Rajoy versucht es taktisch
7. Oktober 2017Derzeit ändert sich in Spanien alles im Minuten-Takt. Sah es am vergangenen Montag noch so aus, als könnte Mariano Rajoy wegen des fatalen Polizeieinsatzes bei der Verhinderung des verfassungswidrigen Referendums in Katalonien gestürzt werden, steht der stets im gleichen Ton redende Galizier am darauffolgenden Freitag wieder triumphierend vor den Kameras.
Ausbluten der katalanischen Wirtschaft
Statt die Aussetzung der Autonomie einzuleiten und Militär nach Katalonien zu schicken, spielt die spanische Regierung mit den Katalanen "Wirtschafts-Schach". Durch die Ankündigung der zweitgrößten Bank der autonomen Region, Banco Sabadell, ihren Geschäftssitz nach Alicante zu verlegen, entstand diese Woche ein Dominio-Effekt. Rajoy erkannte seine Chance und die spanische Regierung verkürzte per Dekret den Prozess zur Verlegung des Firmensitzes.
Daraufhin hat auch nun auch Caixabank, die größte Bank am spanischen Markt, die Verlegung des Hauptsitzes auf die Balearen beschlossen. Die spanische Medien ziehen mit und berichten von einer "Firmen-Flucht aus Katalonien" (El País). "Rajoy versucht, die aktuelle Regierung finanziell Schach matt zu setzen. Angesichts der Mobilisierung der Separatisten und der fatalen Auswirkung der Bilder vom vergangenen Sonntag beim Polizeieinsatz in Katalonien, will er durch voreilige Festnahmen oder weitere Polizeieinsätze keine Märtyrer kreieren," heißt es aus Regierungskreisen. In Madrid kreuzen die spanischen Militärflieger derweil am Freitag am Himmel, um für die National-Parade am kommenden Donnerstag, dem "Día de la Hispanidad", zu üben.
Mobiliserung der spanischen Anhänger
Nach den Bildern von Tausenden von Separatisten auf katalanischen Straßen wurde jetzt die Mobilisierung der Massen auf der anderen Seite eingeleitet. Die Spanier hängen ihre Flagge aus den Fenstern und gehen überall im Land auf die Straße. In Madrid und Umgebung werden Schwüre auf die Flagge organisiert, am Sonntag findet eine Groß-Demo für die spanische Einheit in Katalonien statt. Auch für den "hispanischen Tag" am 12. Oktober wird eine nie dagewesene Präsenz von Bürgern erwartet. Am "Kolumbus-Tag", wie der Nationalfeiertag auch genannt wird, erinnern sich die Spanier mit Militärparaden und Präsenz der Monarchie an die Entdeckung Lateinamerikas.
Pure Provakation für die Separatisten, aber Rajoys Taktik geht derzeit auf. Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont, der zunächst am Montag die Unabhängigkeit der Region von Spanien ausrufen wollte, musste wegen einer vom spanischen Verfassungsgericht verordneten Aussetzung der parlamentarischen Sitzung an diesem Tag seine "Deklaration ans Volk" auf Dienstag verlegen. Ob er dann weiter an seinem Plan festhält, die Unabhängigkeit auszurufen, bleibt fraglich. Die spanische Regierung weigert sich offiziell, sich mit der aktuellen katalanischen Regierung an einem Tisch zu sitzen. "Puigdemont ist ein überzeugter Separatist und kann aus dieser Sackgasse nicht mehr raus. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass er die Republik ausruft und dann festgenommen wird", sagt Miguel Vidal, Physiker, Unternehmer und IT-Experte, der aufgrund seiner familiären und beruflichen Situation nicht wie derzeit viele Firmen seinen Wohnsitz einfach so verlegen kann.
Deutsche Unternehmer in Katalonien fordern Entspannung
Die deutschen Unternehmen in Katalonien, darunter der zum VW-Konzern gehörende Autohersteller Seat, Lidl und viele Automobilzulieferer, denken dagegen über einen Plan B nach: "Wir brauchen in jedem Fall eine schnelle Lösung des Konflikts, da der wirtschaftliche Schaden irgendwann nicht mehr zu reparieren ist", sagt Albert Peters, Chef des Kreises der deutschen Führungskäfte in Barcelona (KdF). Ihm hat eine katalanischen Bank schon nahe gelegt, die Spareinlagen der Mitglieder des KdF aus Katalonien und Spanien herauszubringen, bevor es zu dem befürchteten Zusammenbruch des katalanischen Finanzsystems kommt, das auch Spanien treffen könnte, da allein Banco Sabadell und La Caixa 40 Prozent des Kreditmarktes kontrollieren.
Die in Katalonien ansässigen Konzerne brauchen den spanischen Markt, sie benötigen die Zugehörigkeit zur EU als Garantie und die Kreditinstitute wollen auf den Schutz der europäischen Zentralbank nicht verzichten. Deswegen hat sich am Freitagnachmittag auch eines der größten Energieunternehmen des Landes, Gas Natural, entschieden, seinen Sitz vorübergehend nach Madrid zu verlegen. "Derweil läuft parallel ein Boykott gegen katalanische Produkte, wie es immer bei Krisen mit Katalonien der Fall war. Das zwingt die dortigen Firmen jetzt, Stellung zu nehmen und auch auszuwandern, wollen sie nicht pleite gehen," sagt der in Madrid lebende deutsche Unternehmensberater Richard Wolf.
Puigdemonts Rechnung geht nicht auf
Für den spanischen Wirtschaftsprofessor Roberto Centeno gibt es keinen anderen Ausweg für Katalonien als die Zugehörigkeit zu Spanien: "Die wirtschaftlichen Auswirkungen wären nicht haltbar: Katalonien würde bei einer Unabhängigkeit ein Drittel des Bruttoinlandprodukts verlieren. Seine Währung - und das wird nicht der Euro sein - wäre 30 Prozent weniger wert und abgesehen von der Kapital- und Unternehmensflucht, die schon voll im Gange ist, würden 1,68 Mio. katalanische Rentner rund 20 Prozent weniger Pension bekommen.”
Die zweitgröβte Bank des Landes BBVA, die ihren Sitz im ebenfalls in Teilen separatistisch orientierten Baskenland hat, warnt vor den Auswirkungen auf dem Anleihenmarkt: "Es würde eine klare negative Auswirkung haben, nicht nur für Anleihenbesitzer in Katalonien, sondern für ganz Spanien." So sieht es auch die Ratingagentur Moody's. Schon jetzt hat Katalonien wegen der hohen Verschuldung ein Rating von Ba3.
Rajoy verbucht Teilerfolg, aber der Konflikt wird noch lange brodeln
Aber auch, wenn die spanische Einheit wieder leicht die Überhand gewonnen hat, für den Physiker Vidal wird es für die Regierung in Madrid dennoch schwierig werden in den kommenden Jahren: "Der Riss, der durch die katalanische und spanische Gesellschaft geht, ist tief. Rund zwei Millionen Wähler in Katalonien wollen, was die andere Hälfte nicht will. Es ist ein interner katalanischer und spanischer Konflikt, den wir vielleicht erst in der nächsten Generation wirklich lösen können." Am 12. Oktober, am "Día de la Hispanidad", könnte es auch deswegen seiner Meinung zu Ausschreitungen kommen in Katalonien: "Auf beiden Seiten sind die Massen derzeit sehr aufgeheizt. Die sozialen Medien wiegeln auf und ich bin zufällig über Bekannte in eine Separatisten-Gruppe bei WhatsApp geraten und ich sehe, wie gut sie sich organisieren."