1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rückenwind für Hollande

Andreas Noll6. Juni 2012

Frankreich wählt ein neues Parlament. Ausgerechnet die Rechtspopulisten um Marine Le Pen könnten dem sozialistischen Präsidenten François Hollande zu einer Mehrheit verhelfen. Erste Ergebnisse liegen bereits vor.

https://p.dw.com/p/158p7
François Hollande nimmt ein Bad in der Menge nach seiner Wahl zum Präsidenten. (Foto:Christophe Ena/AP/dapd)
Bild: AP

Die Uhren in Deutschland und Frankreich ticken anders. Das erleben in diesen Tagen nicht nur das neue deutsch-französische Führungsduo Merkel-Hollande bei seinem mühsamen politischen Annäherungsversuchen, sondern auch deutsche Beobachter der Parlamentswahl in Frankreich. Jenseits des Rheins werden voraussichtlich nicht nur Kommunisten und Rechtspopulisten wieder ins Parlament einziehen, sondern die Wähler dürfen erstmals auch via Internet die Abgeordneten für die Pariser Nationalversammlung bestimmen – zumindest die Franzosen im Ausland. Und das schon seit einer Woche, während im Mutterland die Wahllokale erst seit Sonntag (10.06.2012) geöffnet sind.

Die ersten Ergebnisse dieser Teilwahl sind denn auch bereits auf den Internetseiten des französischen Außenministeriums nachzulesen - und das, obwohl auch in Frankreich die Wahlen allgemein, gleich, frei und geheim sind. Setzt sich der Stimmentrend fort, darf sich vor allem François Hollande als Sieger fühlen. Beispiel Deutschland: In diesem Wahlkreis liegt der in Mainz lebende Pierre-Yves Le Borgn als gemeinsamer Kandidat von Sozialisten und Grünen mit einem Stimmenanteil von mehr als 40 Prozent deutlich in Front. Dass Hollande die gewünschte linke Parlamentsmehrheit bekommt, prophezeien aber auch die jüngsten Umfragen und die Erfahrungen der Vergangenheit: Wann immer ein Präsident in den Elysée gewählt oder dort bestätigt wurde, versorgten ihn die Wähler kurz danach mit einer eigenen Parlamentsmehrheit. Allerdings steckt der Teufel bei Parlamentswahlen in Frankreich im Detail.

Angela Merkel und François Hollande bei einem EU-Gipfel in Brüssel (Foto REUTERS/Francois Lenoir)
Die Konservative und der Sozialist: Merkel und HollandeBild: Reuters
Gruppenbild der neuen französischen Regierung (Foto:Michel Euler/AP/dapd).
Bleibt nur im Amt, wenn die Linke eine Parlamentsmehrheit bekommt: Regierung von Premierminister AyraultBild: dapd

Stichwahl mit mehr als zwei Kandidaten

Das besondere französische Mehrheitswahlsystem macht aus den üblichen Prozentwerten in den Meinungsumfragen allenfalls Richtwerte. Wichtig sind vor allem die Absprachen zwischen den Parteien, die Monate vor dem Wahlgang bereits die Grundlage einer Regierungskoalition legen können. So haben die Sozialisten schon im vergangenen Jahr ihrem heutigen grünen Regierungspartner versprochen, in mehr als 60 Wahlkreisen auf eigene Kandidaten zu verzichten. Ohne diese Absprachen wäre der Einzug der Grünen ins Parlament nahezu ausgeschlossen. Eine Absprache zwischen der Linksfront des populären Jean-Luc Mélenchon und den Sozialisten scheiterte dagegen vor wenigen Tagen.

In die Stichwahl eine Woche später dürften zahlreiche Vertreter der kommunistisch geprägten Bewegung aber trotzdem einziehen, denn dafür qualifizieren sich neben den beiden Erstplazierten auch sämtliche Kandidaten, die mehr als 12,5 Prozent Stimmen aller Wahlberechtigten auf sich vereinen. Und der Kapitalismuskritiker Mélenchon schwimmt spätestens nach seinem erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf auf einer Welle des Erfolgs.

"Starkes Abschneiden der Linksfront wird Problem für die EU"

Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich vor dem zweiten Wahlgang einige Sozialisten zurückziehen und damit Linksfront-Kandidaten zu einem Parlamentssitz verhelfen. Ohnehin sagen die letzten Umfragen der Parti Socialiste keine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung voraus. Sie wird wohl auf eine Koalition mit Grünen und Linksfront angewiesen sein. Ein starkes Abschneiden der Extremen Linken könnte eine Konsolidierung der französischen Staatsfinanzen gefährden, glaubt der Politikwissenschaftler Emiliano Grossman von der Pariser Elitehochschule Sciences Po: "François Hollande ist ein moderater Sozialist. Seine Versprechen für Wachstum laufen auf ein paar kosmetische Veränderungen am Europäischen Fiskalpakt hinaus. Wenn aber die Linksfront sehr gut abschneidet, wäre der Druck auf eine tiefer greifende Reform deutlich größer. Das wäre dann ein Problem für die ganze Europäische Union und die Beziehungen zu Deutschland."

