Rechte Gewalt in Zypern: Angriffe auf Migranten eskalieren
17. September 2023Die meisten der zerbrochenen Scheiben hat Mohammed Elbasaraty in seinem Restaurant bereits ersetzt. Doch neben dem Eingang erinnert noch immer ein großes, kantig zerschlagenes Stück Glas an eine Nacht, die für die Menschen in Limassol viele Fragen aufwirft - auch für Elbasaraty selbst.
Seit zehn Jahren lebt der Ägypter in Zypern, hat erst in der Hauptstadt Nikosia studiert, brach dann das Studium ab und eröffnete schließlich hier in Limassol, der zweitgrößten Stadt an der sonnigen Südküste der Insel, einen ägyptischen Grillimbiss.
Eigentlich sei das Leben sehr schön und friedlich in Zypern, sagt Elbasaraty. Doch dann kam die Nacht vom 1. auf den 2. September 2023.
Eine rechtsextreme Demonstration eskalierte - und auf einmal zog ein Mob von mehreren hundert Vermummten durch die Straßen von Limassol. Die Rechtsextremen skandierten rassistische Parolen, demolierten Läden und griffen Menschen an.
"Eine Nachbarin hat mich gewarnt, dass sie kommen und mich verprügeln werden, aber ich wollte nicht gehen", erinnert sich der 38-Jährige. Von drinnen konnte er hören, wie der Mob mit Steinen die Scheiben zerschlug.
"Ich dachte noch, dass sich das einfach reparieren lässt. Aber dann habe ich Rauch gerochen, bin rausgegangen, und alles hat gebrannt. Sie haben drei oder vier Molotowcocktails in mein Lokal geworfen", sagt er mit ruhiger Stimme und zeigt Videos auf seinem Handy.
Schon am Wochenende vor den Ausschreitungen war es in Chloraka, einem Dorf etwa 70 Kilometer westlich von Limassol, zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen syrischen Asylsuchenden und Einheimischen gekommen.
Nach den Ausschreitungen hätten die Behörden ihn kontaktiert, ihm versichert, er könne alles reparieren, und man würde dafür aufkommen, berichtet Elbasaraty.
Seit dem Überfall der rechten Gewalttäter besuchen allerdings deutlich weniger Gäste sein Restaurant. "Allein gelassen", sagt Elbasaraty, habe er sich vor allem von der Polizei gefühlt, die kaum eingegriffen habe: "Die Polizei stand dort einfach herum, mit vier oder fünf Autos", sagt er.
"Gute" Ausländer und "schlechte" Ausländer
Der zyprische Präsident Nikos Christodoulides verurteilte im Anschluss an das Geschehen die Gewalt und sprach von "würdelosen Szenen". Auch die Polizei räumte Fehler ein.
Für den Sozialanthropologen Yannis Papadakis, Professor an der Universität Zypern, reicht das nicht. Der Staat müsse benennen, worum es wirklich gehe, nämlich um den Umgang Zyperns mit Migranten.
"Unser Präsident redet nicht über die Probleme von Migranten. Er redet auch nicht über rassistische Gewalt oder die extreme Rechte, im Gegenteil. Man dementiert sogar, dass es sich um organisierte Gewalt handelte. Dabei war es ganz eindeutig organisiert."
Dem stimmt auch der Politikwissenschaftler Antonis Ellinas zu: "Die Ausschreitungen in Limassol waren der Höhepunkt eines politischen Diskurses der ultrarechten ELAM-Partei in Zypern, der in den vergangenen Jahren immer dominanter wurde."
Mit einem Ausländeranteil von über 20 Prozent liegt Zypern heute weit über dem EU-Durchschnitt. Nach der Finanzkrise lockte die Regierung ausländische Investoren mit attraktiven Visa-Deals - Aufenthaltsgenehmigung gegen hohe Investmentsummen.
Nun ragen hohe Glastürme in den Himmel, in denen Investmentbanker, Immobilienhändler und Tech-Firmen Milliarden umsetzen. Superreiche aus Ländern wie Russland, der Ukraine oder Israel haben in Zypern eine Wahlheimat gefunden und dabei die Preise in die Höhe getrieben.
Auch für die eigentlich stabile Mittelklasse der Einheimischen sind die Mieten in Städten wie Limassol inzwischen unerschwinglich geworden. Der Hass am Abend der rassistischen Übergriffe aber richtete sich gegen andere Ausländer.
Rassistische Rhetorik
In Zypern kommen immer wieder Flüchtlinge über die Demarkationslinie zwischen dem türkisch besetzten Norden und dem Süden der Insel. Außerdem setzen Menschen mit Schiffen von der syrischen oder libanesischen Küste über.
Laut dem zyprischen Innenministerium machen Flüchtlinge und Migranten mittlerweile sechs Prozent der Bevölkerung aus. Gemessen an der Bevölkerungszahl werden nirgendwo in der EU so viele Asylanträge eingereicht wie hier.
Die Verantwortung dafür, dass ihnen nun derart geballter Rassismus entgegenschlägt, sieht Papadakis nicht zuletzt bei der Politik. Mit rechter Rhetorik seien Politiker jahrelang auf Stimmenfang gegangen.
"Der ehemalige Außenminister hat sogar den Ausdruck 'Attilas' für Migration benutzt. Mit diesem Wort beschreibt man hier die Barbareien der türkischen Invasion." Für Griechisch sprechende Zyprer gebe es nichts Bedrohlicheres.
Fließende Übergänge zur Ultrarechten
Antonis Ellinas forscht dazu, wie politische und zivile Akteure sich ultrarechten Parteien gegenüber verhalten, und wie rechte Politik versucht, auf lokaler Ebene Fuß zu fassen. Rassistische Stereotype und Ausländerhass seien in Zypern in den vergangenen Jahren immer weiter in das gesellschaftliche Leben vorgedrungen.
Für Mitte-Rechts-Parteien entstehe durch die Präsenz der Ultrarechten gerade mit Blick auf den Rückhalt in der Bevölkerung ein Dilemma: "Die Wähler ultrarechter Parteien unterscheiden sich nicht völlig von den Wählern konservativer Parteien", so Ellinas zur DW.
"Die Regierung hat gemerkt, dass die öffentliche Meinung zum Thema Migration negativ ist. Der ultrarechten ELAM-Partei in Zypern ist es gelungen, das Thema Migration mit dem Trauma der türkischen Invasion zu verbinden. Dadurch wird es schwieriger, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen, da die Ultrarechte behauptet, die Türkei schleuse Migranten in den Süden", schlussfolgert Ellinas.
Beweise dafür gebe es im Fall von Zypern nicht, obwohl die meisten Flüchtlinge aus dem türkisch besetzten Norden in den EU-Teil der Insel kämen. Auf jeden Fall habe sich vor allem die Vorgängerregierung nicht ausreichend von dieser Rhetorik distanziert, und auch die jetzige Regierung tue sich schwer damit. Außerdem fehle es in Zypern vor allem an einem Verwaltungssystem, mit dem Migranten nachhaltig in die Gesellschaft integriert werden könnten.
Für den Sozialanthropologen Papadakis steht fest: Einen solchen Akt politischer Gewalt hat es auf der Insel seit Jahrzehnten nicht gegeben. Ungläubig blickt Papadakis auf die Uferpromenade, auf der vor einigen Tagen noch der Mob wütete: "Hier kommen immer alle Menschen zusammen", sagt er. "Eigentlich ist das der demokratischste und inklusivste Ort der ganzen Stadt."