Rassismus in der südafrikanischen Kulturszene
9. Mai 2019Soziale Umbrüche, historische Revolutionen und nachhaltige, gesellschaftliche Veränderungen kündigen sich oft zuerst in der Kunst und Kultur an, bevor sie es auf die politischen Bühnen der Welt schaffen. Kluge Köpfe schreiben Theaterstücke, Bücher und Musik zu den Themen, die sie bewegen und finden dabei oft Wege, Zensur und Unterdrückung zu umgehen.
In Südafrika ist der Kabarettist Pieter-Dirk Uys eine solche Stimme der Freiheit - und das schon seit Jahrzehnten. Wie kaum ein anderer Künstler hat er den Übergang von der Apartheid zur Demokratie in Südafrika mit viel Witz und Humor begleitet und dabei sämtliche politischen Persönlichkeiten auf die Schippe genommen. Am bekanntesten ist allerdings die von ihm erfundene Kunstfigur Evita Bezuidenhout - eine Art weißes "It-Girl", das sich als politische Aktivistin schon in den 1980er Jahren einen Namen machte.
"Ich musste damals als jemand anderes auf die Bühne gehen, als jemand, mit dem die Machthabenden nichts anzufangen wussten. Also habe ich mich einfach als Frau verkleidet. Das hat für Verwirrung gesorgt", erzählt Uys im Interview mit DW. "Denn die Polizei verstand nicht, wen sie wegen der Verstöße gegen die damals vorherrschende Zensur einsperren sollte: die Kunstfigur Evita - oder Pieter-Dirk Uys."
Unter dem südafrikanischen Präsidenten P.W. Botha wurde in den 1980er Jahren der Ausnahmezustand im Land ausgerufen, was viele Zensurmaßnahmen mit sich brachte. Viele schwarze Proteststimmen wurden von Seiten der Apartheidregierung inhaftiert; es gab sogar geheime Mordkommandos. Wenn aber weiße Südafrikaner wie Pieter-Dirk Uys gegen diese Ordnung verstießen, wurden die Vorschriften nicht immer ernst genommen: "Am Ende konnten sie nichts anderes tun, als über sich selbst und ihre absurden Gesetze zu lachen. Diese Erfahrung zeigte mir, dass man niemals seinen Feind unterschätzen darf", so Pieter-Dirk Uys.
Der hohe Preis der Freiheit
Der Feind - die Apartheid - ist seit 25 Jahren begraben. Dennoch macht sich Uys Sorgen über die Zukunft seines Landes, in dem der Populismus immer stärker wird: "Die Apartheid - das war ein Völkermord, es herrschten Krieg und Lügen. Das war ein Virus ohne eine Aussicht auf Heilung. Heute leben wir in einer Demokratie. Schließlich haben wir nach 25 Jahren immer noch unsere Meinungsfreiheit. Aber wie Evita schon sagt: 'Die Freiheit ist die leichteste Feder, die schon beim sanftesten Wind davonfliegt'", sagt Uys. "Man muss jeden Tag an der Freiheit arbeiten. Wenn uns die Apartheid etwas gelehrt hat, dann das."
Während Pieter-Dirk Uys seine fiktive Figur Evita auf der Bühne Wahlkampf machen lässt, laufen im wahren Leben in Südafrika die Wahlkampagnen auf Hochtouren. Jede Partei will sich als Retter profilieren. Soziale Missstände werden dabei als politische Währung eingesetzt, um erneut Ängste zu schüren und neue Stimmen zu erobern. Unter den weißen Südafrikanern gibt es nur sehr wenige, die die Politik von Cyril Ramaphosa, Südafrikas Präsidenten, unterstützen. Manche gehen sogar soweit, ihrer Heimat den Rücken zu kehren.
Eine Künstlerin, die Kapstadt verließ, um in Deutschland ihr Glück zu versuchen, und die ihren Namen nicht öffentlich machen möchte, sagte gegenüber DW, dass sie sich in ihrer Heimat vom Markt verdrängt fühle: "Mir wurde schon oft und in aller Deutlichkeit in Südafrika gesagt, dass ich einfach zu weiß bin, um auf Festivals oder auf bestimmten Bühnen aufzutreten. Darum habe ich mich auch entschieden, das Land zu verlassen."
Vor allem Performer afrikaans-sprachiger Musik mussten sich an das neue Südafrika gewöhnen. Früher lag ihnen die Welt zu Füßen, doch heute laufen im Fernsehen größtenteils Programme, die die neun offiziellen Bantu-Sprachen Südafrikas bedienen.
In der Regenbogennation Südafrika stellen so manche weiße Künstler jetzt fest, dass das zeitgenössische Publikum sie einfach ablehnt. Andere dagegen kommen bewusst ans Kap der guten Hoffnung, um dort nach Jahrzehnten der Apartheid neu anzufangen.