Wie stark Grüne und Linksfront letztlich im Parlament vertreten sein werden, wird im Elyséepalast also genau registriert. Vor allem in der Sozial- und Wirtschaftspolitik hat das Parlament ein großes Mitspracherecht. Klar ist: Der Präsident habe teure Wahlkampfversprechen gemacht, die sich nur mit einer linken Parlamentsmehrheit umsetzen ließen, erklärt Norbert Wagner, Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Paris. Dazu zählen: die Rückkehr zur Rente mit 60 für bestimmte Arbeitnehmer, neue Stellen im Staatsdienst und die 75-Prozent-Besteuerung für Einkommensmillionäre. Allein der Rentenbeschluss wird nach Regierungsangaben in den kommenden fünf Jahren mit rund drei Milliarden Euro zu Buche schlagen. Das konservative Lager beziffert die Kosten der jüngsten Entscheidungen gar auf 20 Milliarden Euro und nennt den Regierungskurs abenteuerlich.

Dr. Norbert Wagner - Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Paris. (Foto: privat)
Dr. Norbert Wagner - Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in ParisBild: privat

UMP startet wohl mit Niederlage ins Nach-Sarkozy-Zeitalter

Das Wahlrecht sorgt allerdings dafür, dass die Perspektiven für die bürgerliche UMP nach dem Rückzug von Nicolas Sarkozy ins Privatleben eher bescheiden sind. Eine vernichtende Niederlage bleibt der Partei letzten Umfragen zufolge aber erspart. Das große Problem für die Bürgerlichen ist die breite Zustimmung im Volk für den Front National (FN) – aktuelle Erhebungen sehen ihn bei gut 15 Prozent. "Die bürgerliche Seite ist in einer Art Sandwich-Position und bekommt Druck von zwei Seiten. Es gibt die große Gefahr, dass es FN-Kandidaten in vielen Wahlkreisen in die zweite Wahlrunde schaffen", sagt Frankreich-Experte Wagner im Gespräch mit der Deutschen Welle. In einem Dreikampf mit Linken und dem Front National habe regelmäßig der UMP-Kandidat das Nachsehen. Die gegenseitige Schwächung innerhalb des rechten Lagers wird daher sehr wahrscheinlich die Grundlage für den Sieg der Sozialisten legen.

Franzosen demonstrieren für eine Rücknahme der Rentenreform (Foto: EPA/SYLVAIN LEFEVRE)
Macht es Hollande besser? Proteste gegen die Rentenreform von Präsident Sarkozy (2010)Bild: picture-alliance/dpa

Eine Absprache zwischen UMP und Front National könnte dieses Dilemma lösen, doch die Konservativen lehnen solche Bündnisse traditionell ab. Zudem wären sie auch nicht im Interesse der Rechtspopulisten. Marine Le Pen gehe es darum, die Volkspartei UMP erst zu vernichten und sich dann einige Reste einzuverleiben, so Wagner. "Je größer die Niederlage für die UMP ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu erheblichen Spannungen innerhalb der Bürgerlichen kommt." Genau darauf baut FN-Chefin Le Pen, die bereits die nächsten Präsidentschaftswahlen 2017 im Blick hat.

Le Pen hat den Elysée-Palast im Blick

Dass Le Pen mit ihrer Partei erstmals seit 1986 wieder ins Parlament einziehen dürfte, ist in jedem Fall ein politischer Einschnitt. Vor einem Vierteljahrhundert profitierte die EU- und ausländerfeindliche Partei noch vom Verhältniswahlrecht, das Präsident Mitterrand damals geschickt einführen ließ, um die Konservativen zu schwächen. Sollte die Partei nun erneut ins Palais Bourbon einziehen, geschähe dies unter den ungleich schwierigeren Bedingungen der Mehrheitswahl. Der FN lasse seine Vergangenheit als Protestpartei hinter sich, analysiert Politikwissenschaftler Grossman im DW-Interview. Auf dem Weg zu einer großen konservativen Bewegung habe Le Pen neonazistische Kreise aus der Partei geworfen und rassistische Äußerungen weitgehend unterbunden, so Grossman.

FN-Chefin Marine Le Pen bei einer Wahlkampfveranstaltung (Foto: Charles Platiau / dapd)
Will in Nordfrankreich (Pas-de-Calais) ein Abgeordnetenmandat erringen: FN-Chefin Le PenBild: Reuters

Bei der Abstimmung in Deutschland hat den Rechtspopulisten dieser Schwenk nicht geholfen - sie kamen über den Status einer Splitterpartei nicht hinaus. Ohnehin scheinen die im Ausland lebenden Franzosen die Parlamentswahl in der Heimat nicht allzu wichtig zu nehmen: Lediglich rund 20 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich am ersten Wahlgang.