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Radikal rebellisch: Die Surrealistinnen

14. Februar 2020

Als der Surrealismus in Paris seine Blütezeit erreicht, dominieren männliche Künstler die Bewegung. Frauen sind höchstens Muse oder Modell. Aber sie brechen das Rollenklischee auf - mit ihrer Kunst.

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Ausstellung  Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo
Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund

Als die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo Anfang 1939 hoffnungsvoll nach Paris reist, ist die revolutionäre Kunstströmung des Surrealismus schon weit über die Grenzen Europas bekannt geworden. Ermutigt durch den Schriftsteller André Breton, der sie und ihren Mann Diego Rivera im Jahr zuvor in Mexiko besucht hat, bereitet sie ihre erste Ausstellung in Europa vor.

"Dieses abscheuliche Paris!"

Breton zeigt sich begeistert von den phantasievollen Arbeiten Kahlos und verspricht ihr großen Erfolg in Frankreich. Aber nach ein paar Tagen als Gast in der heruntergekommenen Pariser Wohnung des Ehepaars Breton ist ihr klar, dass daraus nichts wird. "Die Sache mit der Ausstellung ist ein saumäßiges Durcheinander. Bei meiner Ankunft waren die Bilder immer noch im Zollbüro, weil dieser Mistkerl von Breton es nicht für nötig gehalten hat, sie abzuholen", schreibt sie wütend an ihren Mann.

Selbstportrait von Frida Kahlo an roter Wand
Eines der vielen Selbstportraits der mexikanischen Malerin Frida KahloBild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund

Hilfe kommt in Person des französischen Künstlerkollegen Marcel Duchamp, der die verpackten Arbeiten in eine Pariser Galerie, die er persönlich kennt, transportieren lässt. "Der ist wirklich der einzige hier, der auf dem Boden der Wirklichkeit steht", schreibt Frida in ihr Tagebuch, "nicht wie all die wahnwitzigen Spinner von Surrealisten..."

Gesundheitlich zusätzlich angeschlagen, auch durch das ungewohnte französische Essen, begibt sich Frida Kahlo in ärztliche Obhut ins amerikanische Krankenhaus. Die Ausstellung wird am Schluss ein Erfolg, aber die Malerin distanziert sich nach ihrer überstürzten Abreise radikal: Sie will nicht mehr zu den Surrealisten gezählt werden.

Manifest des Surrealismus

Geprägt durch seine Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg hatte der französische Lyriker und Schriftsteller André Breton in Paris einige Jahre zuvor eine radikal antibürgerliche und antimilitaristische Bewegung ins Leben gerufen. 1924 verfasst er das "1. Manifest des Surrealismus", fortan theoretische Grundlage für Künstler, Dichter und Schriftsteller, die mitmachen wollen. Frauen sind in dieser Anfangszeit höchstens als Modelle im Atelier, als Ehefrau oder inspirierende Muse für die "Herren der Schöpfung" dabei.

Ausstellung  Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo
Surrealistische Collage: Eileen Agar, Ohne Titel (1936)Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund

Aus allen Kunstgattungen strömen Künstler in die surrealistischen Gruppierungen, die ihr Zentrum in Paris haben. Angezogen durch die sehr in Mode gekommene Psychoanalyse Siegmund Freuds, experimentieren die Surrealisten mit Traumdeutung, intuitiver Malerei, Collagen und Gruppensitzungen, in denen gemeinschaftlich Kunstwerke entstehen. Man muss nicht Kunst studiert haben, um mitzumachen.

Intuitive Malerei des Unbewussten

Mit dem Surrealismus entsteht in Frankreich aber keine neue Stilrichtung, sondern eine völlig andersartige Denkrichtung. Max Ernst, Hans Arp, René Magritte, Salvador Dali und Man Ray sind die führenden Figuren dieser Zeit. Das Unterbewusstsein führt Pinsel, Stift und Meißel: Surreale Bildwelten und phantasievolle Skulpturen entstehen, die zwischen Abstraktion und Fiktion changieren. Das Spiel mit Identitäten, animalische Sexualität, starker Eros und der Wechsel der Geschlechterrollen bestimmen die Motivwelt.