Weißes Museum für schwarze Kunst?
2017 ging zum Beispiel das Zeitz Museum of Contemporary Art Africa (auch Zeitz MOCCA genannt) in Kapstadt in Betrieb - das größte Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst der Welt. Die Dauerausstellung setzt sich aus der persönlichen Sammlung afrikanischer Kunst des ehemaligen PUMA-Geschäftsführers, Jochen Zeitz, zusammen.
"Die Kreativität afrikanischer Kunst und die Diversität der Kulturen Afrikas haben mich immer begeistert. Ich habe nie verstanden, warum es keine Institution, kein großes Museum dafür in Afrika gab, und so wurde (…) die Idee geboren", erklärte Zeitz 2017 in einem Interview. Das Zeitz MOCAA ist mittlerweile zu einer wichtigen Touristenattraktion in Kapstadt geworden. Es geriet allerdings auch in die Kritik, weil nur weiße Männer als Berater in der Führungsliga Einfluss haben. Jochen Zeitz weist diese Kritik von sich. "Wir leben in einer globalisierten Welt und müssen Schwarz-Weiß-Klischees überwinden. Wir sind nur hier, um Chancen zu schaffen", so Zeitz. Wenn es nach ihm ginge, sollte es mehr Möglichkeiten für farbige Kulturschaffende in Südafrika geben. Die Realität sieht aber anders aus.
Der Kampf ums Rampenlicht
Vor allem jüngere Künstler müssen die Erfahrung machen, dass es schwer ist, nach einem Studium einen Job zu finden oder finanziell über die Runden zu kommen. Die 36-jährige Schauspielerin Noluvuyo Mangoloza lebt in Kapstadt und versucht sich dort eine Existenz in der wachsenden Medienbranche aufzubauen, ob nun in Werbespots, Fernsehserien oder Filmen. Dabei finanziert sie sich ihren Lebensunterhalt aber größtenteils mit Einsätzen hinter der Kamera, zum Beispiel als Location-Scout oder als Produktionsassistentin.
Auf DW-Anfrage sagte Mangoloza, dass es für farbige Südafrikaner auch heute noch schwierig sei, beruflichen Erfolg oder gar den großen Durchbruch zu schaffen. "Wenn Weiße sagen, dass ihnen die Chancen geraubt werden, frage ich mich ehrlich, ob das ein Witz sein soll. Die haben doch viel mehr Möglichkeiten, besonders hier in Kapstadt, wo es so viele Weiße gibt, die sich ja alle auch untereinander kennen."
Als sie im Jahr 2003 aus der Ostkap-Provinz nach Kapstadt umzog, wo es kaum Arbeitsplätze für junge Leute gibt, sei ihr gesagt worden, dass die Filmindustrie nur etwas für Weiße sei. "Das stimmt so aber nicht ganz. Hier gibt es schon genug Arbeit, aber man muss darum kämpfen."
Noluvuyo Mangoloza erzählt, dass sie früher mal als Kassiererin im Supermarkt gearbeitet habe, um sich ihren Traum, Schauspielerin zu werden, zu erfüllen. Mangoloza begrüßt Projekte wie das Zeitz MOCAA, räumt aber ein, dass private Initiativen allein nicht weit genug gehen: "Wir brauchen mehr finanzielle Mittel. Sei es, um uns das Studium zu finanzieren oder um unsere Laufbahn anzukurbeln. Wir wollen ernst genommen werden. Gebt uns eine Chance auf mehr bezahlte Praktika und mehr Ausbildungsplätze! Es ist verdammt schwer, alles immer erkämpfen zu müssen."
Miteinander - nicht gegen einander
Pieter-Dirk Uys ist sich darüber bewusst, dass sein Kampf ein gänzlich anderer war. Seit mehr als 50 Jahren steht er auf der Bühne - die meiste Zeit davon mit großem Erfolg. Er ist ein dankbarer, sanftmütiger Mensch, der sich seines besonderen Privilegs durchaus bewusst ist: "Ohne die Großzügigkeit der Mehrheit der Südafrikaner wäre ich heute nicht hier. Denn Millionen und Abermillionen von Schwarzen hätten eigentlich damals ihr Recht einsetzen können, mich gegen die Wand zu stellen und für die Verbrechen der Apartheid zu töten. Denn als weißer, christlich-jüdisch geprägter Afrikaner war ich dafür doch mitverantwortlich. Ich habe von alldem auch profitiert", gibt Uys zu.
"Aber ich glaube auch, dass dieses Schuldbewusstsein eine durchaus positive Sache sein kann. Du kannst mit deinen Schuldgefühlen sicherstellen, dass sich diese schrecklichen Verbrechen nicht wiederholen und dass Menschen einander annehmen und ins Herz schließen. Versöhnung ist schließlich etwas, das man mit anderen immer teilt. Keiner lebt nur für sich allein."