Eigeninitiative statt Aktenfrust
16. April 2016Zwanzig Männer und Frauen warten auf Plastikstühlen im sonnendurchfluteten Flur des Jobcenters Paderborn. Kinder stapeln Holzbausteine zu Türmen. Gedämpftes Stimmengewirr und das Geplapper der Kleinen erfüllt den langen Gang. Auch die Halbwüchsigen von Bilal und Teya spielen auf dem Boden, ihre Tochter sitzt auf dem Schoß des Vaters und schläft. Teya nestelt nervös an ihrem Schal. Anspannung liegt in der Luft, sobald sich eine der Türen öffnet. Wer eine der Türschwellen überquert, kommt seinem Asylantrag ein Stück näher. Als Bilal und Teya an der Reihe sind, greifen sie schnell nach den Händen ihrer Kinder und huschen in den Raum.
An den Tischen am Fenster sitzen zwei Männer vor einem PC. Der Dolmetscher am zweiten Tisch lächelt und steht auf. "Salam Aleikum" sagt er und nickt freundlich. "Wa aleikum as-salam", sagt auch Bilal. Der junge Mann spricht seine Sprache. Er ist sichtlich erleichtert. Bilal und Teya werden in den folgenden Minuten von ihrer syrischen Heimat erzählen. Von ihrem Leben dort und dem Wandel und warum sie fliehen mussten. Der Dolmetscher wird verständnisvoll nicken und den beiden Männern die kurze Geschichte der sechsköpfigen Familie übersetzen. Anschließend werden von jedem Familienmitglied Fingerabdrücke genommen und ein Foto gemacht.
Der Gang der Hoffnung
Die Registrierung ankommender Flüchtlinge in den Kommunen ist eigentlich Aufgabe des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Doch durch viele neue Migranten und den wachsenden Mangel an qualifiziertem Personal sah sich der Kreis Paderborn gezwungen, akiv zu werden.
Knapp 4000 unbearbeitete Asylverfahren sind in Paderborn offen. Teilweise sind die Anfragen älter als eineinhalb Jahre. Hinzu kommen neue Asylgesuche. "Wir hatten die Möglichkeit alle drei Wochen fünfzig Leute zum Bundesamt für Migration nach Bielefeld zu bringen. Das war uns viel zu langsam. Wenn wir das über die Monate hochrechnen, hätten wir eineinhalb bis zwei Jahre gebraucht, um alle Asylverfahren aufzunehmen", erklärt Landrat Manfred Müller. Doch mit dieser Prognose wollte er sich nicht zufrieden geben. Sein Ausweg: Sieben Mitarbeiter des Landkreises ließ er vom BAMF schulen. Jetzt legen sie die sogenannte Vollakte nebst Fingerabdruck und Foto an, die anschließend an das BAMF übermittelt wird. Ein bundesweites Pilotprojekt.
Auf Erfahrungen aufbauen
"Das Verfahren beschleunigt den Prozess ungemein", bestätigt Landrat Müller. Entsprechende Erfahrungen hatten seine Mitarbeiter schon im vergangenen Sommer gesammelt, als sie Flüchtlinge in Paderborn registrierten, um sie nach der Erstaufnahme in die Städte und Gemeinden zu verteilen. Darauf wollte Müller aufbauen - zum Vorteil aller Beteiligten.
Langes Warten auf einen BAMF-Termin
Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat kennt das Problem, dass tausende Flüchtlinge monatelang auf einen Termin für ihre Antragsstellung beim BAMF warten müssen. Ende 2012 war das BAMF für die Bearbeitung von 30.000 Anträgen ausgelegt. Mittlerweile haben sich über 77.000 Anträge aufgestaut. Mit jedem ankommenden Flüchtling steige die Zahl weiter. "Als Überbrückung ist das Paderborner Modell eine gute Lösung", sagt Birgit Naujoks. Schon lange herrsche beim BAMF der "Wahnsinn". Doppelte Registrierungen der Flüchtlinge durch Land und Bund sowie Probleme beim Datenaustausch. Der Grund: Bund und Land arbeiten mit unterschiedlichen PC-Systemen, die nicht vernetzt sind.
Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen verspricht durch ein einheitliches PC-System und einen Flüchtlingsausweis mit abgespeichertem Fingerabdruck Verbesserung. Das Paderborner Modell allerdings auf andere Städte und Gemeinden in Deutschland zu übertragen und das BAMF auf diese Weise zu entlasten, sieht Naujoks als Problem. "Für andere Kommunen ist es schwierig, dieses Modell zu übernehmen, da sie über Haushaltssperren klagen." Doch diese "Aufschieberitis" wolle keiner - weder das Bundesamt, das die Menschen schnell integrieren oder abschieben will, noch die Flüchtlinge, die eine Entscheidung brauchen, so Naujoks.
Schnelle Integration oder Abschiebung
Ein Problem, dass auch Landrat Müller kennt. "Wird die Entscheidung sehr spät getroffen, schlagen diejenigen, die nicht bleiben können, hier zu lange Wurzeln und werden aus ihrer Gemeinschaft wieder herausgerissen. Den anderen, die eine Bleibeperspektive haben, denen bieten wir zu spät Integrationsmaßnahmen an." Dem Problem der Finanzierung sah sich auch Landrat Manfred Müller ausgesetzt. "Das BAMF betrachtet unsere Praxis als Pilotprojekt. Ich weiß, dass das Modell auch einige Kollegen wollen. Für die nächsten Monate kann ich es empfehlen, allerdings nicht auf Dauer."
Die Entscheidung, ob die Familie von Bilal und Teya in Deutschland bleiben darf, treffen nicht die Mitarbeiter in Paderborn, sondern die Entscheider beim BAMF. "Germany gut" strahlt Bilal zum Schluss. Jetzt heißt es Daumen drücken. Vielleicht hat auch ihr Warten bald ein Ende.