Überraschende Wendung
8. Juni 2007Washington solle das geplante US-Raketenabwehrsystem nicht in Tschechien und Polen verwirklichen, sondern gemeinsam mit Moskau in Aserbaidschan, sagte Putin am Donnerstag (7.6.2007) im Gespräch mit US-Präsident George W. Bush am Rande des G8-Gipfels in Heiligendamm. Damit könnte ganz Europa vor einer Bedrohung aus dem Iran geschützt werden.
Die USA müssten somit aus Moskauer Sicht nicht mehr das geplante Raketenabwehrsystem in Mitteleuropa aufbauen - und Russland würde dann weiterhin darauf verzichten, seine Raketen auf konkrete Ziele in Europa zu programmieren. Die USA wollen zehn Abfangraketen in Polen aufstellen und eine zugehörige Radarstellung in Tschechien errichten. Bush nannte das Angebot eine "interessante Idee".
Weitere Gespräche geplant
Zunächst sollen bilaterale Arbeitsgruppen der Verteidigungs- und Außenministerien das Thema erörtern. Das Gespräch zwischen Bush und Putin wird dannn am 1. Juli in Kennebunkport im US-Staat Maine fortgesetzt. Der US-Präsident hat Putin auf den Landsitz seiner Familie am Atlantik eingeladen. Man sei übereingekommen, "einen strategischen Dialog zu führen", sagte Bush am Donnerstag und fügte hinzu: "Dies ist eine ernsthafte Angelegenheit."
Erste Stufe des Plans wäre die gemeinsame Nutzung der bereits bestehenden aserbaidschanischen Radaranlage Gabala. Russland hat die Anlage für zehn Jahre gepachtet, verbunden mit dem Recht, bis zu 1500 Militärangehörige dort zu stationieren.
Keine Trümmer auf Europa
Der Aufbau eines automatischen Raketenabwehrsystems sollte nach Vorstellungen Putins nicht sofort erfolgen. Sobald ein Land, zum Beispiel der Iran, eine Langstreckenrakete teste, würden dies Russen und Amerikaner mitbekommen. "Vom ersten Test einer Rakete bis zur Indienstnahme werden mindestens drei bis fünf Jahre vergehen. Diese Zeit reicht, um jedes Raketenabwehrsystem aufzubauen", sagte der Kremlchef. Mit der Annahme des russischen Vorschlags könne man "auch ausschließen, dass Trümmer von Raketen auf europäische Länder fallen, da sie im Meer niedergehen würden", sagte Putin.
US-Sicherheitsberater Stephen Hadley sagte, für die USA sei wichtig, dass Putin nun die Notwendigkeit eines Abwehrsystems grundsätzlich akzeptiere. "Der russische Präsident sagte zum US-Präsidenten, dass sie (die Russen) eine potenzielle Gefahr anerkennen und dass wir einen Dialog über die Natur der Gefahr brauchen."
Russland hatte bislang jegliche absehbare Raketengefahr für Europa aus dem Iran verneint und sich durch die amerikanischen Pläne für eine Radarstation in Tschechien und eine angebundene Raketenabwehranlage in Polen bedroht gesehen. Damit ist Putins Vorschlag eine überaus überraschende Wendung.
Widerannäherung nach Streit
Der Streit hatte in den vergangenen Tagen Erinnerungen an den Kalten Krieg geweckt. Putin drohte vor dem G8-Gipfel in einem Interview, Russland könnte seine Raketen auf neue Ziele in Europa ausrichten. Bush kritisierte daraufhin die Demokratie in Russland als mangelhaft. Beiden Seiten betonten, das Treffen der Präsidenten in Heiligendamm sei konstruktiv und ohne Konfrontation verlaufen.
Der tschechische Regierungschef Mirek Topolanek warnte, sollten die USA im Gegenzug auf die geplante Radaranlage in Tschechien verzichten, könnte dies ein Versuch von Putin sein, Mitteleuropa als russische Einflusssphäre wiederzugewinnen. Grundsätzlich aber sei die Bereitschaft von Putin, über das umstrittene System zu verhandeln, ein Durchbruch.
Der Moskauer Militäranalyst Alexander Chramtschichin betonte, dass die Radarstation in Aserbaidschan nur nach Süden ausgerichtet sei. Es sei technisch unmöglich, die Anlage zur Überwachung Russlands zu nutzen. Daher lasse sich mit Putins Vorschlag sehr gut prüfen, welche Absichten die Amerikaner in Wirklichkeit hätten. (stl)