Armeen im All
17. Februar 2012Er ist der Inbegriff des US-amerikanischen Nationalhelden: John Glenn wurde mit Orden überhäuft, mit Konfetti-Paraden geehrt und die Raumfahrtagentur NASA benannte ein Forschungszentrum nach ihm. Denn vor 50 Jahren beendete Glenn, was im Kalten Krieg als nationale Schmach empfunden worden war: Nicht nur, dass die Sowjetunion 1957 den ersten Satelliten ins All geschickt hatte; dem Sputnik-Schock folgte ein weiterer, als vier Jahre später der Russe Juri Gagarin als erster Mensch die Erde in einem Raumschiff umrundete. Am 20. Februar 1962 umkreiste dann der Astronaut Glenn den Planeten - die USA hatten mit der Sowjetunion gleichgezogen und entschieden das "Space Race" 1969 mit der Mondlandung schließlich für sich.
Der älteste Astronaut der Welt
Im Alter von 77 Jahren flog Glenn an Bord der Raumfähre Discovery 1999 erneut ins All. Im Orbit war es inzwischen eng geworden. Und die Unübersichtlichkeit nimmt weiter zu: Knapp 1.000 aktive Satelliten ziehen ihre Bahnen, dazu kommen rund 6.000 große Schrottteile. Die einstige Domäne der Supermächte ist zu einem Tummelplatz von rund 50 Staaten und zahlreichen Privatunternehmen geworden. "Die Raumfahrt ist heute Bestandteil des alltäglichen Lebens und Wirtschaftens", sagt Cornelius Vogt, Experte für Raumfahrtpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Satelliten schicken Fernsehprogramme in die Wohnzimmer, leiten Autofahrer durch das Verkehrschaos, synchronisieren die globalen Finanzmärkte, überwachen das Wetter und vieles mehr.
Viele Anwendungen werden auch von Armeen genutzt, längst ist der Orbit militarisiert. "Insbesondere in den westlichen Armeen spielen Raumfahrttechnologien eine zunehmend wichtige Rolle", sagt Elizabeth Quintana von der militärischen Denkfabrik "Royal United Services Institute" in London. "Das betrifft nicht nur die Aufklärung und die Fähigkeit, ein Operationsgebiet zu überblicken, sondern auch die Kommunikation und die Nutzung von Navigationssystemen." Die Militärführung weiß dank dieser "vernetzten Operationsführung" bei Einsätzen jederzeit genau, was wo passiert und kann sämtliche Einheiten steuern.
Stabilität durch Spionage
Auch die Bundeswehr verfügt seit knapp zwei Jahren über zwei Kommunikationssatelliten, die abhörsichere Telefongespräche, Videokonferenzen und Internetzugänge ermöglichen. Bei der Navigation ist Deutschland noch auf das amerikanische GPS angewiesen. Doch die strategische Bedeutung ist so groß, dass nicht nur Russland und China eigene Systeme entwickeln, sondern auch Europa. "Man möchte sich nicht in eine absolute Abhängigkeit von jemand anderem begeben – auch nicht von den USA als wichtigem Bündnispartner", sagt Cornelius Vogt von der DGAP.
Der militärische Einsatz von Satelliten ist international akzeptiert, zumal er den Frieden erhalten kann. In Südasien etwa tragen Spionagesatelliten nach Einschätzung des UN-Instituts für Abrüstungsforschung (UNIDIR) zur Stabilität bei, da Pakistan und Indien die Truppenbewegungen des Rivalen überwachen können. Gleichwohl wächst mit der strategischen Bedeutung von Satelliten der Anreiz, sie auszuschalten. So schoss China 2007 testweise einen eigenen ausgedienten Wettersatelliten mit einer Rakete ab und wurde dafür scharf von den USA kritisiert - die ein Jahr später selbst eine Rakete auf einen defekten Satelliten feuerten, begleitet von chinesischem Protest. "Die Botschaft war eindeutig: 'Legt Euch besser nicht mit uns an!'", sagt die Militärwissenschaftlerin Quintana.
