Putins Drohungen beeindrucken nicht
13. September 2024Die neuerlichen Drohungen des russischen Machthabers Wladimir Putin Richtung NATO haben in Brüssel zu keinen unmittelbaren Reaktionen geführt. Putin hatte gesagt, sollten NATO-Staaten der Ukraine den Einsatz von westlichen Raketen auf russischem Gebiet erlauben, sei die NATO im Krieg mit Russland.
Ob die westliche Militärallianz sich überhaupt zu Putins Thesen einlassen wird, war am Freitag nicht zu erfahren. Der scheidende NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte immer wieder erklärt, dass die NATO als Organisation nicht aktiv am ukrainischen Abwehrkampf gegen den russischen Aggressor teilnehmen werde.
Beim Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPC) in Oxford sagte Stoltenberg im Juli: "Wir werden nicht Partei in diesem Konflikt. Darum unterstützen wir die Ukraine bei der Zerstörung russischer Kriegsflugzeuge, aber werden nicht direkt eingreifen." Die NATO habe zwei Aufgaben, hatte der Generalsekretär schon im Juni bei einem Besuch in Washington gesagt: "Die eine Aufgabe ist die Ukraine zu unterstützen. Die andere ist, eine Eskalation des Konflikts hin zu einem umfassenden Konflikt zwischen Russland und der NATO in Europa zu verhindern." Die NATO bleibe eine Verteidigungs-Allianz, so Stoltenberg, der Angreifer sei Russland.
Eskalation geht von Moskau aus
Der russische Staatschef und Oberbefehlshaber Wladimir Putin hatte einem Journalisten in Sankt Petersburg am Donnerstag zum wiederholten Male angekündigt, er werde auf Bedrohungen durch die NATO entsprechend reagieren. Was genau er damit meint, ließ Putin offen. Ähnliches hatte der russische Machthaber schon mehrfach geäußert. Seine Vertrauten im russischen Parlament hatten sogar mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Die NATO sei schuld an dem Konflikt und der Grund für die "Militäroperation" in der Ukraine, hatte Putin bereits am ersten Tag seines Angriffs auf die Ukraine in einer Fernsehansprache am 22. Februar 2022 behauptet.
Der großangelegte Einmarsch, immer neue Angriffswellen auf die Ukraine, der Beschuss der Zivilbevölkerung - die Eskalation des Krieges geht immer wieder von Russland aus. Wenn jemand eskaliere, dann sei das ja wohl Russland, hatte US-Außenminister Anthony Blinken in Warschau gesagt. Er bezog sich auch auf die Raketen, die sich die russische Armee offenbar im Iran beschafft. Der Internationale Gerichtshof hat Russland aufgefordert seine Angriffe einzustellen. Gegen Putin gilt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen.
Polens Premier: Putin nicht überbewerten
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk will sich wegen der jüngsten Äußerungen von Russlands Präsidenten keine Sorgen machen. "Man muss alle Ereignisse in der Ukraine und an der russisch-ukrainischen Front sehr ernst nehmen, aber ich würde der Stellungnahme von Präsident Putin keine übermäßige Bedeutungen zumessen", sagte Tusk vor der Presse in Warschau. Er hatte tags zuvor den amerikanischen Außenminister Anthony Blinken getroffen, der wiederum aus Kiew kam.
Die USA, so sicherte Blinken zu, prüften gemeinsam mit Großbritannien, ob Langstreckenwaffen aus westlicher Produktion angesichts der militärischen Lage gegen Ziele in Russland eingesetzt werden dürfen. Bislang erlauben die USA und andere NATO-Staaten der Ukraine nur einen sehr begrenzten Einsatz von westlichen Waffen auf russischem Gebiet. Man habe die Einsatzrichtlinien immer der Entwicklung auf dem Schlachtfeld abgepasst und das werde man auch weiter so machen, so Blinken.
Beschränkungen fallen mit Verzögerung
In den mittlerweile zweieinhalb Kriegsjahren haben westliche Verbündete zunächst relativ vorsichtig Geschosse, Panzer, Haubitzen, Munition, Marschflugkörper und schließlich auch Kampfflugzeuge an die ukrainische Armee geliefert. Immer gab es Befürchtungen, man könne Russland mit zu viel Engagement provozieren. Da Russland keinerlei Anzeichen zu einer Beendigung des Krieges zeigt, sind nach und nach viele Beschränkungen gefallen.
Nun könnte es der Ukraine demnächst auch erlaubt sein, US-Raketen und Marschflugkörper gegen russische Militär-Einrichtungen tief im Hinterland einzusetzen. Viele Beschränkungen sind jedoch weiter in Kraft. Italien verhindert die Verwendung seiner gelieferten Waffen auf russischem Territorium. Belgien besteht darauf, dass F-16 Kampfflugzeuge aus einer belgischen Lieferung nur Ziele im ukrainischen Luftraum bekämpften dürfen. Deutschland liefert keine Marschflugkörper vom Typ Taurus. Das ist für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die rote Linie. Anfang Juli versprach der Kanzler im Bundestag, Deutschland werde durch seine Unterstützung der Ukraine nicht zur Kriegspartei. "Ja, ich gebe diese Garantie. Dafür stehe ich."
Putin schwer einzuschätzen
Der russische Machthaber Putin hat seinerseits bei einer Pressekonferenz mit internationalen Journalisten im Juni in Sankt Petersburg empört zurückgewiesen, dass Russland die NATO angreifen wolle. "Haben Sie völlig den Verstand verloren? Wer hat sich das ausgedacht? Das ist Müll. Es ist absoluter Unsinn", entgegnete Putin einem fragenden Journalisten.
Wie und wann Wladimir Putin allerdings auf das reagiert, was er als Provokation der NATO ansieht, ist schwer zu kalkulieren. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2024 sagte der Osteuropa-Experte Andreas Umland vom "Stockholm Centre for Eastern European Studies", es gebe ein "Element des Wahnsinns" in Putins Entscheidungen. "Es gibt eine Rest-Unklarheit über die Rationalität der russischen Führung, die Sicherheitspolitiker veranlasst, sich auf ein Worst-Case-Szenario, einen Krieg mit Russland vorzubereiten", sagte Andreas Umland im Bayrischen Rundfunk.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius wird auch nicht müde, davor zu warnen, dass ein autoritäres Russland die größte Gefahr für die NATO darstelle. In fünf bis acht Jahren könne Russland in der Lage sein, die NATO anzugreifen. Deshalb müsse man kriegstüchtig werden, heißt es von Pistorius seit 2023. Russland hat seine Rüstung, auch die nukleare Rüstung, in den letzten Jahren erheblich verstärkt. Deshalb wollen die USA in Deutschland neue Mittelstreckenwaffen stationieren, die auch nuklear bewaffnet werden könnten.