Reformvorhaben beflügeln EU-China-Gipfel
20. November 2013Es ist eine 500-Milliarden-Euro-Beziehung. So viel wurde 2012 zwischen der Europäischen Union und China umgesetzt. Die EU ist damit der wichtigste Handelspartner Chinas. Umgekehrt ist China nach den USA der zweitgrößte Handelspartner der EU. Ungetrübt sind die Beziehungen trotzdem nicht: In diesem Jahr hatte eine ganze Serie von Streitigkeiten die Handelsbeziehungen belastet. Strafzölle auf Stahlröhren, Wein oder Solarzellen drohten in einen Handelskrieg auszuarten. Im Oktober endlich waren von Chinas Vize-Premier Ma Kai bei einem Besuch in Brüssel versöhnlichere Töne zu hören: Jetzt war die Rede von einem "umfassenden Plan für die Zukunft der EU-China Beziehungen". Oder von der "Bereitschaft Chinas sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit auf eine höhere Ebene gehoben werden kann." Immerhin: Konkret wurde vereinbart, beim EU-China-Gipfel mit Verhandlungen über ein bilaterales Investitionsabkommen zu beginnen.
Strategische Partner
Die EU und China sind aber nicht nur Wirtschaftspartner: Seit genau zehn Jahren unterhalten sie eine "strategische Partnerschaft". Dieses Instrument ist bei beiden Seiten beliebt. Die EU unterhält insgesamt zehn strategische Partnerschaften, China nicht weniger als 38. Im Falle der EU und China wird die strategische Partnerschaft durch mehr als 50 Dialogforen mit Leben gefüllt, durch regelmäßige hochrangige Begegnungen sowie durch jährliche Gipfeltreffen.
Oftmals scheinen solche Gipfel nur sorgfältig choreographierte Rituale zu sein, deren Vorbereitung aufwändig ist - mit mageren Ergebnissen. Der am Donnerstag (21.11.2013) beginnende 16. EU-China-Gipfel könnte da eine Ausnahme sein. Nicht allein, weil beide Seiten auf die bilateralen Beziehungen tatsächlich großen Wert legen. Sondern auch, weil das Zentralkomitee von Chinas kommunistischer Partei erst vor einer Woche ein umfangreiches Reformpaket mit insgesamt 60 Punkten beschlossen hat. "Die Europäer sind die ersten in Peking nach diesem Plenum", betont der Politikwissenschaftler Francois Godement, Leiter des China-Programms des European Council on Foreign Relations. "Und ich bin mir sicher, dass sie die Gelegenheit nutzen werden, um Informationen zu sammeln und die Meinung der chinesischen Führung einzuholen", fährt Godement im Gespräch mit der Deutschen Welle fort.
Auch Liu Liqun, Professor an der Deutschen Abteilung der Peking-Universität, geht davon aus, dass die Ergebnisse der ZK-Tagung beim EU-China-Gipfel eine bedeutende Rolle spielen werden. "Weil die Reform- und Öffnungspolitik weiter entwickelt werden und der Markt bei der Verteilung der Ressourcen und des Kapitals die entscheidende Rolle spielen soll", so Liu in einem schriftlichen Interview mit der DW.
Ende der Lagerhaft
In den 60 Beschlüssen des ZK steckt vieles, was die EU-Delegation interessieren dürfte. Dass zum Beispiel die oft mit unmenschlichen Mitteln durchgesetzte Ein-Kind-Politik zumindest gelockert werden soll, dass auch die von der Polizei bislang ohne jeden Prozess, ohne jede richterliche Prüfung verhängbare Lagerhaft zur sogenannten "Umerziehung durch Arbeit" abgeschafft werden soll, das macht den Menschenrechtlern Mut. Die EU unterhält einen formellen Menschenrechtsdialog mit China. Erst im September hatte der EU-Menschenrechtsbeauftragte Stravros Lambrinides China besucht und im Anschluss auch kritische Töne gefunden.
Wirtschaftsreformen
Vor allem aber wird sich die EU-Delegation unter Leitung von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso für die geplanten Reformen im Wirtschafts- und Finanzsektor interessieren. Allein die Ankündigung der Reformen hat an den Börsen zum Wochenbeginn ein Kursfeuerwerk entfacht. Die wichtigsten Stichpunkte lauten: Die Sozialversicherungen sollen mit den Dividenden der Staatsunternehmen gestärkt, kleinere und mittelgroße Privatbanken zugelassen werden. Die chinesische Währung Renminbi soll schneller frei handelbar werden, die Wechselkurse und die Zinsen schneller freigegeben werden. Viele Branchen sollen sowohl für privates wie auch für ausländisches Kapital geöffnet werden. Die Preise für Transport, Telekommunikation, Wasser und Energie sollen stärker vom Markt bestimmt werden. Und nachdem erst im September Chinas erste Freihandelszone in Shanghai eröffnet wurde, ist jetzt die Gründung weiterer Freihandelszonen im Gespräch. Auch wenn für die Umsetzung der Reformpläne ein Zeitrahmen bis 2020 gesteckt wurde - viele europäische Firmen sehen auf dem chinesischen Markt neue Chancen.
Chancen könnten sich auch ergeben im Zuge der weiteren Urbanisierung Chinas. In den nächsten Jahrzehnten sollen Hunderte Millionen Menschen vom Land in zum Teil erst noch zu bauende Städte umgesiedelt werden. In der Entwicklungszusammenarbeit zwischen der EU und China steht der Städtebau an erster Stelle. Am Mittwoch (20.11.2013) wurde noch vor Beginn des eigentlichen EU-China Gipfels in Peking die "EU-China Ausstellung zur städtischen Entwicklung" eröffnet. Da hätten die Europäer viel zu bieten, meint Chinaexperte Francois Godement und nennt die Bereiche energieeffizientes Bauen, Transport, Energieversorgung und Abfallwirtschaft. Natürlich gibt es auch eine besondere Übereinkunft zwischen der EU und China zu dieser Zusammenarbeit bei der städtischen Entwicklung. Die hatte für China im Mai 2012 Li Keqiang unterzeichnet, damals noch als Vizepremier. Jetzt wird er der EU-Delegation als Regierungschef gegenübersitzen.