Putins Worte gegen Putins Taten
27. April 2005Auch der russische Präsident Wladimir Putin hat ein gewisses Harmoniebedürfnis. In allernächster Zeit besuchen Politiker aus aller Welt den Kreml, darunter der amerikanische Präsident, der deutsche Kanzler, an die 50 Staatsoberhäupter aus der GUS und vielen anderen Staaten. Sie gedenken am 9. Mai der Opfer des Zweiten Weltkrieges. Tags darauf findet der EU-Russland-Gipfel statt. Kurzum, Moskau wird im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit stehen. Da ist es nur allzu verständlich, wenn Gastgeber Putin sein Land von der Schokoladenseite zeigen will. Fragen nach dem Schicksal des inhaftierten Unternehmers Michail Chodorkowski würden da nur stören.
Vorteile für den Präsidenten
Es seien somit politische Gründe, vermuten russische Oppositionspolitiker zu Recht, weshalb das Urteil gegen Chodorkowski nicht am Mittwoch (27.4.2005) gefällt wurde. Der Prozess gegen den so genannten Oligarchen wird erst nach dem 10. Mai ein Ende finden. Für Putin hat das nur Vorteile. Staatsgästen wie allzu kritischen Journalisten kann er bei möglichen Nachfragen sagen, dass es noch gar kein Chodorkowski-Urteil gebe und er sich in laufende Prozesse nicht einmischen wolle. Zudem kann er auf seine jüngste Rede an die Nation verweisen. Da sprach er sich einmal mehr für Rechtsstaatlichkeit aus, also die strikte Trennung des Gerichtswesens von der Regierung.
Wer wird ihm da widersprechen wollen oder können? Schließlich hält sich auch die Lust der Staatsgäste in Grenzen, mit dem Gastgeber wegen Chodorkowski zu streiten. Leider. Denn just an diesem Fall ließe sich ablesen, wie groß die Kluft zwischen den Worten und den Taten Putins inzwischen geworden ist. Einerseits fordert der Kreml-Chef in Sonntagsreden die Unabhängigkeit der russischen Justiz. Andererseits könnte der Einfluss des Staatsapparates auf den Verlauf des Chodorkowski-Prozesses kaum größer sein.
Anspruch und Wirklichkeit
Auch in anderen Bereichen klafft eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. So fordert Putin eine unabhängige Presse. Gleichzeitig hat Putins Apparat die landesweit ausgestrahlten Fernsehprogramme gleichgeschaltet. Einerseits fordert Russlands Staatspräsident mehr ausländische Investitionen und verspricht einen radikalen Abbau von Bürokratie. Andererseits errichtet die von ihm gelenkte Bürokratie eine Hürde nach der anderen, um ausländische Investoren abzuschrecken. Wer das nicht glaubt, sollte sich im Gebiet Kaliningrad umsehen. Die wenigen Ausländer, die dort seit Jahren tätig sind, klagen, dass sie Schwierigkeiten haben, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, ob nun beim Thema Tschetschenien oder beim angeblichen Aufbau der Zivilgesellschaft. In Russland kämpft Putin gegen Putin, die Worte des Präsidenten gegen seine Taten. Ein Verlierer steht jetzt schon fest: Putins Glaubwürdigkeit.