Putschanklagen in Türkei
23. Februar 2010Seit Dienstag (23.02.2010) werden die 49 Beschuldigten von der Justiz verhört. Am Vortag hatte die Polizei in einer landesweiten Razzia 17 ehemalige und noch im Dienst stehende Offiziere festgenommen, darunter auch die ehemaligen Kommandanten der Luftwaffe und der Marine. Ihnen wird vorgeworfen, den Sturz der pro-islamischen Regierung unter Premierminister Recep Tayyip Erdogan geplant zu haben. In einem Gerichtsverfahren würden den Offizieren lebenslange Haftstrafen drohen.
Beweismittel gründlich geprüft
Wie die regierungsnahe Zeitung "Zaman" berichtete, hat die Staatsanwaltschaft das zuerst von einer Zeitung veröffentlichte Beweismaterial von Wissenschaftlern und Experten der Polizei überprüfen lassen. Erst nachdem die Echtheit der Putschpläne festgestanden habe, seien die Festnahmen angeordnet worden.
Generalstabschef Ilker Basbug verschob angesichts der Ereignisse eine Reise nach Ägypten, jedoch brauchte die Militärführung mehr als 24 Stunden bis zu einer ersten Stellungnahme: Es sei eine ernste Lage, erklärte der Generalstab am Dienstagabend. Die gesamte türkische Armeeführung versammelte sich zu Krisenberatungen. Die Festnahmen führten zu einer Verunsicherung der Finanzmärkte in der Türkei und zu einer Abwertung der türkischen Lira.
Berichten türkischer Medien zufolge sah der 2003 entworfene Putschplan vor, dass die Luftwaffe zunächst einen Zwischenfall mit der griechischen Luftabwehr provoziert. Dabei sollten ein türkisches Militärflugzeug abgeschossen und zeitgleich mehrere Sprengsätze in türkischen Moscheen gezündet werden. So wollte sich die Armee einen Vorwand schaffen, um die Regierung zu stürzen.
Staatsstreich als Mittel der Politik
Seit Gründung der türkischen Republik durch Kemal Atatürk versteht sich die Armee als mächtige Wahrerin des säkularen Staates. Staatsstreiche waren dabei stets Mittel zum Zweck: Vier Regierungen wurden seit 1960 von der Armee abgesetzt. Durch die Reformen in der Türkei, die im Rahmen der EU-Annäherung allmählich umgesetzt wurden, verlor die Armee jedoch an Einfluss im politischen Leben des Landes.
Der aktuelle Fall ist nicht der einzige, in dem Militärs im Verdacht stehen, die Absetzung der pro-islamischen Regierungspartei AKP anzustreben. Mitglieder einer rechtsextremistischen Gruppe namens "Ergenekon" stehen ebenfalls wegen eines mutmaßlichen Putschversuches vor Gericht, unter ihnen auch Militärangehörige. Pro-säkulare Regierungsgegner kritisierten den Ergenekon-Prozess als politischen Schauprozess gegen Gegner der AKP.
Autor: Fabian Schmidt (dpa, rtr)
Redaktion: Bernd Riegert