Netzneutralität in Gefahr?
12. September 2013"Unsere Bürger brauchen faire Rechte und faire Verträge in der gesamten EU, inklusive dem Recht auf Netzneutralität. Ich garantiere das Recht auf Netzneutralität", so nachdrücklich vertrat die EU-Kommissarin für Telekommunikation, Neelie Kroes, in Brüssel ihr Konzept.
Ein Vorschlag der Kommissarin stieß am Donnerstag (12.09.2013) auf besondere Kritik: Unternehmen sollen eine kostenpflichtige, besonders schnelle Datenspur einrichten dürfen, quasi eine "Überholspur" auf der Datenautobahn. Und für die Übermittlung der Expressdaten sollen Telekom und andere Dienste höhere Gebühren verlangen dürfen.
Die Blockade von Internetinhalten und die Drosselung von Verbindungen sollen zwar verboten werden, so dass jeder Nutzer uneingeschränkten Zugang zum Internet hat. Unternehmen können allerdings darüber hinaus "Spezialdienste" beziehen, die datenintensive Inhalte in höchster Qualität übermitteln, etwa HD-Fernsehen oder hochauflösende Bilder. Hier beginnt das Problem, und debattiert wird es unter dem Schlagwort der "Netzneutralität".
Bislang bedeutete Netzneutralität ein barrierefreies Internet, also den gleichen Zugang aller Nutzer zu allen verfügbaren Informationen im Netz. Alle Daten, die im Internet übertragen werden - egal, ob Email, Video oder Bildtelefonie - sollten zum Nutzer transportiert werden. Zwischen Unternehmen, die das Internet geschäftlich nutzen, und Privatkunden wurde kein Unterschied gemacht. Das würde sich ändern, sollte sich der Vorschlag der Kommissarin durchsetzen: Wer mehr zahlt, bekommt dann mehr und schnellere Informationen.
Schwierige Debatte um Netzneutralität
"Die Diskussion um Netzneutralität ist so unheimlich schwierig, weil man diesen Begriff so vielschichtig definieren kann", sagt Nicole Simon, Mitglied der Netz-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, zur DW. Entsprechend verhärtet sind die Positionen.
Die Definition von Verbraucherschützern ist eindeutig. Thomas Bradler von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen fordert gegenüber der DW, "dass alle Verbraucher Zugang zum Internet haben, und dass neue, kleine Anbieter noch die Möglichkeit bekommen, in diesem Markt zu wachsen - damit die Angebotsvielfalt im Internet erhalten bleibt".
Unrealistisch, meint der Branchenverband der Infrastrukturbetreiber VATM. "Netzneutralität heißt, dass der Netzanbieter dem Kunden nicht vorschreibt, was durch die ihm angebotene Leitung schnell oder langsam fließt, oder nur tröpfelt", so Geschäftsführer Jürgen Grützner im DW-Gespräch. "Der Kunde muss entscheiden. Niemand verstößt gegen die Netzneutralität, wenn ein Kunde qualitätvolles Internet-Fernsehen wünscht - und dies technisch möglich ist."
Marktprinzip oder Mogelpackung?
Auch die EU-Kommission konnte sich zu keiner einheitlichen Position durchringen. Der Minimalkonsens: Leistungen und Kosten im Netz müssen für die Kunden transparent sein.
Mit Transparenz allein ist allerdings nicht ausreichend geholfen, meint Verbraucherschützer Bradler. Er sieht das größte Risiko darin, dass sich künftig unter Umständen nicht mehr jeder den Zugang zum Internet leisten könne: "Kommt es dazu, dass man für einzelne Dienste mehr Geld bezahlen muss, ist das zum einen schlecht für die Verbraucher, zum anderen zum Beispiel für kleine Start-up-Unternehmen, die nicht das Geld haben, Verträge mit den entsprechenden Anbietern zu schließen."
Internet-Expertin Simon sieht im aktuellen Papier den möglichen Beginn einer Umwertung des Begriffs: Solange es nur um eine "Premiumservice" gehe, sei noch alles in Ordnung. "Doch wenn ich irgendwann keine Wahl mehr habe, fängt es an, schwierig zu werden." Man könne den amerikanischen TV-Markt als Vorbild nehmen: "Dort werden gewisse Sender nur ausgestrahlt, wenn die wirklich viel Geld in die Hand nehmen und die Kabelbetreiber bezahlen. Und das kann halt nicht jeder."
Die Branchenvertreter halten einen Ausbau des Internets in Deutschland derweil nur für möglich, wenn für die Branche ein finanzieller Anreiz geschaffen wird. Die Einrichtung einer zusätzlichen Datenspur folge dem marktwirtschaftlichen Prinzip. "Wir haben heute Autos, die schnell sind, und wir haben Autos, die langsam, aber dafür deutlich billiger sind", so VATM-Chef Grützner. "Und hier reden wir nicht von 30.000 oder 60.000 Euro für ein Auto, sondern über Centunterschiede, die den Netzausbau bezahlbar machen. Das ist auch richtig und gut so - denn sonst bekommen wir den Netzausbau in Deutschland nicht hin.“