Filmregisseur Michael Verhoeven ist 80
30. Januar 2017Für "Das schreckliche Mädchen" wurde er 1991 für einen Oscar nominiert. Sein Film "Die weiße Rose" lenkte das Augenmerk der Zuschauer 1982 auf das Schicksal der jungen Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Michael Verhoeven, seit über einem halben Jahrhundert verheiratet mit der Schauspielerin Senta Berger, hat seit Mitte der 1960er Jahre kontinuierlich für das deutsche Kino gearbeitet, auch viele Fernsehfilme und Serien gedreht. An diesem Freitag (13.7.) wird Verhoeven 80 Jahre alt. Sein Kinodebüt "Paarungen" feierte 1967 Weltpremiere. Ein Gespräch über sein Debüt und ein Ratschlag für junge Filmemacher heute.
Deutsche Welle: Wie war das damals mit Ihrem Debüt als Filmregisseur? Sie haben ja vor ziemlich genau einem halben Jahrhundert Ihren ersten Kinofilm gedreht.
Michael Verhoeven: Das war eine große Sache nach dem August-Strindberg-Stück "Totentanz". Mein Film hieß "Paarungen". Ich habe den Begriff aus dem Sport genommen, vom Boxen. Es hat aber auch diese biologische Bedeutung: Es war ja ein Kampf, den Strindberg beschrieben hat, ein Totentanz zwischen Eheleuten.
Ich war damals frisch verheiratet. Alle haben sich an den Kopf gegriffen und mich gefragt, wieso ich jetzt als Jungverheirateter so eine Geschichte mache. Aber es geht ja um ganz andere Dinge, es geht um Psychologie und eigentlich ist der Kampf eine Art Schaukampf. Das bedeutet, dass die Protagonisten, nicht für alle Zeiten verfeindet sind. Beim Boxkampf ist das ja auch so, dass man sich am Ende wieder die Hände reicht.
Wie fiel die Premiere aus? Woran erinnern Sie sich?
Die Premiere war wirklich ein denkwürdiger Augenblick. Das war in Köln im Kino "Rex am Ring". Die Schauspieler waren da, Lilli Palmer und Karl-Michael Vogler, meine Familie. Wir waren alle angereist und es hatte geheißen, der Film sei ausverkauft. Das war ein schönes Gefühl. Aber dann waren keine Leute da! Weil es war etwas geschehen, was in meinen Kopf gar keinen Platz hatte: Es war November und in Köln wurde Karneval gefeiert! Ich als gelernter Münchner dachte natürlich noch nicht an den Fasching, Karneval haben wir sowieso nicht. Es waren also keine Leute gekommen. Und da sind wir beinahe alle zusammengebrochen vor Enttäuschung und vor Schmerz.
Wie ging es dann weiter mit dem Film?
Wir haben dann mit den Leuten Karneval gefeiert, neben dem Kino war ein Riesenlokal, das war voll, da wurde getanzt und gesungen. Das gehört dazu, dass ich diese beiden Stimmungen mit der Filmpremiere in Zusammenhang bringe, unsere Depression und dieses großartige Feiern in den Tanzlokalen.
Die Premiere war also schlecht getimt. Wir waren erst mal sehr deprimiert. Alle haben gedacht, das war's jetzt und dieser Film ist vollkommen für die Katz' gedreht. Der hat sich dann aber berappelt, weil die nächste Premiere im März 1968 in München war. Da herrschte ein ganz anderes Klima. Wir hatten eine tolle Presse und der Film war plötzlich da und hat auch alle möglichen Erfolge gehabt. Wir waren auf Festivals, dann war alles gut…
Für die Film-Debütanten heute ist ja immer die Finanzierung ihrer Projekte ein großes Thema. Wie war das damals bei Ihnen?
Ich kann das ja erzählen, weil meine Frau gerade nicht hier im Raum ist. Wir haben eine Hypothek auf unser Haus aufgenommen. Da bin ich aber auch nicht alleine. Da kenne ich einige, die ihren ersten Film so finanziert haben. Das Tolle ist ja, dass der Film alles wieder eingespielt hat - was nach der Premiere nicht zu erwarten war.
Es gab schon eine Filmförderung damals. Es gab auch so etwas wie eine Debüt-Förderung. Die fanden aber, das Drehbuch zu "Paarungen" sei Literatur und sagten: Sowas fördern wir nicht, das spielt ja auch gar nicht heute und das hat mit uns nichts zu tun. Deshalb haben die das nicht gefördert.
