Raus aus der türkischen Schublade
16. August 2004Als im Mai 2004 "Türkgünü" stattfand, Europas größtes Festival der türkischen Kultur in Berlin, da war unter den Gästen am Brandenburger Tor auch der türkische Europa-Abgeordnete und Grünen-Mitglied Cem Özdemir. Und Sertab Erener, der Gewinner des Eurovision Song Contest 2003, sorgte zusammen mit dem türkischen Nachfolge-Kandidaten, der Ska-Band Athena, für die Unterhaltung.
Trendmode aus Istanbul
Die Chancen waren groß, unter den 100.000 Besuchern jemanden mit "Mavi"-Jeans zu treffen. Traditionell gehört topaktuelle Mode zwar nicht zum Image der Türkei. Aber die Kette Mavi ist in der letzten Zeit zur gefragten Marke aufgestiegen - beliebt auch bei Cher und dem Ex-Spicegirl Geri Halliwell. Außerhalb der Türkei ist Deutschland einer der wichtigsten Absatzmärkte.
Serdar Mazmanoglu von Mavis deutschem Hauptquartier in Dietzenbach sagt, Mode gehöre derzeit zu den großen Exportbranchen der Türkei. "Etliche Unternehmen bringen die Industrie nach vorne,", erklärt Mazmanoglu gegenüber DW-WORLD. "Und Mavi gehört dazu."
"Ich bin kein türkischer Regisseur"
Auf ihrem Weg zu Mavis Laden-Flaggschiff im hippen Bezirk Berlin-Mitte kommen die Trendsetter an Kinos vorbei, die noch immer Fatih Akins preisgekrönten Film "Gegen die Wand" zeigen. Obwohl der Film eher türkische Themen aufgreift, betont Akin immer wieder, dass er sich als deutscher Regisseur sieht, der deutsche Filme macht.
Der Berliner Regisseur Neco Çelik versteht sich genau so. "Ich will nicht immer als 'der türkische Regisseur Neco Çelik' bezeichnet werden", stellt er gegenüber DW-WORLD klar. "Türkische Themen stehen nicht im Mittelpunkt meiner Filme." Vor allem wehrt er sich dagegen, in Stereotypen gepresst zu werden. "Wir versuchen, möglichst frei von Dogmen zu bleiben", betont Çelik.
Von der Sprühdose zum Filmgeschäft
1972 in Berlin geboren, wuchs Çelik in dem Milieu auf, das er in seinen Filmen nachzeichnet. Sein neuestes Werk "Urban Guerillas" beweist, dass niemand die Welt des türkischen Untergrunds besser einfangen kann als er - schließlich war Çelik früher selbst Gang-Mitglied und Graffiti-Künstler.
Er ist in Kreuzberg auch als Sozialarbeiter aktiv. "Wir sind in andere Jobs hineingewachsen als unsere Eltern - und einige von uns, das war nicht zu vermeiden, haben sich für eine kreative Karriere entschieden."
Mix der Kulturen ist ganz normal
Kenan Kolat vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg ist genau so glücklich über die größere türkische Präsenz in der deutschen Kulturlandschaft. "Es ist ein längst überholtes Klischee, von 'deutscher' und 'türkischer' Kultur zu sprechen", sagt er DW-WORLD. "Die Leute sind heutzutage viel flexibler, und im Zeitalter der Globalisierung ist es normal, dass sich Kulturen vermischen."
Die zweite Generation sei hier geboren und aufgewachsen, deshalb spiele sie eine aktive Rolle im kulturellen Leben, betont Kolat: "Das ist eine ganz normale Entwicklung."
Der Sprecher der zweiten Generation
Falls diese Generation unter den Literaten einen Fürsprecher hat, dann Feridun Zaimoglu. Sein neuestes Buch, "12 Gramm Glück", ist eine Sammlung von Kurzgeschichten aus der Perspektive eines Erzählers, der den Spagat zwischen zwei Kulturen versucht.
Zaimoglu machte sich einen Namen durch Interviews mit türkischen Kindern, deren Slang er "Kanak Sprak" taufte - so heißt auch sein Buch dazu. Der Titel wurde zum Begriff für die türkische Ghetto-Kultur und die "Kanaksters", Türken aus der zweiten Generation, die abseits des deutschen Mainstreams leben.
Andere dagegen weigern sich, von Anpassung oder Ausgrenzung zu sprechen. "Es ist egal, wie man uns nennen will", sagt Çelik. "Wir sind Chamäleons; wenn wir müssen, passen wir überallhin."