Regionalwahlen könnten an Putins Macht kratzen
13. September 2020Mehr als 9000 verschiedene Wahlen finden an diesem Sonntag im flächenmäßig größten Land der Welt statt. Und obwohl es bei den Abstimmungen um Entscheidungsträger auf lokaler oder regionaler Ebene geht, so kann das Ergebnis doch Einfluss auf die künftige Politik in Moskau haben. Für den Kreml besonders wichtig sind die neuen Gouverneure, die in 18 Regionen gewählt werden. In elf weiteren Regionen stimmen die Menschen über eine neue Zusammensetzung regionaler Parlamente ab. In 22 Städten stehen Stadtratswahlen an, und in anderen Gebieten stellen sich Abgeordnete der Staatsduma zur Wahl.
Die Urnengänge kommen für Präsident Wladimir Putin und dessen Partei "Geeintes Russland" zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Da ist zum einen die jüngst verabschiedete, unpopuläre Rentenreform, die ihm viele Bürger nicht verzeihen. Gleichzeitig hat Russlands Wirtschaft unter der weltweiten Öl-Krise und der Corona-Pandemie gelitten, die Zahl der Arbeitslosen ist angestiegen. Im fernen Osten Russlands sorgte zudem die Verhaftung des ehemaligen Gouverneurs Sergej Furgal wegen dessen möglicher Verwicklung in 15 Jahre zurückliegende Mordfälle für die größten Proteste, die die Region bisher gesehen hat. Immer noch gehen regelmäßig Tausende Menschen gegen eine Bevormundung aus Moskau auf die Straße. In anderen Regionen ist etwa der Unmut über Umweltprobleme groß.
Geht Nawalnys Wahlstrategie auf?
Überschattet wird die Wahl aber vor allem vom Fall Nawalny - immerhin Russlands berühmtester Oppositionspolitiker. Seit mittlerweile drei Wochen wird Putins härtester Widersacher in der Berliner Universitätsklinik Charité behandelt. Nach einer Untersuchung in einem Speziallabor steht für die Bundesregierung fest, dass der 44-Jährige mit einem Nervengift der vom internationalen Chemiewaffenverbot betroffenen Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Russische Ärzte sehen dagegen bislang keine Anhaltspunkte für eine Vergiftung, heißt es aus Moskau.
Bevor Nawalny auf einem Inlandsflug nach Moskau zusammengebrochen war, hatte er sich in Sibirien aufgehalten, um die Wahlen vorzubereiten. Sein Team will mit der Strategie einer "klugen Abstimmung" die Dominanz der Kremlpartei brechen. Dabei sollen die Wähler für denjenigen Kandidaten stimmen, dem die meisten Chancen zugerechnet werden - nur unter keinen Umständen für einen Kandidaten von "Geeintes Russland". Diese Methode war zuletzt schon erfolgreich.
Opposition warnt vor Wahlbetrug
Bereits bei den Regionalwahlen vor einem Jahr musste die Kremlpartei Verluste hinnehmen. Allerdings gelang es ihr dennoch, in den meisten Regionen ihre Mehrheit der Abgeordnetenmandate zu verteidigen. Hart umkämpft war vor allem die Wahl zum Stadtparlament in Moskau. Im Vorfeld gab es damals Massenproteste. Die aktuelle Wahl hat mit Blick auf die Parlamentswahlen im kommenden Jahr aber deutlich mehr Aussagekraft. Es ist die erste Abstimmung seit dem umstrittenen Referendum über die neue Verfassung im Juni, die Putin deutlich mehr Machtbefugnisse gibt und ihm den Verbleib an der Macht bis 2036 ermöglicht - falls er 2024 und 2030 erneut als Präsidentschaftskandidat antritt.
Angesichts der hohen Symbolkraft geht das Team des Regierungskritikers Nawalny fest davon aus, dass Putins Partei ihre Dominanz "mit Fälschungen" verteidigen wird. Auch andere Oppositionelle weisen auf diese Gefahr hin. Vielerorts hat die Abstimmung bereits am Freitag begonnen. Die Wahlkommission wollte laut eigenen Angaben das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus verringern. Gleichzeitig wurden beispielsweise Bushaltestellen oder Kofferräume von Autos zu Wahllokalen umfunktioniert, wie Bilder in sozialen Netzwerken zeigen. Die in die Länge gezogene Wahl und die unkonventionellen Orte zur Stimmabgabe erschwerten die Kontrolle, so Kritiker.
djo/as (afp, dpa)