Fünf Jahre nach Rana Plaza
24. April 2018"Sie wollten es nicht Entschädigung nennen, weil sie keine Verantwortung übernehmen wollten", erzählt Kalpona Akter vom Bangladesch Center for Worker Solidarity. Die Gewerkschaftsführerin zieht eine bittere Bilanz aus der Katastrophe von Rana Plaza. Damals, am 24. April 2013, starben 1135 Menschen in den Textilfabriken im eingestürzten Rana Plaza-Gebäude, fast zweieinhalbtausend Textilarbeiter wurden verletzt und leiden zum Teil bis heute unter den Folgen. Obwohl das Bauwerk wegen Rissen schon am Vortag gesperrt werden sollte, zwangen die Fabrikbesitzer die Frauen und Männer zur Arbeit.
"Als wir zuerst unsere Forderungen stellten, hatten wir 71 Millionen Dollar Schadensersatz verlangt. Wir sind letztendlich auf 30 Millionen für alle Opfer gekommen, weil wir auf die Forderung nach Schmerzensgeld verzichten mussten", sagt die Gewerkschaftsaktivistin. Sie war anlässlich des fünften Jahrestags der Katastrophe in Deutschland zu Besuch, um über die Verhältnisse in der Textilindustrie in Bangladesch zu berichten.
Freiwilliger Entschädigungsfonds
"Rana Plaza ist dennoch ein Exempel dafür, dass auch Opfer zu ihrem Recht kommen können", sagt Bernd Hinzmann vom INKOTA Netzwerk, ein Zusammenschluss von globalisierungskritischen Organisationen und Initiativen. Das Netzwerk engagiert sich seit Jahren in der internationalen Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign).
"Aufgrund einer langanhaltenden internationalen Kampagne ist es gelungen, dass überhaupt ein Standardberechnungsmodell durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) aufgesetzt wurde. Somit haben die Opfer und die Hinterbliebene Entschädigungen erhalten."
Nach der Katastrophe von Rana Plaza wurde ein internationaler Fonds gegründet, der Rana Plaza Donors Trust Fund. Die Beteiligung war jedoch freiwillig und nur ein Teil der Firmen, die in Rana Plaza produzieren ließen, zahlten ein. Dafür war der Fonds auch für Solidaritätsbeiträge anderer Firmen, Organisationen und Privatpersonen offen. Am 8. Juni 2015, mehr als zwei Jahre nach dem Unglück, konnte die Internationale Arbeitsorganisation ILO endlich verkünden, dass das 30 Millionen Dollar Ziel erreicht war, um die Opfer zu entschädigen.
Eine staatlich gesicherte Entschädigung oder eine medizinische Versorgung für die überlebenden Opfer gebe es in Bangladesch nicht. "Das ist eine große Lücke in vielen Ländern, nicht nur in Bangladesch. Es gibt eben keine nationale Gesetzgebung, keine Unfallversicherung und keine Arbeitsversicherung", so Bernd Hinzmann vom INKOTA Netzwerk.
Bündnis für nachhaltige Textilien
In Deutschland rief Bundesentwicklungsminister Gerd Müller bereits kurz nach der Katastrophe das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben. Seitdem treffen sich Unternehmen, Gewerkschaften, Verbände und Regierungsvertreter regelmäßig, mit dem Ziel soziale und ökologische Standards in der weltweiten Textilproduktion zu verbessern.
Auch wenn das Bündnis wegen des bürokratischen Aufwands in die Kritik geraten sei, habe es dennoch ein Umdenken bewirkt, betont Bernd Hinzmann vom INKOTA Netzwerk und der Kampagne für Saubere Kleidung. Als 2016 Menschen in Bangladesch für existenzsichernde Löhne demonstrierten, wurden Gewerkschafter gezielt inhaftiert und Gewerkschaftsbüros geschlossen.
"Wir mussten vom Bündnis für nachhaltige Textilien aus reagieren", erzählt Hinzmann im DW-Interview. "Es war interessant, dass wir da unisono einer Meinung waren, auch mit den Vertretern der Wirtschaft, dass das ein undemokratischer Akt ist."
Brand- und Sicherheitscheck läuft aus
Nach Rana Plaza wurde auf massivem politischem Druck ein Abkommen für Brandschutz- und Gebäudesicherheit zwischen den Herstellern und den Gewerkschaften vereinbart. Der "Bangladesh Accord" verpflichtet nationale und internationale Textilunternehmen, die in Bangladesch produzieren, für regelmäßige Sicherheitskontrollen und Feuerschutz in den Fabriken zu sorgen.
"Sie haben alle Sicherheitsinspektionen durchgeführt, haben mehr als 130.000 Mängel gefunden, die mittlerweile auch beseitigt worden sind", erzählt Gewerkschafterin Kalpona Akter aus Bangladesch. "Das gilt für die 1600 Fabriken, die das Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit unterschrieben haben. Wir haben jedoch mehr als 4500 Fabriken im ganzen Land." Sie schätzt, dass das Abkommen rund die Hälfte der insgesamt vier Millionen Beschäftigten in der Textilindustrie schützt.
Ein neues und umfassenderes Abkommen soll den auf fünf Jahre begrenzten Accord ersetzen, der im Mai 2018 ausläuft und von mehr als 200 Unternehmen unterzeichnet wurde. "Wir plädieren als Kampagne für Saubere Kleidung massiv dafür, dass Unternehmen erneut dieses Abkommen, den Accord 2018 unterzeichnen, damit es kontinuierlich zu weitere Verbesserungen kommt", betont Bernd Hinzmann.
Im neuen Abkommen soll zum Beispiel ein Beschwerdemechanismus eingeführt werden und nicht nur für die Bekleidungsindustrie sondern auch für Hersteller anderer Textilprodukte gelten. Laut Homepage haben bisher mehr als 140 Firmen und zwei Gewerkschaften unterzeichnet.
Freiwillige Maßnahmen nicht ausreichend
Letztendlich, so Bernd Hinzmann, zeigten bisherige Erfahrungen, dass freiwillige Maßnahmen nicht genug seien, um Arbeitssicherheit, Sozialstandards oder Unfallfolgen zu regeln. "Es ist so, dass letztlich Rana Plaza so etwas wie einen Aufschrei initiiert hat. Und andere Katastrophen wie Tazreen oder Ali Enterprises in Pakistan fanden auch statt. Auch die Jahre danach kam es zu Explosionen in Textilfabriken, weil beispielsweise die Überprüfung von Kesselanlagen nicht Teil dieses Abkommens ist."
Er fordert deshalb verbindliche Regelungen, nicht nur für die Fabriken vor Ort sondern auch für die Unternehmen, die dort billig produzieren lassen: "Wir brauchen eine gesetzliche Rahmensetzung, so wie es auch die EU formuliert hat. Es geht eben darum, einen verbindlichen, verpflichtenden und gesetzlichen Schutz von Menschenrechten bei der Arbeit umzusetzen."