Der Kölner Popmusiker Patrice im Interview
20. November 2015Deutsche Welle: Du hast Dein letztes Album "The Rising of the Son" in Jamaika, Frankreich und in England aufgenommen. Wie wichtig ist es für Dich, trotzdem einen "deutschen" Sound zu produzieren?
Patrice: Naja, die Musik, die ich höre, klingt meistens international. Und auch die deutsche Musik, die ich höre, funktioniert weltweit. Ich denke, dass man immer seine Identität in ein Album mit reinbringen sollte. Auf jeden Fall muss das Niveau der Musik hoch sein, so dass sie überall gehört werden kann.
Warum war es wichtig für Dich, in Jamaika aufzunehmen? Was hast Du da gesucht?
Musikalisch? (grinst) Das Coole an unserer Zeit ist ja, dass man relativ einfach reisen kann und dadurch die Wahl hat. So kann man sich überall das Beste rauspicken und das dann zu seinem persönlichen Best-of-Mix machen. An Jamaika reizen mich natürlich die Dinge, die mit Reggae zu tun haben: Ich nehme da oft meine Backing Vocals auf, lasse Basslinien einspielen und natürlich auch Drums. Ich habe dort sehr gute Freunde, die mir viele Dinge leicht machen. Ich habe verschiedene Anlaufstellen in der ganzen Welt: Wir bauen gerade einen Übungsraum in London, denn meine komplette Band kommt aus London. Das heißt, es ist viel einfacher, dort aufzunehmen, wenn’s um bestimmte Sachen geht. Jede Idee verlangt nach einem gewissen Ausdruck und nach einer gewissen Form und dann suche ich mir eben die Musiker, die dazu passen.
Du bist sehr viel in der Welt unterwegs und warst unter anderem in Mali beim "Festival au Désert" eingeladen. Was war das für eine Erfahrung für Dich?
Das war grandios. Wir waren auch in der Oasenstadt Timbuktu, wo ich zum Glück noch diese großartige Bibliothek sehen durfte (Die Bibliothek wurde 2013 von islamistischen Extremisten in Brand gesetzt, Anmerkung der Redaktion). Dann sind wir zwei Stunden lang in die Wüste Sahara gefahren und dort irgendwo kam dann auf einmal dieses Festival. Das Tolle an dem Festival war nicht unbedingt das, was auf der Bühne abging, sondern das, was drum herum war: auf den Dünen, in den Zelten. Du hattest da Manu Chao, der auf einer Bühne saß und gejammt hat, Ali Farka Touré und sogar Jimmy Page war da. Das war ein Touareg-Festival und man hatte halt das Gefühl, der Himmel in der Wüste sei sehr niedrig und die Sterne greifbar. Aber auch andere Festivals waren toll: Beim "Træna Festival" im Norden von Norwegen habe ich um Mitternacht gespielt, unter knallender Sonne, in einem kleinen Fischerort, wo auch sehr tolle Gruppen gespielt haben. In San Francisco durfte ich beim "Reggae on the River" spielen - vielleicht, weil die Musik so international klingt.
Welche musikalischen Einflüsse haben Dich geprägt?
Also es fing an mit Rap von Public Enemy und 2 Live Crew (lacht) und dann ging das natürlich mit Reggae weiter - vor allem mit Bob Marley, Buju Banton und Sizzla. Irgendwann kam dann Dancehall von Beenie Man oder Bounty Killer und dann habe ich parallel dazu angefangen, Gitarre zu spielen. Mit 12 war ich sehr beeinflusst von Bob Dylan und Nirvana und habe dann irgendwann versucht, das alles auf einen Nenner zu bekommen. Ich wollte eine universelle Wahrheit oder Werte in den Sachen finden, so dass das alles irgendwie zusammen harmonieren kann. Daraus habe ich mir meine Musik gebaut – ähnlich wie im Leben: Auch da war ich irgendwie in ganz verschiedenen Welten unterwegs und habe versucht, das auf einen Nenner zu bringen. Ich wollte in allen Welten echt sein und mich nicht verstellen müssen. Und genau so bin ich auch an die Musik herangegangen.
Du bist zusammen mit Deiner Schwester auf dem süddeutschen Elite-Internat Schloss Salem zur Schule gegangen. Wie hast Du diese Zeit in Erinnerung?
Nach Salem zu kommen, war nicht so einfach. Beim Aufnahmegespräch wurde geprüft, ob wir eine Bereicherung für die Schule sind. Ich sollte das letzte Buch, genau das letzte Buch, das ich gelesen habe beschreiben. Und meine Mutter, die daneben saß, dachte nur so 'Oh Gott, Patrice liest doch gar nicht mehr'. Und dann kam ich halt mit einer ausgedachten Story: Ich habe quasi das Buch da "on spot" geschrieben, im Kopf. Es war schon inspiriert von einem echten Buch, aber das ging dann richtig ab. Und die Lehrer waren hin und weg: 'Den müssen wir haben'. Und dann haben sie meine Schwester gleich auch genommen. Gut, die sieht das anders und wird hier auf die Barrikaden gehen, aber egal. Dann gab’s noch eine Führung in Burg Hohenfels und ich wurde gefragt: 'Was hat Ihnen denn besonders gefallen?' Meine Mutter dachte nur: 'Oh Gott, jetzt sagt er wahrscheinlich ‚der Fußballplatz..' Aber ich meinte: 'Ja, ich fand den Fußballplatz toll, aber was mir ganz besonders gut gefallen hat, das war der Rosengarten. Da gibt‘s ganz tolle Blumen.' Und die so: 'Den brauchen wir hier auf jeden Fall.'
