Rassismus, Haare und die Liebe: Adichies "Americanah"
25. Mai 2014Ifemelu, die Heldin des Romans "Americanah" von Chimamanda Ngozi Adichie, ist eine Wanderin zwischen den Welten. Geboren wird sie in einem Dorf in Nigeria, die Mutter strenggläubig, der Vater arbeitslos, nachdem er sich weigerte, seine Chefin mit "Mummy" anzusprechen. Ihre Schulfreunde schwärmen vom Studium im Ausland, besonders von Amerika. Doch Ifemelu sucht noch ihren Platz in der Welt. Mit einem Stipendium in der Tasche geht sie schließlich zum Studium in die USA und bleibt dort 13 Jahre lang. Hier wird sie auch eine erfolgreiche Bloggerin. In ihrem scharfzüngigen Blog "Raceteenth oder ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht-amerikanischen Schwarzen" schreibt sie über den alltäglichen Rassismus. Bis das Heimweh sie packt. Ifemelu will zurück nach Nigeria. Zurück zu ihrem Freund Obinze, der ersten große Liebe - obwohl dieser längst mit einer anderen Frau zusammen ist. Ifemelu ist überall Außenseiterin: in Amerika die "Schwarze" und in Nigeria eine "Americanah". Trotzdem bewegt sie sich selbstbewusst zwischen den Welten, schimpft und spottet und nimmt kein Blatt vor den Mund.
Haare mit politischer Aussage
"Americanah" ist ein Liebesroman und zugleich eine einfühlsame Beobachtung einer korrupten nigerianischen und einer rassistischen amerikanischen Gesellschaft. Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler bezeichnete den Roman im Kulturradio als "Sozialsatire und Thesenroman mit einem brisanten gesellschaftspolitischen Anliegen". Zentrale Themen sind die Selbst- und Fremdwahrnehmung und – überraschender Weise – das Haar schwarzer Frauen. Das Haar ist für Adichie eine Frage der Identität und wird zur politischen Aussage. So schlägt sie den Bogen zum "Go Natural Movement" und der "Natural Hair Community", die sich vor einigen Jahren in den USA formiert hat und sich über zahlreiche Blogs vernetzt. Diese Frauen wollen sich nicht anpassen an die weiße Bevölkerung, wie die Sängerin Beyoncé oder die First Lady Michelle Obama. Sie wollen auch nicht deren Schönheitsideale übernehmen. Deshalb glätten sie ihre Locken nicht, verzichten auf chemische Behandlungen und stehen selbstbewußt zu ihrem Naturhaar. Obinzes Mutter etwa, die auf Ifemelu viel offener und moderner wirkt, als die anderen Frauen, die sie kennt, trägt im Roman einen Afro.
Afrikanische Literatur prägt Adichies Stil
Für die Journalistin und Adichie-Expertin Hannelore Vögele steht Adichie ganz in der erzählerischen Tradition des im vergangenen Jahr verstorbenen Autors Chinua Achebe, der als Vater der modernen afrikanischen Literatur gilt und 2002 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Als Kind habe sie vor allem europäische Bücher gelesen, sagte Adichie einmal. Diese Texte hätten ihr Schreiben stark beeinflusst. Sie habe zunächst nur von weißen Menschen mit blauen Augen erzählt. Erst nachdem sie die Romane Camara Layes und Chinua Achebes gelesen habe, habe sie auch über afrikanische Menschen schreiben können.
Leben zwischen Lagos und Maryland
Die Parallelen zwischen dem Leben der Romanheldin und dem der Autorin sind nicht zu übersehen. Auch Adichie gehört wie Ifemelu dem Volk der Igbo an. Die 37-jährige Schriftstellerin stammt aus einer Akademikerfamilie und ist als fünftes von sechs Kindern in Nsukka in Nigeria aufgewachsen. Mitte der 1990er Jahre zog sie zum Studium in die USA. Heute lebt sie auf zwei Kontinenten, in Lagos in Nigeria und an der amerikanischen Ostküste. Ihre Bücher schreibt sie in englischer Sprache. "Americanah", ihr dritter Roman, ist im März mit dem National Book Critics Circle Award ausgezeichnet worden, der von der US-amerikanischen Literaturkritikervereinigung vergeben wird. Der New Yorker hat Adichie längst in die Liste der "20 besten Schriftsteller unter 40" aufgenommen. Sie eine Starautorin zu nennen ist angesichts der Erfolge, die sie mit ihrem Werk in den USA, in Nigeria, aber auch in Deutschland hat, nicht übertrieben.
Starautorin kritisiert Nigerias Präsidenten
Top-gestylt wie ein Popstar erscheint sie während ihrer Lesereise auf deutschen Bühnen. Und sie scheut sich nicht – genauso wenig wie ihre Protagonistin in ihrem aktuellen Roman –, ihre Meinung zu äußern und über Politik zu sprechen. Dennoch wolle sie ihre Romane nicht als politische Manifeste, sondern als Geschichten verstanden wissen, sagte sie der Zeitung "Die Welt". Raum für politische Äußerungen findet sie außerhalb der Buchdeckel, auf Veranstaltungen, in Interviews oder in Kommentaren, in denen sie beispielweise die Untätigkeit kritisiert, die Nigerias Präsident Goodluck Jonathan zunächst an den Tag legte, nachdem am 15. April mehr als 200 Schülerinnen aus der Stadt Chibok von der islamistischen Boko Haram entführt worden waren. Die Erklärung für ihr politisches Engagement liefert die Schriftstellerin selbst. "In Nigeria ist jeder politisch", sagte sie im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Ich liebe Nigeria, aber ich will, dass es besser wird."