Chaos in Burkina Faso
17. September 2015"Die ganze Nacht über haben wir Schüsse gehört, bis zum frühen Morgen", berichtet Richard Tiene, DW-Korrespondent in Burkina Faso. "Die Menschen haben sich zu Hause verkrochen, die Radiosendungen wurden mittendrin unterbrochen, Journalisten wurden geschlagen und die Menschen, die sich für die Zivilgesellschaft, einsetzen, wurden verfolgt."
Am Mittwochabend stürmte die Präsidialgarde in Burkina Faso eine Kabinettssitzung der Übergangsregierung in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou. Sie nahmen den Präsidenten, den Premierminister und zwei weitere Mitglieder der Übergangsregierung fest und verkündete am Donnerstag das Ende der Übergangsregierung. Die hatte das Land seit dem Rücktritt des langjährigen Präsidenten Blaise Compaoré im letzten Jahr regiert und sollte den Weg für demokratische Wahlen frei machen. Eine weitgehend friedliche Massenbewegung und Proteste vor allem der jungen Bevölkerung Burkina Fasos hatten Blaise Compaoré im Herbst 2014 zum Rücktritt bewegt – nach 27 Jahren an der Macht hatte er sich durch eine Verfassungsänderung eine weitere Amtszeit sichern wollen, war aber an den Protesten der Bevölkerung gescheitert und schließlich in die benachbarte Elfenbeinküste geflohen.
Ende des "afrikanischen Frühlings"?
Dass die Burkinabé die Verfassungsänderung nicht hinnahmen und auf gewaltlosem Weg erfolgreich dagegen protestierten, deuteten Beobachter als Signal dafür, dass sich das Land auf dem Weg zur Demokratie befindet. Viele sprachen in Anlehnung an den arabischen Frühling von einem "afrikanischen Frühling". Vor diesem Hintergrund seien die jüngsten Entwicklungen im Land traurig, sagt Alexander Stroh, Professor für die Politik Afrikas an der Universität Bayreuth: "Die Wahlen am 11. Oktober wären die erste Gelegenheit gewesen, einen Präsidenten tatsächlich durch Wahlen ins Amt zu bringen. Und jetzt, ein Jahr nachdem Blaise Compaoré gestürzt wurde, übernimmt ausgerechnet der Chef seiner Präsidialgarde offenbar durch einen Putsch die Macht."
Die Präsidialgarde stellt den stärksten und am besten ausgebildeten Teil des burkinischen Militärs - und sie steht dem im letzten Jahr geschassten Präsidenten Compaoré sehr nahe. Eine Reformkommission hatte wenige Tage vor dem Putsch empfohlen, diese Garde aufzulösen. Das könnte den letzten Auslöser für den Putsch gegeben haben, vermuten Beobachter. Ein weiterer Grund: Im April verabschiedete die Übergangsregierung ein umstrittenes Wahlgesetz, das Unterstützer des Ex-Präsidenten Compaoré von der Wahl ausschließt. Der Gerichtshof der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS entschied, das sei nicht rechtens. Doch die Übergangsregierung hielt am Gesetz fest. Für den burkinischen Journalisten Issaka Linagani, der für die Compaoré-nahe Zeitung L'Opinion arbeitet, steht deshalb fest: "Der Putsch war vorhersehbar. Denn dieser Ausschluss konnte nur negative Folgen haben."
Frühe Anzeichen für Unruhen
Auch Alexander Stroh von der Universität Bayreuth sagt, es habe Anzeichen für Unruhen in Burkina Faso gegeben - vor allem in der Person von General Diendéré, ehemaliger Militärberater von Compaoré und Anführer der Gegen-Putschisten. "Er hatte in der Übergangsregierung keine Funktion, war aber als einer der wenigen engen Verbündeten von Blaise Compaoré immer noch sehr sichtbar im Land. Und es gab in den letzten Monaten immer wieder Spekulationen darüber, ob Diendéré in Kontakt mit Blaise Compaoré möglicherweise etwas wie einen Gegen-Coup organisieren könnte." Dass es Absprachen mit dem Ex-Präsidenten gegeben habe, bestreitet der General jedoch, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Schlechte Aussichten für Wahlen im Oktober
Ob die Burkinabé im Oktober nun wählen werden, ist zweifelhaft. Die Wahl käme "zu früh", erklärte Diendéré in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP. Auch Alexander Stroh vermutet, dass zunächst keine Wahlen stattfinden werden. Doch der Putsch begrabe die großen Hoffnungen auf Demokratie in Burkina Faso nicht: "Für ausgeschlossen halte ich das nicht - insbesondere dann nicht, wenn international zu entsprechend vehementen Reaktionen kommt, und wenn niemand diesen Putsch international auch nur de facto anerkennt."
Senegal und Benin wollen vermitteln
Mehrere Staaten und Organisationen, darunter auch Deutschland, haben den Staatstreich verurteilt. Senegals Präsident Macky Sall, der momentan dem westafrikanischen Wirtschaftsbündnis ECOWAS vorsteht, will am Freitag gemeinsam mit seinem Amtskollegen aus Benin, Thomas Boni Yayi, nach Burkina Faso reisen, um dort zu vermitteln. Benins Außenminister Saliou Akadiri erklärte im Staatsfernsehen, bei den Gesprächen solle die Freilassung des Präsidenten und der Minister und die Rückkehr zur Verfassung erreicht werden.
Unterdessen stellen sich auch zahlreiche Menschen in Burkina Faso den Putschisten entgegen: Die Bewegung "Balai Citoyen", die bereits im letzten Jahr die Proteste angeführt hatte, ruft auch jetzt wieder zu Demonstrationen auf. Gewerkschaften planen einen Generalstreik. Augenzeugen berichten von Chaos und Gewalt in den Straßen von Ouagadougou, beim Zusammentreffen von Putschisten und Demonstranten soll es Schüsse, Verletzte und sogar Tote geben.