Angriff aus dem All
Von einem Wettrüsten im All mögen Experten trotz solcher Rangeleien nicht sprechen. Bisher gebe es lediglich einzelne Experimente, sagt etwa Alexej Arbatow, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften und Sicherheitsexperte am Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen in Moskau: "Wir haben noch nicht den Punkt erreicht, an dem Weltraum-Waffen systematisch getestet, produziert und stationiert werden." Gleichwohl warnt Arbatow, dass es in den kommenden Jahrzehnten dazu kommen könnte.
Arbatow verweist unter anderem auf den unbemannten Raumgleiter X-37b, den die US-Luftwaffe 2010 unter strenger Geheimhaltung für sieben Monate ins All schickte. Wozu genau das knapp neun Meter lange Mini-Raumschiff dienen soll, ist umstritten: Chinesische Zeitungen spekulierten über einen Einsatz als Träger für Waffensysteme und auch das UNIDIR zog dies nach dem Start in Erwägung. Auch wenn Alexej Arbatow glaubt, dass Gleiter dieser Art binnen 40 Minuten jeden Punkt der Erde mit Präzisionswaffen treffen könnten, bleibt er entspannt: "Wir haben keine Hinweise, dass diese Testsysteme formell zugelassen wurden und produziert und eingesetzt werden sollen."
Lückenhafte Regeln
Noch gibt es keine Waffen im All – doch ausgeschlossen ist das nicht, denn die internationalen Abkommen sind lückenhaft. Zwar schließt der Weltraumvertrag Kernwaffen und Militärbasen im All aus, doch es existiert kein Verbot konventioneller Waffen. "Ich glaube auch nicht, dass dies auf kurze Sicht ein wesentliches Problem werden könnte", sagt Ben Baseley-Walker, Leiter des Programms für aufkommende Sicherheitsbedrohungen des UNIDIR. "Wenn ein Konflikt im Weltraum entsteht, dann vermutlich deshalb, weil sich ein Konflikt auf der Erde im All fortsetzt."
Doch die internationalen Akteure tun sich schwer, sich auf Regeln zu verständigen. So hat die Europäische Union bislang erfolglos einen "Verhaltenskodex für die Durchführung von Weltraumaktivitäten" vorgeschlagen. Das Dokument besteht im Wesentlichen aus Allgemeinplätzen: So sollen die Unterzeichnerstaaten den Weltraum konfliktfrei halten, Kollisionen vermeiden und die Zerstörung von Satelliten unterlassen. Obwohl das Papier rechtlich nicht bindend wäre, sperren sich China und Russland mit dem Verweis auf eigene Initiativen. Ben Baisley-Walker vom UNIDIR ist dennoch zuversichtlich, dass es vorwärts geht, denn noch in diesem Jahr soll sich eine Expertengruppe im Auftrag der UN-Generalversammlung dem Thema widmen – auch mit Unterstützung von China und Russland.
Taikonauten bleiben draußen
Bei allen Unstimmigkeiten gehört Zusammenarbeit längst zur Normalität. Seit dem Ende des Shuttle-Programms verlassen sich die USA und Europa auf die russischen Sojus-Raketen, um Astronauten und Material zur internationalen Raumstation ISS zu befördern. "Wir kooperieren außerdem seit elf Jahren bei der gemeinsamen Nutzung der ISS", sagt der russische Experte Arbatow. "Ich bedaure es sehr, dass diese großartige Anstrengung nicht die öffentliche Aufmerksamkeit genießt, die sie verdient."
Keinen Zutritt haben Chinas Taikonauten; das Reich der Mitte steht in der Raumfahrt trotz vereinzelter Kooperationen im Abseits. Doch Peking verfolgt ehrgeizige Ziele: Bis 2020 soll eine eigene Raumstation entstehen, ein kleines Testmodul ist bereits in der Umlaufbahn. Zehn Jahre später soll eine Mondlandung folgen. Von einem "Space Race" wie zwischen der Sowjetunion und den USA sind China und der Westen aber noch weit entfernt; China liegt Jahrzehnte zurück. "Es ist kein kalter Krieg, aber ein heimlicher Wettbewerb", sagt Arbatow. "Beiden Seiten ist klar, dass sie im 21. Jahrhundert zu Rivalen werden und deshalb auch Rivalen im All werden könnten."
Autor: Dеnnis Stutе
Redaktion: Daphne Grathwohl