Ausstellung  Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo
Die Frau als Objekt der Begierde: Dorothea Tanning, Portrait Muriel Levy (1943)Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund

Frauen tauchen in den Arbeiten der Maler als Göttin, Teufel, Kindfrau, amputierte Puppe oder überhöhtes Traumwesen auf - als Objekt der Männerphantasien. In den 1930er Jahren kommen dann professionelle Künstlerinnen wie Meret Oppenheim, Leonore Harrington, Dora Maar und die Fotografin Lee Miller in den Kreis der Surrealisten um André Breton.

Mit starkem Selbstbewusstsein setzen sie andere Akzente in ihren Ateliers, mischen die Pariser Kunstszene radikal auf und entwickeln ihre eigenständige, weibliche Kunst. Meret Oppenheim wird 1936 durch ihre Pelztasse ("Frühstück im Pelz") weltberühmt, die damals als Inbegriff der surrealistischen Kunst vom New Yorker MoMa angekauft wird.

Ausstellung  Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo
Fotografische Experimente: Lee Miller, Miederwaren (Studio der Vogue,London/1942)Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund

Das weibliche Prinzip in der Kunst

Viele Künstlerinnen dieser Zeit, die die Kunstströmung des Surrealismus in Europa, Mexiko und den USA vorangebracht haben, sind heute völlig unbekannt. Die Kunstgeschichte hat sie als "Frau und Muse von…" einsortiert, ihre Arbeiten sind in den großen Museen und Kunstsammlungen kaum vertreten. Die Malerin Jacqueline Lamba, seit 1934 mit Breton verheiratet, und die Fotografin Dora Paar, lange Jahre Lebensgefährtin von Pablo Picasso, sind Beispiele dafür. Beide gehörten zu den eigenständigen Surrealistinnen.

Die Kuratorin Ingrid Pfeiffer hat für die aktuelle Ausstellung in der Frankfurter Kunsthalle Schirn in jeder Hinsicht kunstarchäologische Arbeit geleistet. 260 Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Filme und Papierarbeiten von insgesamt 34 internationalen Künstlerinnen des Surrealismus hat sie zu einer umfassenden historischen Schau zusammengetragen. "Fast alle Künstlerinnen waren keine Anfängerinnen und hatten eine professionelle Kunstausbildung, als sie nach Paris kamen", erklärt sie bei der Eröffnung.

Ausstellung  Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo
Louise Bourgeois, Torso - Self-Portrait (1963/64)Bild: Schirn Kunsthalle Frankfurt/DW/H.Mund

Der französischen Künstlerin Louise Bourgeois (1911-2010), die nach einem Mathematik-Studium an der Pariser Sorbonne erst spät zur Kunst und 1932 dann in den Kreis der Surrealisten kam, ist in der Ausstellung ein Extra-Raum gewidmet. Sie lebte in Paris im gleichen Haus, in dem André Breton zeitweise seine Galerie hatte. 1938 zog sie nach New York und hatte dort weiter Kontakt mit den aus Europa emigrierten Künstlern, wie Max Ernst und Marcel Duchamps.

Eindrucksvoll präsentieren in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt ihre Arbeiten - Malerei und Skulpturen, was den damaligen Künstlerinnen ureigene Weiblichkeit bedeutete. 1982 war Louise Bourgeois die erste Frau, die vom New Yorker Museum of Modern Art mit einer eigenen Retrospektive gewürdigt wurde.

Die Ausstellung „Fantastische Frauen. Surreale Bildwelten von Merkt Oppenheim bis Frida Kahlo" ist noch bis zum 24. Mai 2020 in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt zu sehen. Danach wandert sie nach Kopenhagen. Auf ARTE wird am 16.2. die Dokumentation „Gelebte Träume - Künstlerinnen des Surrealismus" ausgestrahlt, später jederzeit in der ARTE-Mediathek zu sehen.