Rechtlos auf Kuba
30. Juli 2003Ende Juni 2003 erteilte US-Präsident Bush grünes Licht für die ersten sechs Verhandlungen. Das juristische Prinzip der Unschuldsvermutung scheint dabei nicht zu gelten. Nur eines wisse er mit Sicherheit: "Es handelt sich um schlechte Menschen."
Ohne Recht und Gesetz
Auch die Prinzipien des amerikanischen Rechtsstaats seien außer Kraft gesetzt, kritisiert Joe Morgulies, Rechtsbeistand von zwei australischen Häftlingen in Guantanamo. Kein Gericht der Welt habe die Rechtsgewalt über das, was dort vor sich gehe: "Die Position der USA ist: in Guantanamo hat Kuba die Souveränität, deswegen gilt das US-Recht dort nicht. Dem Rest der Welt gegenüber aber üben die USA die Souveränität auf dem Militärstützpunkt aus, weswegen kein internationales oder kubanisches Gericht auf das Verfahren Zugriff hat."
Im Herbst soll sich das Verfassungsgericht der USA zu dieser juristischen Ausnahmesituation äußern. Bis dahin aber könnten bereits die ersten Anklagen vor Militärtribunalen erhoben worden sein. Diese Einrichtung hatte Präsident Bush nach den Attentaten vom 11. September per Präsidialerlass eingeführt. Weit über die USA hinaus kritisieren Bürgerrechts- und Menschenrechtsgruppen seither die dafür vorgesehenen Verfahrensregeln. Zu den Kritikpunkten gehört etwa, dass Geschworenenjury und Richter identisch sind und dass gegen eine mögliche Todesstrafe keine Berufung eingelegt werden kann. Zudem haben die Angeklagten keinen uneingeschränkten Zugang zu ihren Anwälten.
Kaum Führungspersonen
Fraglich bleibt, in wie vielen Fällen das Pentagon diesen Weg beschreiten wird. Auch die Regierung in Washington geht inzwischen davon aus, dass es sich bei den meisten Inhaftierten allenfalls um Fußsoldaten der afghanischen Taliban handelt.
Gerade damit begründen jedoch viele Experten den rechtlichen Sonderstatus der Gefangenen. Man dürfe nicht in den Kategorien des normalen Strafvollzugs denken, in dem die Inhaftierung die Funktion einer Strafe erfülle, erklärt John Yoo, Rechtsprofessor an der Berkeley State University in Kalifornien. "Im Kriegsrecht werden die Gefangenen eingesperrt, damit sie nicht mehr kämpfen können", gibt er zu bedenken. Im zweiten Weltkrieg hätten die Gefangenen auch keine Anwälte gehabt.
Ungesetzliche Krieger
Allerdings verweigern die USA den Guantanamo-Häftlingen nach wie vor sogar den Status als Kriegsgefangene. Offiziell gelten sie als "unlawful combatants" – als ungesetzliche Krieger, die keiner regulären Armee angehören und keine Uniform trugen. Die Häftlinge erhalten ihrer Religion entsprechende Mahlzeiten und werden von einem muslimischen Geistlichen betreut. Dreimal die Woche dürfen sie ihre vier Quadratmeter kleinen Einzelzellen verlassen, um 20 Minuten lang Sport zu treiben. Seit Anfang des Jahres kümmert sich zudem eine psychiatrische Abteilung um die Inhaftierten. Seither ist zumindest die Selbstmordrate stark gesunken.
Dass in Guantanamo physisch gefoltert wird, hält Ted Conover, der für die New York Times den Stützpunkt besucht hat, für unwahrscheinlich. Die wirkliche Qual für die Gefangenen sei die Ungewissheit ihrer Lage: "Indem wir diesen Gefangenen jegliche Information über die Dauer ihrer Haft oder die Bedingungen für ihre Entlassung verweigern, treiben wir die Häftlinge in eine Verzweifelung, die sie als letztes Mittel auch zum Selbstmord greifen lässt." Selbst wenn die Anschuldigungen richtig seien – auch 'schlechte Menschen' müsse man human behandeln.