Reichtum als Fluch
28. Oktober 2009Die Region Catatumbo im Nordosten Kolumbiens: Berge, Dschungel, abgelegenes Grenzgebiet zu Venezuela. Hier lagert eines der größten Kohlevorkommen Kolumbiens. Einheimische und internationale Konzerne wollen die Kohle im Tagebau abbauen und exportieren. Ureinwohner und Landbevölkerung aber leisten Widerstand.
Doch wer der Ausbeutung der Ressourcen im Weg ist, lebt gefährlich: Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden in der Region in den vergangenen Jahren rund 10.000 Menschen getötet.
Auch Sankoweita ist gegen den Kohleabau. Er ist einer der Häuptlinge der Bari, einer kleinen, lange verfolgten indigenen Ethnie aus dem Catatumbo. Zwei Tage dauert die Reise von der Provinzhauptstadt Tibu in Sankoweitas Dorf. Zwei Tage mit Jeep, Maultier und zu Fuß. Über nebelverhangene Berge, bedeckt mit tropischem Regenwald und durch Flüsse mit glasklarem Wasser.
Rund 100 Menschen leben in der abgelegenen kleinen Gemeinschaft, von der Jagd, dem Fischfang und der Landwirtschaft. Doch die Idylle ist trügerisch - die Bari haben Angst, Angst vor der Zerstörung ihrer Heimat durch den geplanten Kohleabbau.
„Wir haben gesehen, was der Tagebau in andern Teilen Kolumbiens angerichtet hat“, betont Sankoweita. „Wenn die Bodenschätze ausgebeutet werden, dann stirbt alles, die Natur, die biologische Vielfalt.“ Für die Bari, erklärt er, sei das Land der Ursprung allen Lebens: „Ohne unser Land sterben wir. Und deswegen werden wir auch weiter darum kämpfen.“
Rund 3000 Bari leben noch in der Region Catatumbo. In den vergangenen Jahrzehnten haben sie einen Großteil ihres Landes verloren. Durch den geplanten Kohleabbau ist ihr Lebensraum erneut in Gefahr. Denn die Kohle liegt auch unter dem Land der Bari.
Eine Region geprägt von Gewalt
Mittagszeit in der Bezirkshauptstadt Tibu. Die Klimaanlage im abgedunkelten Büro von Manuel Bolivares läuft auf Hochtouren. Bolivares ist Menschenrechtsbeauftragter des Bezirks. Er erklärt die Skepsis und die Ängste der Bari mit der Geschichte der Region:
„Der Bezirk Tibu, die Region Catatumbo, das ist ein Gebiet mit großen Reichtümern, Erdöl und andere Bodenschätze. Was das Erdöl betrifft, haben wir negative Erfahrungen gemacht. Seit 1930 wird es hier ausgebeutet – paradoxerweise hat es dem Bezirk aber nur Rückstand und Gewalt gebracht.“
Die Bari mussten ganz besonders unter dieser Gewalt leiden. Als sie sich in den dreißiger Jahren gegen die Ausbeutung des Erdöls wandten, setzte die kolumbianische Regierung Kopfgelder für jeden getöteten Bari aus. Tausende wurden ermordet. Auch viele Kleinbauern und Siedler beteiligten sich damals an der Jagd auf die Bari.
Massaker und Vertreibung
Die jüngste Welle der Gewalt begann Ende der neunziger Jahre. Rechtsextreme paramilitärische Milizen infiltrierten die Region Catatumbo. Angeblich um sie von der Guerilla zu säubern. Diesmal traf es neben den Bari auch die Kleinbauern.
Zehntausende wurden bedroht, verschleppt und ermordet. Die Paramilitärs verübten brutale Massaker, auch an der Zivilbevölkerung. Sie zerschnitten ihre Opfer mit Motorsägen, warfen die sterblichen Überreste in den Catatumbo-Fluss. Die meisten Vertriebenen verloren ihren gesamten Besitz. Viele Opfer berichten von logistischer und personeller Unterstützung des kolumbianischen Heers für die Paramilitärs.
