Putins Machtspiele: Russland wendet sich Asien zu
17. März 2024Sein Platz in Russlands Geschichtsbüchern ist Wladimir Putin sicher. Mit seiner Wiederwahl kann er nun zum fünften Mal das Präsidentenamt in seinem Land antreten. Eine Überraschung war der Wahlsieg des 71-Jährigen nicht. Eine Opposition hatte es nicht gegeben und die Medien befinden sich vollständig unter seiner Kontrolle.
Doch zu Beginn seiner fünften Amtszeit steht Putin vor großen Herausforderungen, ausgelöst durch seinen Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2022, der die Beziehungen mit dem Westen zunehmend vergiftet.
Bruch mit dem Westen
Je länger der Krieg andauert, desto unwahrscheinlicher scheint es, dass Russlands Bruch mit dem Westen wieder rückgängig gemacht werden kann. Mit der neuen Amtszeit Putins wird Moskau stattdessen wohl stärkeres Gewicht auf die Beziehungen mit den Ländern im Osten legen.
"So lange Krieg herrscht, auch wenn die Ukraine besiegt werden sollte, wird sich die Einstellung im Westen meiner Meinung nach nicht ändern. Niemand wird sagen: 'Okay, jetzt wo der Krieg vorbei ist, müssen wir unsere Beziehungen zu Russland wiederaufnehmen'", sagt Rajan Menon, Russland-Experte beim US-amerikanischen Think-Tank Carnegie Endowment for International Peace zur DW.
Menon ist überzeugt: die vergifteten Beziehungen zwischen Russland und dem Westen lassen Putin nur die Wahl, sich Indien und China zuzuwenden.
Annäherung an Modi und Xi
Bei einem Telefongespräch Anfang des Jahres wünschten sich Putin und der indische Premierminister Narendra Modi gegenseitig Glück bei den anstehenden Wahlen. In Indien soll im April und Mai ein neues Parlament gewählt werden. Laut Kreml bekundeten beide Seiten ihr Interesse "an einer weiteren Intensivierung der für beide Seiten vorteilhaften bilateralen Beziehungen".
Auch mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping vertiefte Putin nach dem Einmarsch in die Ukraine die Beziehungen. Als der Westen Sanktionen gegen Russland verhängte, leitete Russland seine für Europa bestimmten Öllieferungen um. Die Hälfte seiner Öl- und Erdölexporte gingen stattdessen nach China. Und auch der Anteil der Exporte nach Indien stieg in den Jahren 2022 und 2023 auf 40 Prozent.
Russland braucht China, nicht umgekehrt
Laut Zahlen der chinesischen Zollbehörden erreichte der bilaterale Handel zwischen China und Russland im Jahr 2023 ein Volumen von 240 Milliarden US-Dollar (219 Milliarden Euro) und damit einen neuen Rekord, der das bei bilateralen Treffen im vergangenen Jahr festgelegte Ziel von 200 Milliarden US-Dollar (184 Milliarden Euro) deutlich übertrifft. Noch im Jahr 2020 war Russland der neuntgrößte Handelspartner Chinas, im Jahr 2023 wird es bereits der fünftgrößte sein.
"China und Russland sind in Eurasien enge Nachbarn und das steigende Handelsvolumen ist etwas ganz Natürliches. Doch die Geschwindigkeit dieses Wachstums ist nicht normal, sie weckt Bedenken", sagt der russische Sinologe Aleksei Chigadaev zur DW. Er verweist auch darauf, dass Russland China mehr benötige als umkehrt. "Ohne China stünde die russische Wirtschaft vor einer ernsten Krise. Ohne Russland dagegen stünde China vor einer Krise, aber es wäre keine große", meint Chigadaev. Russische Exporte nach China bestehen zu 90 Prozent aus Öl und Gas, erklärt er. Doch von diesen fossilen Brennstoffen wird China immer weniger benötigen, wenn es seinen Weg der Umstellung auf eine grüne Wirtschaft fortsetzt.
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine beobachtet der Rest der Welt die Beziehungen zwischen China und Russland sehr genau, denn damals warf Peking Moskau eine geopolitische und wirtschaftliche Rettungsleine zu.
Eine der größten Herausforderungen für Putin besteht nun darin, sowohl die wirtschaftliche als auch die strategische Abhängigkeit Russlands von China zu verringern, so Menon. "Sehen Sie sich in Ihrer Wohnung um. Sie werden nicht einen Gegenstand finden, der in Russland produziert wurde. Wahrscheinlich finden Sie Dinge, die in China oder den USA oder Deutschland hergestellt wurden. Das sagt viel. Und ich glaube, Putin erkennt, dass er das ändern muss."
Indiens Gratwanderung
Zu den bemerkenswertesten Aspekten der Beziehungen Indiens zu Russland zählt der ungenierte Kauf verbilligten russischen Rohöls. Russland ist zudem einer der wichtigsten Waffenlieferanten für Indien. Laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) stammen mehr als 65 Prozent der indischen Waffenkäufe in den vergangenen beiden Jahrzehnten in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar (55 Milliarden Euro) aus Russland.
Doch nun wendet sich Indien - einer der größten Waffenimporteure weltweit - langsam dem Westen zu. Neu Delhi geht dabei sehr behutsam vor, um Russland nicht weiter in Richtung China zu drängen, denn engere Beziehungen zwischen Moskau und Peking könnten für Indien negative Konsequenzen haben, so Menon.
Mit Blick auf die bestehenden Grenzstreitigkeiten zwischen Indien und China meint Menon, der Ausbruch eines Krieges zwischen beiden brächte Russland in eine schwierige Position: "Es wäre gezwungen, sich für einen seiner beiden Freunde zu entscheiden."
Käme es zu einem solchen Konflikt, so Menon, würde Moskau sich vermutlich für Peking entscheiden oder eine Entscheidung so lange wie möglich hinauszögern. "China hat Russland sehr viel mehr zu bieten als Indien", fügt er hinzu.
Russland: weder West noch Ost
Ob China oder Indien, Menon hält es für sehr wahrscheinlich, dass Putin seine Beziehungen mit den Ländern im Osten vertiefen wird. Chigadaev weist jedoch darauf hin, dass "die Kultur, Religion und Geschichte Russlands enger mit Europa verknüpft sind".
Chigadaev zufolge sieht sich Russland weder als vollständig dem Westen zugehörig noch in einem Dreieck mit Indien und China. "Wir sind nicht Europa", beschreibt er das Selbstbild von Russland. "Wir sind nicht Teil des Westens. Wir sind nicht Teil des Ostens. Wir sind das Zentrum."