Reggae aus deutschen Landen
4. Juli 2014"Share your love- teile deine Liebe!" hieß das diesjährige Motto des Summerjam-Festivals, das die Fans scharenweise an den Fühlinger See im Norden der Domstadt lockte. Seeed stand auf der Bühne, Jimmy Cliff, Marteria oder Milky Chance, um nur ein paar Namen zu nennen.
Die Reggae-Szene ist angekommen in Deutschland: Ob Stars wie Gentleman oder international renommierte Sound Systems, also mobile DJ-Teams mit eigener Anlage, wie Pow Pow – ihre Musik ist längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Dabei war eine eigene Reggae-Kultur Ende der 1970er Jahre noch gar nicht vorhanden: Weder Künstler noch Produzenten, weder Sound Systems noch Plattenläden nahmen sich der Musik aus Jamaika an. Von Hippies als Musik der Dritten Welt willkommen geheißen, bei den Punks als rebellische Musik verklärt, beim Schlagerpublikum als exotisches I-Tüpfelchen gefeiert: Das waren die Pole, zwischen denen sich Reggae hierzulande abspielte. Doch in nur drei Dekaden hat sich eine am jamaikanischen Vorbild orientierte Reggae-Kultur etabliert, wobei viele Musiker längst auch Sonderwege einschlagen.
Anfänge in den Achtzigern
Es waren nicht karibische Einwanderer, sondern weiße Mittelstands-Kids, die sich in den 1980er Jahren mit Reggae identifizierten. Und es gab einige Musiker, die durch Reisen nach Jamaika oder England einen tiefen Einblick in die Reggae-Materie bekamen. So langsam etablierte sich also eine enstprechende Musikkultur in Deutschland: Bands wie The Vision oder Dub Invaders, Sänger wie der Dortmunder Natty U oder der bajuwarische Rebell Hans Söllner und Sound Systems wie Conquering Sound traten auf den Plan, das Summerjam-Festival wurde aus der Taufe gehoben, erste Plattenläden hatten plötzlich Reggae-Scheiben in den Regalen.
"Original Style"
So richtig kam Reggae in Deutschland allerdings erst in den 1990er Jahren an, inzwischen dominierte der härtere, oft auf Sprechgesang basierende Dancehall-Sound. Die Codes und Rituale, Techniken und Styles der Reggae-Kultur mussten erst mal erlernt, erprobt und mühsam konfiguriert werden. Wegweisend waren dabei Sound Systems wie Pow Pow aus Köln oder Silly Walks aus Hamburg, wo der längst international bekannte Gentleman erste Erfahrungen am Mikrofon sammelte.
Er hat musikalisches Talent und ist beharrlich, vor allem aber verdankt der Kölner seinen Erfolg seinem Streben nach Authentizität: Er kopierte den "Original Style" aus Jamaika nicht bloß, sondern verinnerlichte ihn mit jeder Note. Dass er immer wieder viele Monate auf der Karibikinsel verbrachte und dort mit einheimischen Musikern auftrat, vereinfachte die Sache.
Diese Art der Identifikation mit jamaikanischer Musikkultur prägte auch viele Weggefährten Gentlemans. So unterschiedliche Künstler wie Dr. Ring-Ding oder Martin Jondo und Sound Systems wie Soundquake oder Sentinel schworen sich auf den "Original Style" zwischen Roots Reggae und Dancehall ein.
Deutsche Realitäten
Doch zwischen den linientreuen Reihen reifen seit den späten 90er Jahren auch Individualisten heran. Der afro-deutsche Musiker Patrice kultivierte zuerst einen freigeistigen Singer-Songwriter-Stil, um im Laufe seiner Karriere das stilistische Spektrum von Reggae um Pop, afrikanische Musik und Soul zu erweitern.
Jenseits der Reggae-Szene sorgten Rhythm & Sound aus Berlin mit ihrer abstrakten Synthese aus Dub und Techno für die Innovation des Reggae-Grooves und zogen damit die internationale Beachtung auf sich. Ähnlich gut kommt auch die Dancehall-Kombo Seeed an, die irgendwo an der Schnittstelle von Dancehall, Pop und HipHop anzusiedeln ist.
Mit deutschen Texten, Humor und fettem Sound gewannen Seeed oder auch Jan Delay und D-Flame eine neue Generation von Hörern. Reggae auf Deutsch löste endlich das Verständnisproblem, denn wer kann schon mühelos jamaikanischen Patois-Lyrics folgen.
Auch andere Künstler wie Nosliw oder Ganjaman sprechen in ihren Texten deutsche Realitäten an. Und nähern sich dabei inhaltlich normalen Pop-Songs an, allerdings ohne den typischen Reggae Sound zu vernachlässigen. Deutschen Reggae gibt es mittlerweile also in den unterschiedlichsten Spielarten; den besten Beweis dafür liefert das Summerjam-Festival.