Wie war Deine Schulzeit?
Ich kam aus einem ganz anderen Background aus Köln-Vorstadt und da waren sehr behütete Kinder. Das heißt, ich war schon ein bisschen anders drauf. Aber Salem war schon toll, weil man so abgeschottet von der Außenwelt war. Man war in der Natur und hat viel Sport gemacht und hatte sehr viele Möglichkeiten. So konnte ich wirklich meinen ganzen Talenten nachgehen und bin so bei der Musik gelandet.
Hattest Du denn in Deiner Schulzeit viel mit Rassismus zu kämpfen?
In Salem nicht, weil das eine sehr internationale Schule ist. Sie wurde ja von dem jüdischen Pädagogen und Politiker Kurt Hahn gegründet. Den finde ich toll - der Typ hat wirklich tolle Grundsätze irgendwie da rein gegeben.
Dein Vater ist bei einem Fährunglück gestorben, als Du elf Jahre alt warst. Welche seiner Eigenschaften haben dich besonders geprägt?
Er war Schreiber, Schriftsteller und auch Filmemacher und ich denke, dass das vielleicht genetisch rüber geschwappt ist, weil ich ja auch schreibe und mittlerweile auch Filme mache. Ich habe meinen ersten Kurzfilm gedreht und mache auch Videos für andere Künstler und mich. Ansonsten war mein Vater sehr aktivistisch: Er hatte eine sehr klare politische Haltung und hat mich mit Kunst und Büchern umgeben. Das hat einen riesigen Einfluss auf mich gehabt: Ich wurde ständig auf sehr langweilige Ausstellungen geschleppt und irgendwelche Blues-Konzerte, mit denen ich nichts anfangen konnte. Aber heute kann ich etwas damit anfangen und heute ist das irgendwo in mir drin.
Du beschäftigst Dich ja auch sehr viel mit seinem Geburtsland Sierra Leone…
Sierra Leone ist ein sehr schönes Land. Leider kennt man nur diese Horrorbilder, aber es ist ein unglaublich paradiesisches Land. Es hat alle möglichen Strände von jeglicher Sandqualität: Von sehr weißem bis schwarzen Sand hast du alles. Aber alle haben Angst davor - wegen den Kriegsbildern und Ebola. Natürlich habe ich dort Familie und irgendwann bin ich öfter hingefahren und habe dort geschrieben. Es hat mich inspiriert, mich mit diesem Teil von mir zu 'connecten'. Sierra Leone ist anders als andere afrikanische Länder: dadurch, dass du dort befreite Sklaven hast, die sich dort neu angesiedelt haben, und diese kreolische Kultur entstanden ist. Mein Nachname ist Bart-Williams, also ein englischer Name. Letztendlich kommt das von Sklaven, die wieder nach Afrika zurück sind und dort dann in Freetown ankamen. Deswegen auch der Name dieser Hauptstadt: Freetown. Die Sklaven waren zum Großteil Jamaikaner und kamen über Kanada. Das heißt, man hat diese karibischen Einflüsse sehr stark in Sierra Leone. Was vielleicht so ein bisschen erklärt, warum ich so ticke.
Und inwieweit beeinflusst Dich Sierra Leone musikalisch?
Es gibt dort sehr gute Reggae-Künstler: Zum Beispiel Bush Doctor, der leider verstorben ist, aber der ein unglaubliches Album gemacht hat. Und es gibt diesen nigerianisch beeinflussten westafrikanischen Rap, der leider nicht so gut ist wie in Nigeria (lacht). Dann gibt’s Palm Wine Guitar, was auch sehr cool ist. Ich glaube, Sierra Leone ist wirklich ein gemischtes Land - gemischt aus verschiedensten afrikanischen Ländern aus der Umgebung und karibischen Einflüssen. Dieser Mix ist letztendlich die Stärke von Sierra Leone.
Welches politische Ereignis in Deutschland hat Dich in den letzten Monaten denn am stärksten berührt?
Das Attentat auf die damalige Kölner Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker. Ich hatte sie kurz davor getroffen, um mich mit ihr über Flüchtlingspolitik auszutauschen, und somit ging mir das sehr nah. Dass Leute so weit gehen – das darf nicht sein. Auf der anderen Seite bin ich sehr positiv überrascht von Deutschland: Wie die Menschen jetzt auf Flüchtlinge eingegangen sind und diese ganzen Probleme angehen, fand ich sehr interessant. Ich dachte am Anfang noch: 'Oh Gott, das wird richtig knallen' und vielleicht wird’s das auch noch. Aber ich glaube, dass Deutschland an der Auseinandersetzung wachsen wird.
Du lebst in New York und Paris - was bedeutet Dir Köln eigentlich?
Ich bin in Köln geboren und kenne mich auf der Welt wahrscheinlich am besten in Köln aus. Ich habe einen Bezug zu den Dingen, die hier sind: Der Kölner Dom wird immer kleiner, je älter ich werde. Aber ich sehe an diesen Bezugspunkten, inwiefern ich wachse oder schrumpfe… das ist wichtig.