Trends auf dem Reisebuchmarkt
19. Oktober 2016"Stellen Sie sich vor, Sie sind auf dem Meer oder in den Bergen unterwegs. Ein Printprodukt bietet Sicherheit auch da, wo es Funklöcher und keinen Strom gibt." Uta Niederstraßer von der VerlagsgruppeMairDumont nennt einen unschlagbaren Vorteil des gedruckten Reiseführers. MairDumont ist mit 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr Marktführer in Europa für Reiseführer, Karten und Stadtpläne. Dazu gehören gehören die Reihen Marco Polo, DuMont, der deutsche Lonely Planet, Stefan Loose und Falkplan sowie das Urgestein der Reiseführer: der Baedeker.
Glaubwürdig wie ein Freund
Seit seiner Gründung 1832 ist der Baedeker bekannt für Zuverlässigkeit und Genauigkeit. Autor und Verleger Karl Baedeker war ein Erbsenzähler in wörtlichem Sinne: Um die Stufen des Mailänder Doms zu zählen, steckte er alle 20 Schritte eine Erbse von der Westen- in die Hosentasche. Und er beschrieb nicht nur akribisch Sehenswürdigkeiten, sondern lieferte auch praktische Hinweise, etwa zu Fahrplänen und Gasthäusern. Das machte seine Reiseführer so erfolgreich.
Doch solche Informationen bietet heute das Internet schneller und aktueller als jeder gedruckte Reiseführer. Was also kann der besser als das Netz?
Immer wichtiger wird die persönliche Empfehlung, der gut recherchierte und maßgeschneiderte Tourentipp. Das sieht auch die Chefredakteurin des Reiseführers DuMont, Maria Anna Hälker so. Sie schreibt über Madrid und Andalusien. Bei ihren Recherchen zu Hotels und Restaurants vertraut sie eher Tipps von Freunden als Bewertungsportalen wie tripadvisor.de. Natürlich prüft sie alle Empfehlungen persönlich nach. Immer wieder. Denn was nach wie vor zählt ist Glaubwürdigkeit.
Direkt vernetzt mit Insidern vor Ort
Die persönliche Empfehlung als Geschäftsmodell – damit hat sich der bekannte englischsprachige ReiseführerInsight Guides 2016 ganz neu aufgestellt. Schon seit 1970 gibt es die Bücher für Individualreisende. Nun verlagert das Unternehmen sein Geschäft immer weiter ins Netz und sieht dort seine Zukunft: User können Experten am Urlaubsziel direkt kontaktieren, Empfehlungen einholen und zu den angeblich besten Konditionen maßgeschneiderte Ferien buchen. "Wir erwarten, dass das digitale Geschäft das Buchgeschäft bald überholt", erklärt CEO René Frey. Bücher werde man dennoch weiter drucken.
Riese unter den Reiseführer-Verlagen
Beharrlich in die Inhalte seiner Print-Produkte investiert hat der Backpacker-Reiseführer Lonely Planet. Auch, nachdem 2008 im Zuge der Wirtschaftskrise der englischsprachige Markt für Reiseführer eingebrochen war. Heute ist Lonely Planet weltweit Nummer Eins der Reiseführerverlage. Sechs Millionen Menschen nutzen die zugehörigen Social-Media-Kanäle und das Reiseforum Thorn Tree. Seit 2006 erscheint der Lonely Planet auch auf Deutsch.
2015 hat der deutsche Buchmarkt 1,4 Prozent weniger Umsatz gemacht. Die Reisebuchverlage hat das zwar kaum getroffen. Trotzdem überarbeitet Marktführer MairDumont seine Produktreihen, grübelt über Zielgruppen, entwirft neue Designs. Und fischt im Netz nach neuen Geldquellen.
So wurde Marco Polo, meistverkaufter Reiseführer Europas, Anfang 2016 aufgepeppt. Zielgruppe: sehr jung und weiblich, auf Abenteuer und Spaß aus. Für sie bietet der schmale handliche Führer Tipps zu Festivals, Aktivitäten wie Surfen, Tauchen und Shopping. Dazu gibt es "digitale Extras" wie einen Update-Service über geänderte Preise oder Öffnungszeiten. Und eine kostenlose App mit "Erlebnistouren" für das Smartphone.
Strategien im digitalen Zeitalter
Die Touren-App kann man auch herunterladen, ohne vorher den Reiseführer zu kaufen. "Das macht nur keiner", sagt Uta Niederstraßer von MairDumont. Das Buch muss sein - auch E-Books kommen gut an. Ihr Standbein in der digitalen Welt sichert sich die Verlagsgruppe anders: Sie kauft etablierte Online-Firmen und Startups rund um das Thema Reisen auf - etwa das Strandbewertungsportal Beachinspector oder den Online-Reiseführer Trips by Tips.
"Das ist nicht unser Kerngeschäft", sagt dagegen Birgit Hempel vom Verlag Reise Know How. Diese Reiseführer für Individualreisende gibt es seit 1985. Mit mehr als 2000 lieferbaren Titeln ist der Verlag eine feste Größe auf dem deutschen Markt. Ausführliche Landeskunde und Tipps für respektvolles Reisen im Gastland gehören zum Markenkern.
Nach einer Experimentierphase habe man das Entwickeln von zusätzlichen Digitalprodukten wieder eingestellt. E-Books gibt es zwar, auch GPS-Daten von Sehenswürdigkeiten sowie eine App mit Audiotrainer der Landessprache und Stadtspaziergängen. Das Buch bleibe aber die Hauptsache. "Die Leute blättern gern vor der Reise darin, streichen Ziele an, knicken Ecken ein. Und sie haben den Reiseführer gern im Bücherregal stehen, um sich zu erinnern, wo sie überall waren."
Packend: die Erfahrung aus erster Hand
Außerdem folgen sie gern vom Lesesessel aus anderen auf ihre Reise. Mit Titeln wie "Couchsurfing im Iran" landete der Malik Verlag Bestseller. Er ist spezialisiert auf Reise- und Abenteuerberichte. Schon 1927 erschien die Reihe „Was nicht im Baedeker steht“ als Gegenentwurf zum sachlichen Reiseführer. Der deutsche Wanderexperte Manuel Andrack veröffentlicht hier ebenso wie Bergsteigerlegende Reinhold Messner.
"Sinnfragen sind heute sehr zentral: Was will ich unbedingt noch erleben, ist es Zeit für grundlegende Veränderungen?", erklärt Programmleiterin Bettina Feldweg das wachsende Interesse. Reisen seien oft ein entscheidender Impuls, mit alten Gewohnheiten zu brechen.
Vom Blog zum Buch
Die eigene Reise in die Zukunft macht Malik übrigens im Netz: mit dem deutsch-englischsprachigen Blogtravelepisodes.com. Multimedial berichten Autoren dort über ihre Reise-Erlebnisse. Die Geschichten erscheinen auch als E-Book und als Buch. Der erste Band "Geschichten von Fernweh und Freiheit" wurde in Deutschland ein Bestseller. Der zweite ist im Dezember 2016 erschienen und wurde für den E-Book-Award nominiert - als "innovatives und zukunftsweisendes Digital-first-Projekt".