter, wenn es die ISS einmal nicht mehr gibt? Zukunftsprojekte gibt es zur Genüge, verrät Reiter.

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ESA Direktor Thomas Reiter bei der ESA in Köln Wahn
ESA-Direktor Thomas Reiter freut sich auf das Rendevouz von Rosetta mit dem Kometen 67PBild: DW/F. Schmidt

Deutsche Welle: Herr Reiter, auf der Internationalen Raumstation (ISS) findet eine Fülle von Experimenten statt: Es geht um Medizin, Biologie, Materialforschung, Physik, Erdbeobachtung und vieles mehr. Auch Sie haben schon auf der ISS Forschungen durchgeführt. Welcher Bereich ist denn für Sie am spannendsten?

Thomas Reiter: Die Frage ist natürlich etwas unfair, denn meine Aufgabe ist es, der wissenschaftlichen Gemeinde insgesamt zu dienen und ihnen die Möglichkeit zu geben, Forschungen an Bord der ISS wahrzunehmen. Im Zuge meiner eigenen Ausbildung als Luft- und Raumfahrttechnikingenieur gab es natürlich Themen, die mir anfangs näher lagen, zum Beispiel die Materialwissenschaften oder physikalische Experimente.

Aber bei der Vorbereitung der Missionen kamen dann andere Themen hinzu, die für mich völliges Neuland waren, wie medizinische Experimente oder Biologie. Das ist auch hochinteressant. Man lernt plötzlich etwas über Zellbiologie, über das Immunsystem oder das Herz-Kreislauf-System, womit man als Luft- und Raumfahrtingenieur nie in Verbindung gekommen wäre. Und das ist schon toll.

Als Astronaut erfährt man ja viele medizinische Phänomene dann auch am eigenen Leibe. In der Schwerelosigkeit versagt zum Beispiel das Gleichgewichtsorgan im Innenohr. Die Folge: Der Astronaut wird quasi seekrank. Wie lange hat es denn bei Ihnen gedauert, das zu überwinden?

Das ging eigentlich relativ schnell. Bei der ersten Mission bin ich mit der Sojus zur Mir-Station gestartet. Da ist man etwas über zwei Tage unterwegs, bis man andockt. Währenddessen ist man in einem sehr engen Raum und kann sich ohnehin nicht viel bewegen. Und jede Bewegung - wenn man den Oberkörper oder den Kopf dreht - das ist dann sehr provokativ. Da wird einem dann flau. Wenn man versucht, den Hals steif zu lassen und sich mit dem Oberkörper langsam dreht, dann kann man das aber einigermaßen gut kontrollieren. Und wenn man nach zwei Tagen oben andockt, ist man eigentlich schon gut angepasst und kann loslegen.

Elf Jahre später, bei meiner zweiten Mission zur ISS, schien sich der Körper dann irgendwie daran zu erinnern: Die Anpassungsphase ging schneller vonstatten. Allerdings geht ging beim Space-Shuttle - im Gegensatz zur Sojus - auch alles viel schneller. Bereits acht Minuten nach dem Start wurde der Hauptantrieb abgeschaltet. In dem Moment ging da oben sofort das Arbeiten los: Sie schnallen sich ab, Sie müssen sofort anfangen, die Raumanzüge abzulegen, und die Stühle, auf denen man beim Start angeschnallt ist, zusammenzulegen und zu verstauen. Sie müssen den gesamten Innenraum des Shuttles umbauen. Da sind Sie gezwungen, sich viel zu bewegen.

Die Gewöhnung an die Schwerelosigkeit dauert dann: Die ersten zwei Stunden ist man etwas blass um die Nase. Aber am nächsten Morgen wacht man auf und denkt: 'Toll, Schwerelosigkeit! Das ist ja eigentlich so, wie es schon immer war - schon damals vor elf Jahren.'

ISS Internationale Raumstation (Foto: NASA/dpa)
Die Internationale Raumstation ist seit 1998 zu einer 455 Tonnen schweren Anlage herangewachsenBild: Nasa/dpa

Das Gehirn stellt sich also auf die neue Umgebung ein. Gerade zur Funktion des Gehirns gab und gibt es ja viele auch Forschungsprogramme auf der ISS. Was verspricht man sich davon für die Medizin auf der Erde?

Es gibt viele Erkrankungen, die darin begründet liegen, dass das Gehirn die Daten nicht richtig deuten kann, die von den Sensoren unseres Körpers kommen - also von den Gleichgewichtsorganen im Innenohr, von den Augen, von den Muskelspindeln oder auch von der Hautoberfläche, wo Reize weitergeleitet werden. Das sind viele Daten, die im Gehirn verknüpft werden und uns Auskunft darüber geben, wie wir uns im dreidimensionalen Raum bewegen, was wir tun müssen, um das Gleichgewicht zu halten.

Bei den Forschungen versucht man insbesondere zu erkunden, welche Sensoren genau welchen Einfluss auf unsere Vorstellung des Raumes haben. Zum Beispiel gibt es im Innenohr sogenannte Otholiten. Das sind winzige Steinchen, die dem Gleichgewichtsorgan ermöglichen, eine lineare Beschleunigung wahrzunehmen. Diese Sinnesorgane sind aber in der Schwerelosigkeit ausgeschaltet und liefern kein Signal. Nur die sogenannten Bogengänge in den Gleichgewichtsorganen des Innenohres liefern dann noch ein Signal. Somit habe ich im Weltraum die Möglichkeit, den Einfluss nur einzelner Sensoren auf die Datenverarbeitung im Gehirn zu untersuchen. Das hilft zu verstehen, wie diese Krankheiten sich auswirken, und was ich dagegen unternehmen kann.

