Putins Machtdemonstration zum Siegestag
9. Mai 2015In Russland wird mit offiziellen Feiern des 70. Jahrestags des Sieges über Nazi-Deutschland gedacht. Mit Paraden und Trauermärschen erinnerten zuerst die Regionen Kamtschatka und Sachalin im äußersten Osten an die Kriegsopfer von damals.
Die mit Abstand größte Militärparade des Landes fand in Moskau statt. Der russische Präsident Wladimir Putin nahm sie im Beisein von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, dem chinesischen Staatschef Xi Jinping, dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro und anderen Spitzenpolitikern aus Indien, Nordkorea, Südafrika und ehemaligen Sowjetrepubliken ab.
"Gleiche Sicherheit für alle Staaten"
In einer Ansprache würdigte der Kremlchef den "grandiosen Sieg" der Roten Armee über Nazi-Deutschland. Die sowjetischen Soldaten hätten damals die Europäer befreit. Außerdem hob Putin die Rolle der westlichen Alliierten in der Anti-Hitler-Koalition hervor.
Gleichzeitig plädierte er für ein weltweites Sicherheitssystem ohne militärische Blöcke. Die Prinzipien der Nachkriegsordnung seien in den vergangenen Jahrzehnten immer häufiger ersetzt worden, kritisierte Putin. Nötig sei ein System, das gleiche Sicherheit für alle Staaten garantiere.
Der Präsident erinnerte an das historische Treffen sowjetischer und amerikanischer Soldaten Ende April 1945 in der Elbe-Stadt Torgau. Diese Geschlossenheit und dieses Vertrauen gelte es zu hüten - zur Bewahrung der internationalen Sicherheit.
Zu Beginn marschierten Fahnenträger auf dem Roten Platz auf mit dem "Siegesbanner" - einer Kopie der 1945 auf dem Reichstag in Berlin gehissten Flagge der Roten Armee. Anschließend zogen mehr als 16.000 Soldaten sowie 200 Militärfahrzeuge, darunter Panzer und Raketenträger, über den Roten Platz. Zum Finale gab es eine Show mit etwa 140 Flugzeugen.
Viele westliche Spitzenpolitiker boykottierten die Waffenschau wegen Russlands Rolle in der Ukraine-Krise. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel blieb der Parade fern. Sie wird am Sonntag in Moskau erwartet. Dann will die Kanzlerin am Grabmal des Unbekannten Soldaten gemeinsam mit Putin einen Kranz niederlegen.
"Die Welt gerettet"
Am 70. Jahrestag des Kriegsendes hatten bereits am Freitag weltweit Staats- und Regierungschefs der Millionen Opfer gedacht und vor neuer Zwietracht in Europa gewarnt. Bundespräsident Joachim Gauck würdigte bei einer Gedenkstunde im Bundestag die getöteten Sowjetsoldaten, die Deutschland von der Nazi-Herrschaft befreit haben. "Ihr Schicksal mahnt uns, mit all unserer Kraft für Verständigung, Frieden und Versöhnung einzutreten."
US-Präsident Barack Obama sagte über die gefallenen alliierten Soldaten: "Das war die Generation, die ganz wörtlich die Welt gerettet hat." Heute müssten die westlichen Verbündeten für gemeinsame Werte zusammenstehen - Freiheit, Sicherheit, Demokratie, Menschenrechte und die Herrschaft des Rechts. Zugleich gelte es, jeder Form von Hass eine Absage zu erteilen. Zum Gedenken an den Sieg der Alliierten überflogen am Freitag dutzende Flugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg die Innenstadt von Washington.
Frankreichs Staatspräsident François Hollande sagte, der 8. Mai sei kein Sieg einer Nation über eine andere. "Es war der Sieg eines Ideals über eine totalitäre Ideologie."
Putin gratulierte den Staatschefs der Ex-Sowjetrepubliken zum 70. Jahrestag des Sieges über den Faschismus. Heute sei es gemeinsame Aufgabe, das - so der russische Präsident wörtlich - "heilige Andenken" an die Helden zu bewahren, für die Veteranen zu sorgen und eine Wiederholung der tragischen Ereignisse nicht zuzulassen.
Millionen Tote
Im Zweiten Weltkrieg starben in Europa und Asien mehr als 55 Millionen Menschen, die meisten von ihnen waren Zivilisten. Mit mehr als 26 Millionen Toten erlitt die Sowjetunion die größten Verluste. Zu den Opfern gehören auch rund sechs Millionen von den Nazis ermordete Juden.
Der Historiker Heinrich August Winkler sagte in der zentralen Gedenkrede im Bundestag, das Deutschland von heute solle seine internationale Verantwortung annehmen. Mit den Nazi-Verbrechen könne kein Beiseitestehen begründet werden. Eine besondere Pflicht zur Solidarität gebe es mit Ländern, die erst durch die friedlichen Revolutionen von 1989/90 ihre Selbstbestimmung wiedergewonnen hätten. Nie wieder dürften Polen und die Balten den Eindruck gewinnen, als werde zwischen Berlin und Moskau irgendetwas über ihre Köpfe hinweg und auf ihre Kosten entschieden.
Winkler prangerte auch die heutige Fremdenfeindlichkeit und antisemitische Gewalt in Deutschland und anderen Ländern an. Die eigentliche Lehre der Geschichte zwischen 1933 bis 1945 sei die Verpflichtung, "unter allen Umständen die Unantastbarkeit der Würde jedes einzelnen Menschen zu achten".
haz/se (dpa, afp, rtr)