Was hat Sie an dem Stoff damals interessiert?
Warum mich das Stück so fasziniert hat? Es wird ja selten gespielt. Aber es ist großartig, weil in diesem Kampf von Mann und Frau immer noch eine große Zuneigung liegt. Ich fand, das war ein tolles Stück, noch heute!
Es wurde damals nicht so viel für den Nachwuchs getan. Es gab ja auch noch keine Filmhochschulen. Ich hab auch keine Ausbildung gehabt. Ich war ein junger Schauspieler. Dabei kann man ja auch viel lernen. Man kann die Augen aufhalten und sieht, was jemand macht. Ich hatte tolle Regisseure. Ich habe zwei Filme unter der Regie von Helmut Käutner gemacht. Mein erster Film war unter Kurt Hoffmann.
Dann hab ich 1954, da war ich 15, einen französischen Film gedreht. Der Regisseur war Julien Duvivier. Und jetzt kommt's: Der Regieassistent war Marcel Ophüls (der Sohn von Max Ophüls, selber später ein berühmter Filmemacher, Anmerkung der Redaktion). Deshalb ist das jetzt auch ein Wiedersehen beim Festival in diesem Jahr. Marcel und ich haben uns immer mal wieder getroffen, wir schreiben uns auch. Er hat damals unter mir sicher sehr gelitten, weil ich mitten in der Pubertät war. Und als Regieassistent musste er mich ja "mitverwalten" und da habe ich mich natürlich sehr wiedersetzt - umso mehr sind wir heute Freunde.
Worauf sollten Ihrer Meinung nach heute junge Filmemacher achten, was ist wichtig?
Sie sollten sehr viel wissen über Film, das heißt: Filme gucken. Sich überlegen, was ist anders gemacht worden als in dem Film, den ich gestern gesehen habe? Was ist das für eine Handschrift? Was zeichnet diesen Menschen, der diesen Film gemacht hat, aus? Auch als Handwerker. Das kann man nicht gleich erkennen. Da muss man schon 100 Filme gesehen haben, dann erkennt man plötzlich, dass das geführt ist von jemand, der die Kamera hat. Und von jemand, der die Regie hat. Wie geht das zusammen?
Das ist auch eine Frage, die bis heute ungeklärt ist: Wenn es eine wunderbare, tolle Kameraeinstellung gibt - wo stammt die her? Aus dem Denken des Regisseurs? Oder aus der Praxis des Kameramannes? Das kann man nur analysieren, wenn man noch andere Werke von den beiden Menschen kennt.
Sie haben während Ihrer Karriere immer auch wieder für das Fernsehen gearbeitet. Angefangen aber haben Sie als Kinoregisseur...
Kino war Mitte der 1960er Jahre, als ich angefangen habe, ganz unten. Es gab wenige Möglichkeiten, einen Film, der nicht direkt kommerziell aussah, auf die Beine zu stellen, zu finanzieren. Da gab es gruselige Steuermodelle. Man hat mir mal vorgeschlagen, einen Film für "die Tonne" zu machen. Der sollte 18 Vorstellungen haben und dann verschwinden. Die Leute, die diese Steuermodelle in die Branche gebracht haben, sind alle im Gefängnis gelandet. Es gab solche "Filme, die es nie gab".
Das Kino war damals schon interessant, aber hauptsächlich die ausländischen Filme. Die "Nouvelle Vague" hat uns ja immer interessiert. Mein Film "Paarungen" war, obwohl er um das Jahr 1900 herum spielt, auch sehr modern in der Auffassung. Auch optisch, auch wie die Schauspieler agierten. Aber dass ein Film nicht in der Gegenwart spielt, war unüblich damals.
Wir, meine Generation, Alexander Kluge und die anderen, alle so um die 30 Jahre alt, wurden unglaublich bekämpft von der etablierten Filmbranche. Die haben gesehen, dass das, was wir Burschen da wollen, etwas ganz anderes war. Die haben gedacht: Das ist unser Ende. Und das war ja auch das Ende dieser Generation von Filmemachern. Wir waren jung, wollten die Welt neu erschaffen. Wir Nachwuchsregisseure hatten auch allen Grund dazu: Es gab im Geschichtsunterricht kein "Drittes Reich". Soweit ist man nicht gekommen, da war die Schule schon zu Ende.
Das Gespräch führte Jochen Kürten beim Debütfilm-Festival "Max Ophüls Preis" in Saarbrücken 2017.