Ende 2004 legten die ersten Paramilitärs nach einem Abkommen mit der Regierung ihre Waffen nieder. Die meisten kamen straflos davon. Die blutige Bilanz von Menschenrechtsorganisationen: Mehr als 10.000 Tote und über 100.000 Vertriebene, die meisten Kleinbauern.
Angst vor der Rückkehr
Doch auch nach der Demobilisierung der Paramilitärs geht die Gewalt weiter. Immer wieder kommt es zu Übergriffen der Armee. Landbewohner werden getötet und der Öffentlichkeit als im Kampf gefallene Guerilleros präsentiert. Außerdem tauchen neue paramilitärische Milizen auf.
Eine Rückkehr in die Region Catatumbo wagen die wenigsten Flüchtlinge. Hinter den massiven Vertreibungen steckt nach Meinung von Menschenrechtlern politisches Kalkül. “Die Hauptursache des Konflikts in Kolumbien“, sagt Melissa Mallesteros von der Anwaltsvereinigung CCA, „war schon immer das Land.“ Das eigentliche Ziel des bewaffneten Konflikts seien die Vertreibungen: „Es gibt ein wirtschaftliches Interesse an den Gebieten der Ureinwohner und der Landbevölkerung. Das Hauptproblem dieser Menschen ist, dass sie in einer reichen Region leben, reich an biologischer Vielfalt, Öl, Kohle und Uran.“
Rund 300 Millionen Tonnen hochwertiger Steinkohle sollen im Catatumbo-Gebiet lagern. Bei einem Weltmarktpreis von 60 Euro pro Tonne entspricht das einem Wert von 18 Milliarden Euro. Eine ganze Reihe von Unternehmen aus Kolumbien, Kanada und Mexiko interessiert sich für die Ausbeutung der Kohleverkommen.
Die Menschen in der Region, so glaubt auch der Bari-Häuptling Sankoweita, stören da nur: “Wir glauben, dass es Verbindungen zwischen den Paramilitärs und den potentiellen Minenbetreibern gibt - schließlich machen sie den Unternehmen den Weg frei. Erst kommen die Paramilitärs dann die Unternehmen.“
Natürlich streiten die Unternehmen solche Verbindungen ab. Doch auch Führer der Paramilitärs haben öffentlich über ihre Zusammenarbeit mit Politik und Wirtschaft berichtet. Manuel Bolivares, der staatliche Menschenrechtsbeauftragte des Bezirks Tibu, gibt sich trotzdem optimistisch. Er glaubt, dass der geplante Kohleabbau der Region nicht noch mehr Gewalt, sondern den lang ersehnten Fortschritt bringen wird.
“Wir müssen aus den Fehlern und Erfahrungen der Vergangenheit lernen. Der Bezirk muss darauf bestehen, dass die Unternehmen sich an die Gesetze halten und auch die nötigen sozialen Investitionen machen. Auch die Regierung muss investieren. Dann wird die ganze Region profitieren.“
Doch die Bari glauben nicht an die staatlichen Versprechungen von Wohlstand und Arbeit. Sie wollen keine Arbeitsplätze, die auf Kosten ihrer Umwelt gehen. Sie wollen auf traditionelle Weise, auf dem Boden ihrer Urväter, weiterleben. Deswegen kämpfen sie gemeinsam mit Kleinbauern und Vertriebenen gegen den Kohleabbau und für ihr Land. Vor Gerichten, mit friedlichen Demonstrationen und mit internationalen Kampagnen. Dabei hoffen sie auch auf Unterstützung von deutscher Seite. Schließlich ist Deutschland einer der wichtigsten Abnehmer der Kohle aus Kolumbien.
Autor: Nils Naumann
Redaktion: Mirjam Gehrke