"Ein Sieg der Politikverdrossenen"
24. September 2017Deutsche Welle: Rund 13 Prozent hat die AfD, der Alternative für Deutschland, nach den ersten Hochrechnungen bei der Wahl erzielt. Ist dieses Ergebnis Ausdruck eines Rechtsrucks in der deutschen Gesellschaft oder doch eher den sogenannten Protestwählern geschuldet?
Job Janssen: Es ist ein Sieg für die Wähler, die der Politik bisher den Rücken gekehrt haben, ein Sieg der Politikverdrossenen. Ich glaube, es geht hier darum, dass vor allem die Mitte-Parteien einen Teil der Wählerschaft vergessen haben. Diese Wähler haben nun ihre Möglichkeit gesehen, sich gegen das politische Establishment zu wenden.
Das Ergebnis ist aber auch Ausdruck eines Rechtsrucks. Der ist erkennbar, seit die AfD 2013 mitmischt. Dafür brauchte die Partei gar nicht im Bundestag zu sitzen. Jetzt, wo sie ins Parlament einzieht, wird sie sich weiter radikalisieren, weil sie erkannt hat, dass solche Positionen normaler geworden sind.
In seiner Rede am Wahlabend sagte AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland, er wolle die Regierung vor sich "hertreiben". Was meint er damit genau und was heißt das für die Politik in Deutschland?
Die AfD hat schon mehrmals gesagt, dass sie die Politik in die Richtung bewegen will, die ihnen vorschwebt. Sie wird ihre Positionen in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Der rechte Flügel der Partei hat jetzt gesehen, dass er mit einem besonders rechten Wahlkampf erfolgreich ist. Vor allem in den letzten Wochen vor der Wahl hat die AfD ihr rechtes Gesicht gezeigt und das war jetzt erfolgreich. Ich erwarte deswegen auch innerhalb der AfD große Uneinigkeit über den politischen Kurs für die kommenden Jahre.
Zum Beispiel im Hinblick auf eine striktere Migrationspolitik, Diskussionen über die negativen Auswirkungen einer multikulturellen Gesellschaft oder die Frage, was es eigentlich heißt, deutsch zu sein. Das sind letztendlich die Themen, mit denen Rechtspopulisten erfolgreich sind. Oder auch mit dem Thema Europa. Da wird die AfD auch massiv auf die Bremse treten. Parteien wie die FDP werden sich von der AfD wahrscheinlich sehr bedroht fühlen. Am Ende kann es sein, dass die Liberalen dann in diesem Zusammenhang auch restriktiver werden - das ist das Risiko, das der deutschen Politik bevorsteht.
Viele Experten meinen: Rechtspopulisten demontieren sich meist sehr schnell wieder selbst. Ist damit auch bei der AfD zu rechnen?
Manchmal macht es gar nichts, wenn Rechtspopulisten amateurhaft rüberkommen oder sich streiten. In den Niederlanden beispielsweise waren die Rechtspopulisten manchmal sehr zerstritten und sind trotzdem immer wiedergekommen.
Während die AfD im bundesdeutschen Durchschnitt bei rund 13 Prozent liegt, soll sie im Osten sogar 21 Prozent erzielt haben. Was sagen Sie zu dieser Kluft?
Das hat etwas mit dem Vertrauen in Politik im Allgemeinen zu tun. In Ostdeutschland, in der ehemaligen DDR ist das Vertrauen zwischen den Menschen und der Politik enorm beschädigt worden. Nach der Wende haben sich viele völlig von der Politik abgewandt. Ich glaube, das grundlegende Vertrauen in den Staat, der ehrlich ist und etwas Richtiges tun will, das ist im Osten sehr viel weniger vorhanden. Die Emotionen der AfD-Wähler sind im Osten und im Westen ähnlich, aber das Misstrauen in alles, was staatlich ist, das ist im Osten viel größer.
Job Janssen ist niederländischer Journalist, Politikwissenschaftler und Kommentator. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit dem Rechtspopulismus in Deutschland und den Niederlanden.
Das Gespräch führte Nastassja Shtrauchler.