Dieses Jahr werden gleich zwei ESA-Astronauten hintereinander zur ISS fliegen: Der Deutsche Alexander Gerst und die Italienerin Samantha Cristoforetti. Beide werden selbst auch für medizinische Versuche zur Verfügung stehen, haben aber noch viel mehr auf ihrem Programm …

Alexander Gerst wird über 30 Experimente mit Schwerpunkt Humanwissenschaften, Materialwissenschaften, Physik, Biologie und noch einigen anderen Bereichen durchführen. Insofern wird auch er Daten zum Kreislaufsystem, möglicherweise auch zum Gleichgewichtssystem, liefern. Damit knüpft er an Studien früherer Astronauten an. Gerade bei den Humanwissenschaften braucht man eine gewisse Anzahl an Testpersonen, um dann auch signifikante Ergebnisse zu bekommen. Wenn ich bei einem oder zwei Astronauten etwas beobachtet habe, kann ich noch nicht sagen: 'Das ist allgemeingültig.'

Jeder Raumflug bringt neue Erkenntnisse mit, und jede Erkenntnis bringt wiederum neue Fragen hervor. Unter Wissenschaftlern gibt es also jede Menge Bedarf an weltraumgestützter Forschung. Wie sieht denn die langfristige Zukunft aus - falls es die ISS einmal nicht mehr geben sollte?

In Gesprächen mit den wissenschaftlichen Beratungsgremien wird uns das natürlich immer wieder ins Bewusstsein gerufen. Es ist wichtig, dass wir für Kontinuität sorgen. Wir müssen vermeiden, dass Forschungen wiederholt werden. Aber Forschungen, die man begonnen hat, müssen wir auch zu Ende führen. Dazu gehört auch, dass man einen Ausblick auf eine Zukunft hat. Insofern werden wir alles daran setzen diese Kontinuität sicherzustellen - unabhängig davon, ob es auf der ISS oder einer anderen Plattform stattfindet.

Da müssen wir uns natürlich sehr intensiv mit unseren Mitgliedsländern auseinandersetzen, ob wir die ISS weiter benutzen wollen oder ob wir auch nach anderen Plattformen suchen, die uns diese Forschungen ermöglichen. Letztendlich geht es ja darum, die Betriebskosten für die Forschungsinfrastruktur so gering wie möglich zu halten, damit wir die Investitionen für die Experimente selbst so groß wie möglich machen können. Und das ist die Basis, auf der wir gerade in das nächste Jahrzehnt hineinschauen.

Vollmond (Foto: Mary At)
Vor allem die Rückseite des Mondes hat es den Forschern angetanBild: Mary At

Es wird jetzt auch viel vom Mond gesprochen. Die Chinesen haben gerade einen Landeroboter dort abgesetzt. Warum ist der Mond für die Forschung so interessant? Dort gibt es doch Gravitation - also Experimente, wie auf der ISS kann man da ja gar nicht durchführen?

Für viele Forschungen, die wir an der ISS durchführen, eignet sich der Mond nicht. Es gibt aber auch wissenschaftliche Fragestellungen, die gerade auf dem Mond von großem Interesse sind. Für Radioastronomen ist die, der Erde abgewandte Seite des Mondes ein absoluter Traum. Die würden da gerne ein Radioteleskop hinbauen, dass abgewandt von der Erde, ohne jegliche Störung wirklich in die Tiefen des Weltraums hineinhorchen kann - und das ist unabhängig von der Schwerkraft.

Dann gibt es eine Menge technologische Fragen: Bin ich in der Lage, Systeme zu bauen, die über lange Zeit die Ressourcen, die dort vorhanden sind, nutzen können - zum Beispiel aus dem Regolith, der lockeren obersten Sedimentschicht des Mondgesteins, Sauerstoff erzeugen? Sofern an den Polen wirklich größere Wasservorräte sind: Kann ich die Nutzen um Trinkwasser und Treibstoff herzustellen?

Vor allem ist der Mond gewissermaßen ein Geschichtsbuch unseres eigenen Planeten. Er ist aus der Erde vor über vier Milliarden Jahren entstanden und dieser Zustand ist dort gewissermaßen eingefroren. Auf der Erde hat sich die Oberfläche durch tektonische Bewegungen und Erosion viele Male verändert. Für Wissenschaftler, die sich fragen, wie sich unser Planet entwickelt hat, ist der Mond ein hochinteressantes Gebiet. Insofern ist der Mond für die Forschung sehr interessant.

Um die Frage, wie unser Universum entstanden ist, geht es ja auch bei der Sonde Rosetta. Im August soll sie den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko einholen und auf dessen Flugbahn begleiten. Im November soll sie sogar den Landeroboter Philae darauf absetzen, der dann Bodenproben analysiert. Sind Sie schon sehr aufgeregt?

Im Moment noch nicht. Jetzt habe ich erstmal das Atemanhalten hinter mir, als wir am 20. Januar darauf gewartet haben, dass uns die Sonde nach einer 30-monatigen Tiefschlafphase ein Signal schickt. Das nächste wird dann das Rendezvous mit dem Kometen selbst sein - im Sommer. Dann wird es wieder spannend, wenn der Lander Philae abgesetzt wird.

Das Interview führte Fabian Schmidt.

Thomas Reiter ist Direktor für bemannte Raumfahrt und Betrieb bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Der ehemalige Brigadegeneral der Luftwaffe war als Astronaut 1995 für 176 Tage auf der Raumstation MIR und 2006 für 166 Tage auf der Internationalen Raumstation ISS.